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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Was von den neuen Schöpfungen auf Helgoland zuerst unser hohes Interesse beansprucht, ist Telegraph und Post. Die jetzige Regierung hat endlich die Mittel gefunden, das langersehnte Kabel zwischen Helgoland und dem Festlande – Cuxhaven – herzustellen; der Sitz der Hamburg-Helgoländer Telegraphencompagnie ist Berlin. Ein semaphorisches Observatorium steht mit dem Telegraphen in Verbindung und vermittelt gegen eine geringe Vergütung durch optische Signale Telegramme an die im Gesichtskreise der Insel sich bewegenden Seeschiffe.

Mit der deutschen Reichspostverwaltung hat die Regierung im Laufe dieses Jahres einen Vertrag abgeschlossen, welcher Helgoland an den Vortheilen des deutschen Reichspostgebietes in seinem ganzen Umfange theilnehmen läßt, so daß also der deutsche Brief, wie im Inlande, nur einen Groschen Porto kostet.

Das Seebad der Insel, früher eine Art Privatactiengesellschaft unter den Einwohnern mit nicht allzureichlich ausgefallenen Dividenden, ist jetzt mit großen Geldopfern für die „Landschaft“ käuflich erworben und wird von einer königlichen Badedirection verwaltet. Ein neues Badehaus mit großem Schwimmbassin zur Benutzung bei schlechtem Wetter ist erbaut worden, und dadurch Helgoland der einzige Badeort in ganz Europa, welcher außer den Strandbädern auch den Vorzug eines gedeckten Seewasserschwimmbassins bietet, fortwährend durchströmt von 15,000 Kubikfuß frischen Wassers.

Eine Landungsbrücke ward mit großen Kosten sowohl am Strande der Insel, wie auch auf der Düne erbaut. Die bisherige Schutzwehr der Düne gegen Sturm und Meeresfluth, seit Jahren aus Buschwerk und Pfählen construirt, ward durch ein starkes Bollwerk aus Balken ersetzt, welches aus Mangel an Geldmitteln nicht ganz vollendet und auch theilweise durch eine der heftigsten Sturmfluthen wieder zerstört ward.

Ein kleiner Schleppdampfer ward für den Preis von etwa dreitausend Pfund Sterling angeschafft, um nothleidenden Schiffen zu Hülfe zu kommen, und so sehr erwünscht diese Neuerung den Assecuranzgesellschaften nur sein konnte, der Helgoländer, alter Sitte gedenkend, blickt noch jetzt auf jedes durch diesen Dampfer als gerettet weggeschleppte Schiff als auf ein ihm von Gott und Rechtswegen gebührendes, ihm nun entgehendes Strandgut.

Ein nicht geringes Interesse nimmt das kleine Theater der Insel in Anspruch. Der Gouverneur, welcher, Engländer von Geburt, deutsches Wesen und deutsche Sprache sich in hohem Maße zu eigen gemacht hat, ist ein eifriger Beschützer der Kunst, der er auf der Insel eine Stätte bereitet hat. War doch auch einst seine jetzige Gemahlin eine hochgefeierte Größe der deutschen Schaubühne! Das freundliche Theater am Unterlande öffnet an drei Abenden der Woche seine Pforten dem Publicum, und die liebenswürdigen Mitglieder des Anhalt-Dessauischen Hoftheaters wissen durch ein gewähltes Repertoire, Oper, Lustspiel und Posse umfassend, das Publicum dauernd zu fesseln. Im letzten Sommer war überdies die gefeierte Anna Schramm längere Zeit ein gern gesehener, vielfach ausgezeichneter Gast dieser Bühne, die am 21. August zum ersten Male eine interessante Novität zur Aufführung brachte, betitelt: „Roger Dumenoir, Volksdrama in drei Aufzügen von F. Martine.“ Unter diesem Pseudonym führte sich kein Geringerer, als der Gouverneur selbst, beim Publicum ein; sein Drama fand verdienten Beifall und wird, wie ich vernehme, eben am Residenztheater in Berlin zur Aufführung vorbereitet.

