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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


mein Vetter, ist gestern auf dem Müggelsee beim Segeln – ertrunken.“

Ich wußte nicht, in welcher Art die Umstände mich darauf vorbereitet hatten; ich hörte das Wort, ehe es ausgesprochen war, und als es wirklich erklang, schien es mir eine Täuschung zu sein.

„Ertrunken?“ sagte ich endlich, und auch mein Athem brach sich jetzt schwer Bahn; „ertrunken? wirklich ertrunken?“

„Ja,“ erwiderte der Schöngeist, „so heißt es, und ich glaube es auch – und im Seglercasino in Stralow glauben sie es auch.“

Und er sah immer noch in die Wellen, die, zu beiden Seiten des Schiffes aufsteigend, sich hinter ihm in eine breite, durcheinander wirbelnde Furche fügten.

„Weiß die arme Frau schon davon?“ fragte ich nach einer Weile.

„Meine Mutter ist in diesem Augenblick wohl dabei, sie vorzubereiten. Ich kam gestern Abend von der Reise, und heute Nacht vier Uhr wurde ich herausgeholt durch den Ueberbringer der Depesche. Ein Bekannter von ihm, der ein paar hundert Schritt von ihm segelte, sandte mir die Nachricht von dem Unglück.“

„Ich war länger als vier Monate von Berlin entfernt. Sind noch besondere Umstände hinzugetreten?“

„Es konnte nicht gut schlimmer werden,“ antwortete er mir, „aber es wurde es dennoch. Sie vernachlässigte sich immer mehr und die Wirthschaft dazu. Es ist in dieser Stimmung peinlich, davon zu sprechen; nehmen Sie deshalb mit ganz kurzen Sätzen vorlieb. Ein Diner bei Sandow zu Ehren eines auswärtigen Geschäftsfreundes. Nur Kaufleute, darunter ein Neider seines Glücks, der schon oft versucht hatte, ihm Ungelegenheiten zu bereiten. Mein Vetter sieht ihn auffallender Art sein Besteck untersuchen. Sie essen Alle mit Alfenide; das Silberzeug war – versetzt. Wechsel von ihr, auf seinen Namen ausgestellt, coursirten in den Händen der berüchtigtsten Halsabschneider, und er glaubte seinen kaufmännischen Credit untergraben.“

„Hat man eine Ahnung, wo das entsetzliche Weib – das Geld gelassen hat?“ fragte ich kopfschüttelnd.

„Eine Ahnung, ja! Gewisses? nein! Die Familie, ihre eigene schlechte Wirthschaft, der Bruder, der saubere Bursche mit dem ‚Ende vom Liede‘, mögen sich wohl darin getheilt haben. Auch munkelt man“, setzte er nach einer Weile leiser hinzu, „von einer Jugendliebe. Ein langhaariger Musikant, der ihr ein Heft Lieder gewidmet und der sie drei Jahre vor ihrer Verbindung mit Eduard heimlich hatte entführen wollen. Es wurde unglücklicher Weise durch einen Zufall verhindert, und er soll seitdem sehr heruntergekommen sein.“

„Hat das Schicksal Ihrem armen Vetter auch die Kenntniß dieses Umstandes nicht erspart?“ fragte ich weiter.

„Ich weiß es nicht,“ antwortete der Schöngeist; „aber es wäre unlogisch, wenn es das gethan hätte, und das Schicksal ist niemals unlogisch.“

„Das Ende vom Liede ist grausam, lieber Freund,“ rang es sich aus meiner gepreßten Brust, „fürchterlich grausam!“

„Das Leben ist immer grausam,“ antwortete er nachdenkend; „sehen Sie, wohin Sie wollen! Unerbittlich, Zoll für Zoll treiben die Ereignisse den Menschen dahin, wo sie ihn haben wollen. Und wenn er gebrochen und widerstandslos daliegt am Boden, dann kommen die Menschen und sagen achselzuckend: ‚Er verschuldete es selbst!‘ Von wo ihm aber die Eigenschaften gekommen, denen folgend oder widerstrebend er seinem Schicksal anheimfiel – danach fragt Niemand – es ist ganz gleich, der Arme unterlag. Glauben Sie mir, wenn mein armer Vetter den Augenblick, den wir Alle einmal durchleben müssen, allein mit unserem Gott, früher herbeiführte, als er ihm körperlich vielleicht bestimmt war, so that er es, es klingt paradox, nur aus Furcht. Ein normaler Mann würde sich von – von der Person haben scheiden lassen; das war ein Ausweg, der für Eduard verschlossen blieb. Eine Scheidung, das Gerede, die Umstände, die dabei an’s Licht kommen mußten, das war ein Gedanke, dem er nicht in die Augen sehen konnte. Und so setzte er seinen Fuß tastend in die Leere, in das Nichts, vor dem die muthigsten Männer beben, er, der Schwächling.“

„Woher kam ihm die Furcht, der all seine Fehler, der all sein Leid entsprang? Sagen Sie es mir! Es peinigt mich; woher kam sie ihm?“

Das Dampfboot war unterdeß an den verschiedenen Stationen nach kurzem Aufenthalt vorüber geglitten und ging jetzt seinem Ziele, dem Städtchen, entgegen, dessen Thürme bei dieser Wendung des Flusses uns zu Gesicht kamen. Ohne daß wir es weiter berührten, war ich entschlossen, den Vetter Eduard Sandow’s zu begleiten. Es galt ja, ihn aufzufinden, aufzufinden in dem großen, eine halbe Meile langen See, in dem so viel Wasser ist, daß man ganz Berlin darin versenken könnte.