Wie also auf Helgoland nichts verabsäumt wird, den Anforderungen der Zeit Rechnung zu tragen, wie man jetzt sogar den Gedanken zu verwirklichen trachtet, die bekannte, fast zweihundert Stufen hohe und gar Manchem so beschwerliche Treppe, welche zum Oberlande hinaufführt, durch eine Hebemaschine, wie sie in den großen Hôtels Englands und Amerikas gebräuchlich ist, zu ersetzen, das Conversationshaus erheblich zu vergrößern und mit einem Hôtel ersten Ranges zu verbinden, so unterliegt auch die innere Verwaltung der Insel einer steten Vervollkommnung. Am 8. Juli 1868 ward eine Einfuhrsteuer auf Wein, Spirituosen und Bier eingeführt. Noch im nämlichen Jahre regelte eine Verordnung des Gouverneurs vom 28. Juli 1868 das Schulwesen der Insel. Das Strandrecht ward durch eine weitere Verordnung vom 23. November auf gesetzliche Bestimmungen über Strandungs- und Bergungsfälle zurückgeführt, und durch eine neuere Verordnung vom 17. Juli 1871 wurden Bestimmungen festgestellt, um von den Insulanern im Auslande contrahirte Schulden gerichtlich belangen zu können. Wie kräftig die früher so mangelhafte Polizei gehandhabt wird, das zeigten noch in diesem letzten Sommer die gegen das Ueberhandnehmen der sogenannten „Lästerallee“ ergriffenen Maßregeln und die seiner Zeit in den Blättern vielfach besprochene öffentliche Verbrennung einer Roulette, welche von einigen Jüngern der höheren Bauernfängerei in einem Saale des „Sonnenunterganges“, eines beliebten Tanzlocales, nächtlicher Weile heimlich aufgestellt worden war.

Möge der freundlichen Insel eine schöne und gesegnete Zukunft bevorstehen! In diesen Wunsch wird Jeder mit einstimmen, der in ihren Fluthen Heilung und Stärkung fand, oder der auch nur einige Tage oder Wochen lang ihre herrliche Seeluft einathmen durfte.

Fr. Schl.




Blätter und Blüthen.


Schwarzes Brett für die Volksschule. Nr. 3. Kann der Schulmeister schreiben? In den Jahren 1848 und 1849 war ich Hauslehrer beim Förster Christian N–e zu S–f in Mecklenburg-Schwerin. Sch–, der Schulmeister des Dorfes, seines Handwerks ein Schneider, hatte damals schon nahe an zwanzig Jahre sein Amt verwaltet und zwar zur vollkommenen Zufriedenheit der Behörden und aller Betheiligten, wenigstens war nie Klage über ihn geführt worden. Als aber die Söhne der Tagelöhner und Forstarbeiter im schleswig-holsteinischen Kriege waren und ihren besorgten Eltern nicht schreiben konnten, „ob sie gesund geblieben“, weil sie eben das Schreiben nie gelernt hatten, da ging es über den Schulmeister her. Der lebhafte Wunsch, von ihren Söhnen im Kriege Nachricht zu erhalten, hatte diesen ungebildeten Bewohnern des „platten Landes“ mit einem Schlage die Nothwendigkeit einer guten Schule klar gemacht. Sie glaubten dem Schulmeister nicht, der Alles auf die unüberwindliche Dummheit ihrer Kinder schob, sondern erlaubten sich, seine Fähigkeit als Lehrer zu bezweifeln. Zum ersten Male fiel es ihnen auf, daß auch nicht ein einziger seiner früheren oder jetzigen Schüler lesen könne, daß er nie Unterricht im Schreiben gegeben und daß Niemand ihn selbst je schreiben gesehen hatte. Einige der jüngeren Männer entdeckten sogar, daß er weder Feder noch Tinte im Hause habe, und behaupteten nun dreist und keck, der Schulmeister selbst könne nicht schreiben. Das zündete, und wie ein Lauffeuer ging es von Mund zu Mund: „Kann dei Schaulmeister schriwen?“ Ohne diese kitzlige Frage zu erledigen, ging eine Deputation der Tagelöhner mit der Courage von 1848 auf das Goldberger Amt und verlangte einen Lehrer, der lesen und schreiben könne. Doch bei dem Verlangen blieb es; denn als der Amtshauptmann die Rebellen anschnauzte. „Woher wißt Ihr denn, daß Euer Schulmeister nicht lesen und schreiben kann?“ standen sie wie die Ochsen am Berge und kehrten unverrichteter Sache wieder nach Hause zurück.

Der leichtfüßige Schulmeister hatte bis dahin unter den schwerfälligen Dorfbewohnern immer eine gewisse Ueberlegenheit behauptet; er hatte außer der Schneiderpolitur eine geläufige Zunge; er war der Einzige im Dorfe, der in Güstrow (drei Meilen von S–f) gewesen, hatte also die Welt gesehen – kurz, er spielte, wie bei Erntebier und Hochzeiten im wahren, so bei allen anderen Gelegenheiten im höhern Sinne des Wortes die erste „Figoline“, wie er das Ding auf Hochdeutsch nannte. Jetzt aber fühlte er seine Autorität schwanken; überall hörte er zarte Anspielungen im mecklenburger Fracturstil, der sich von der Blumensprache dadurch unterscheidet, daß er durchaus nicht mißverstanden werden kann, und der Schulmeister sann darauf, sich wieder zu Ehren zu bringen.

Obgleich der Forsthof vom eigentlichen Dorfe abgesondert war, kam doch die Frage: „Kann der Schulmeister schreiben?“ auch bei uns zur Sprache. Ich hielt es mit den Zweiflern, doch der Förster – nebenbei gesagt, einer der liebenswürdigsten und besten Menschen, mit denen ich je in Berührung gekommen – erklärte, der Mann könne sicherlich schreiben, da Pastor H–r zu P–n, der Schulvorstand, ihm ein gutes Zeugniß gegeben habe.

Die Aufklärung über die große Frage gab uns der Schulmeister selbst in einer höchst drolligen Weise. Seit längerer Zeit ging er häufig nach der oben erwähnten Amtsstadt Goldberg, sammelte dort gesprächsweise Kriegsnachrichten und andere Tagesneuigkeiten, die es in den Jahren 1848 und 1849 immer gab, und wenn er des Abends wieder im Dorfe war, las er seinen Nachbarn diese Neuigkeiten aus einem vorgehaltenen Zeitungsblatte vor. Das imponirte – er gewann Zuhörer und Freunde.

Auf einem dieser Ausflüge nach Goldberg, als er wie gewöhnlich auf der Post nachfragte, ob Briefe für den Förster N–e da wären, sagte ihm der Postmeister, daß außer den Briefen für den Förster auch einer für ihn da sei. Ein Brief für ihn! Ihm schwindelte. Es war der erste, den er in seinem Leben je erhalten hatte. Kein Wunder, daß er vor Begierde brennt, den Inhalt kennen zu lernen. Er läuft spornstreichs zurück zu dem redseligsten seiner Freunde, dem Handlungsdiener, der ihm nicht blos Kaffee und Zucker verkauft, sondern auch stets die meisten Zeitungsnachrichten mittheilt. Blaß vor Aufregung, bittet er ihn, ihm den Brief vorzulesen. Der Ladenschwengel, ein loser Vogel, liest: „An den Schulmeister Sch– zu S–f. Da nunmehro der Krieg mit den Türken ausgebrochen ist und jeder Mann die Waffen ergreifen muß, um

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_737.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)