Robert Fürst schien meine Gedanken zu errathen, denn er sagte plötzlich: „Ich weiß es auch nicht, wie wir es anstellen sollen. Wenn nicht einige von den befreundeten Bootsbesitzern da sind, bin ich so rathlos, wie ein Kind. Der große See, und …“

„Hatte Sandow früher schon eine Leidenschaft für das Segeln?“ fragte ich, als wir im Begriff waren, anzulegen.

„Nein,“ antwortete mein Begleiter, „sie kam erst im vorigen Herbst. Es zog ihn wohl hinaus, oder er wollte es dadurch einleiten. Sie hätten ihn in den letzten Monaten sehen sollen! Er fing schon an, seiner Frau ähnlich zu werden, war häufig unbarbiert und gar nicht mehr so ängstlich, wenn sein Oberhemd einmal grauer war als gewöhnlich. Im vorigen Jahre begann er mit einem Freunde zu segeln, um sich die nöthige Kenntniß zu erwerben. Im Frühjahre kaufte er selbst ein Boot und fuhr noch mehrere Monate mit einem tüchtigen Gehülfen zusammen. Seit acht Wochen soll er immer allein hinausgegangen sein, und zwar oft bei Wetter, bei dem Alle zu Hause blieben. Davor hatte er keine Furcht.“ – –

Wir stiegen aus, da das Dampfboot wegen niedrigen Wasserstandes seine Fahrt nicht weiter fortsetzen konnte, und gingen durch die kleine Stadt in der Richtung des Müggelsees. Ich kannte den Weg von Ferienexcursionen her, die ich als Knabe gemacht, und es war mir zuweilen, als sähe ich mich vor mir her gehen mit der grünen Botanisirtrommel und dem heimlichen Streichschwamm zu der verbotenen Cigarre. Als wir die letzten Häuser des Städtchens hinter uns hatten und nur ein paar hundert Schritte sandigen Weges uns von der Kiefernhaide trennten, hatte sich der Nebel langsam in einen feinen, aber dichten Sprühregen aufgelöst, ähnlich dem, der an Sandow’s Hochzeitstage in den Kranz der Braut gefallen war. Nur war die Luft warm und mild heute, und die Erde hauchte den balsamischen Duft aus, den der Regen ihr nach langer Dürre so reich entlockt. Das Bild begann mehr und mehr sich in einen Localton umzustimmen, aus dem nur im Vordergrunde ein wenig spärliches Grün am Boden und die röthlichen Kiefernstämme mit ihren dunkeln Kronen hervorstachen. Als wir an den Saum des Waldes gekommen waren, erhob sich von den ersten Bäumen eine Schaar schwarzer Krähen schreiend und durcheinanderschießend in die Luft und flog ein Stück Weges uns voran, einen neuen Ruheplatz zu suchen. Es durchschauerte mich, als wir, unsern Weg fortsetzend, die dunkle Gesellschaft zum zweiten und dritten Male aufjagten und sie uns immer mit ihrem heisern Geschrei voranflog und uns dann wieder erwartete, als wollte sie uns den Weg zeigen. Es wurde mir fast leichter um’s Herz, als sie sich endlich von uns trennte, und ihren Weg in gerader Linie fortsetzte, während wir links nach unserm Ziel, der Müggelbude, abbogen. – –

Ich komme nun zu traurigen Bildern, und ich möchte bei ihrer Ausführung den Grundsatz der alten Meister befolgen, im Schatten so wenig wie möglich zu zeichnen.

Es waren mehrere von Eduard’s Bekannten mit ihren Booten an Ort und Stelle, als wir ankamen, und auch Fischer aus der Umgegend hatten sich eingefunden, weil sie wußten, daß sie gebraucht würden. Sie hatten ihn Alle gern gehabt und schüttelten Alle den Kopf, als wollte ihnen die Sache nicht klar werden. Das Boot, das nur gekentert, nicht untergegangen war, hatten sie schon an’s Land gebracht und auch nach seinem Besitzer hatten sie zu suchen angefangen. Die Fischer in ihren langen schmalen Kähnen, die Boote, die sie forschend umkreuzten, die langen Stangen, die langsam in das Wasser hineinfuhren und wieder emporkamen, und alles Das in dem feuchten, grauen Nebel, halb sich abzeichnend, halb verschwimmend, – es war ein trauriger Anblick. Sie mühten sich den ganzen Tag, aber vergebens. Gegen Abend war ein starker Südost aufgesprungen, der sich bald zu einem tobenden Sturme

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 725. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_725.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)