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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Hand zukommt, von der sie es nicht als Liebesgabe annehmen könnte. Lassen Sie uns deshalb Zeit und Gelegenheit, einander nahe zu rücken. Ueberdies, verzeihen Sie der Offenheit, ist Dora schon jetzt den Verhältnissen entwachsen, in welche Sie sie zurückzuführen gedenken. Sie paßt nicht mehr dorthin. Ich habe vor, zunächst ein paar Jahre zu reisen; nicht von Ort zu Ort zu wandern, sondern nur, mich im Auslande, in großen Städten, welche Centralpunkte geistigen Lebens sind, für längere Zeit zu fixiren, um, wonach ich mich lange gesehnt, einmal frei von allen Aeußerlichkeiten dem Studium meiner Liebhabereien zu leben. Diese Zurückgezogenheiten wünschte ich von Dora getheilt zu sehen. Ich sage Ihnen zu, daß mein Hauptaugenmerk sein soll, ihre Erziehung so zu leiten, wie ihre bedeutenden Anlagen dies bedingen. Wenn sie vollends erwachsen ist, mag sie über sich selbst bestimmen! Sie wird dann dazu reif sein. Und nun, beste Freundin, sprechen Sie Ihre Ansicht aus!“

Sophie war den Auseinandersetzungen des Grafen mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt. Ihr klarer Geist überblickte rasch, was ihr hier vorgelegt wurde, und ihre Entgegnung war deutlich:

„Was Sie mir über Ihre Pläne mittheilen, Herr Graf, erscheint mir wünschenswerth, auch für Dora. Sie mögen Recht haben, daß sie unseren bescheidenen Lebensverhältnissen schon einigermaßen entwachsen ist, jedenfalls muß ich aber darauf bestehen, daß sie mich jetzt nach Hause begleitet. Stimmt Rostan zu, dann holen Sie später Dora bei uns ab, wenn Sie in gedachter Weise Ihren Wohnort wechseln. Wir haben unser Kind nun über ein Jahr lang entbehrt und müssen ihr einen Eindruck dessen mitgeben, was das Vaterhaus dem Menschen bedeutet, ehe sie uns, in wieder veränderte Lage gebracht, für längere Dauer verlassen soll.“

„Dagegen läßt sich Nichts einwenden,“ sagte der Graf mit einer Herzlichkeit, wie sie ihm selten in die Augen trat. „Sie sind meinen Wünschen nicht entgegen. Nehmen Sie Dank dafür!“ Er küßte Sophiens Hand und zog sich zurück.




4.


Hugo Mattern war einer jener universellen Köpfe, die überall zu Hause sein wollen und es deshalb nirgend sind – schnell mit Allem fertig, immer dem kommenden Tage voraus. Die Aussichten dieses Sprosses einer verarmten Linie seines angesehenen Namens waren ursprünglich sehr gering. Aus dem Cadettenhause in ein Garderegiment übergegangen, wo sein vielverheißendes Wesen ihm bald den erstrebten Adjutantenposten erwarb, betrachtete er späteren Eintritt in den Generalstab als sein Lebensziel. Eine Zulage des Majoratsherrn, seines Onkels, machte ihm möglich, das, was Name und Stellung äußerlich von ihm forderten, aufrecht zu erhalten. Durch den frühen Tod des einzigen Sohnes dieses Oheims wurden seine Zukunftsaussichten wesentlich erhöht, seine gegenwärtige Lage aber wurde kaum verändert. Graf Mattern, der ältere, besaß eine rüstige Gesundheit und war seinem Neffen nur etwa zwölf Jahre im Alter voraus. Ging auch die Anwartschaft des Erbgutes jetzt auf diesen über, so lag der Antritt desselben voraussichtlich in weiter Ferne.

Anders gestalteten sich die Dinge, als der Majoratsherr den Hauptmann zu längerem Besuche bei sich einlud und ihm eröffnete, daß er an eine Verbindung zwischen seiner einzigen Tochter und dem Stammhalter gedacht. Da Letzterem die junge Cousine sehr wohl gefiel, stimmte er dem Vorschlage bereitwillig zu. Minna, zu dieser Zeit kaum siebenzehnjährig, zurückhaltend, sehr anmuthig, erschien ihm vielversprechend; mit der Exaltation, welche Graf Hugo allem Neuen entgegentrug, bildete er sich für seine Braut sogar eine jener Kopfleidenschaften an, die in ihrem Gegenstande zu erblicken glaubt, was sie selbst hineinphantasirt.

Da er nach vollzogener Verbindung, wie früher, beim Regimente verblieb und seine junge Frau stets den Sommer bei ihren Eltern auf dem Lande verlebte, empfand er seine Ehe nie als drückende Fessel. Er ließ es nicht an Aufmerksamkeiten für seine Frau fehlen; sein Ehrgeiz, überall als Cavalier par excellence zu erscheinen, bezeichnete auch den Ton, welchen er gegen die ihm wenig sympathische Gattin festhielt. Denn unsympathisch war ihm bald Alles an ihr geworden: ihre Einfachheit, ihr Vertiefen in die Dinge, ihr leiser, aber fester Widerstand, so oft er sie in die ihm eigenthümlichen Ueberstürzungen hineinzuziehen versuchte.

In der großen Welt wurde Graf Hugo sehr geschätzt: Alles, was er als Näscherei betrieb und wovon er im Gespräch den glücklichsten Gebrauch zu machen verstand, wurde ihm als ungewöhnliches Streben, als werthvoller Erwerb hoch angerechnet, und vielleicht war es dieses Bewußtsein, welches ihn ungern aus den Kreisen zurücktreten ließ, welche ihn auf solches Piedestal gehoben. Denn nachdem die Zeit herangekommen, wo er als Gutsherr Pflichten und Leistungen zu übernehmen hatte, eine Zeit, der er oft mit dem Gedanken entgegengesehen, dann zu beweisen, was er als Mensch und Denker in’s Leben zu rufen vermöchte, erwies sich auch dies wieder als eine jener bereits durch manche Phase erlebten Selbsttäuschungen. Mit Hast ergriff er die neue Aufgabe, quittirte den Dienst und warf sich in Feuereifer auf die Führung des Haus- und Hofregiments, um überraschend bald daran zu ermüden. Gewöhnt, alle seine Fähigkeiten bei dem geringsten Anlaß voll auszugeben, fehlte ihm Kern und Probe aller Kraft, die Ausdauer, und war dieses Capital erschöpft, ehe es noch Zinsen getragen. Als der zweite Winter auf dem Lande hereindrohte, begab sich der Graf, einer kleinen Hofcharge Rechnung tragend, nach der Residenz und nahm von dieser Zeit an alle früheren Lebensgewohnheiten wieder auf. Er störte seine Frau nicht in ihrem Wunsche, daheim auf dem Gute zu bleiben, überließ es ihr, dort die Zügel zu führen, und fühlte sich, wenn er von Zeit zu Zeit einsprach, ungleich behaglicher als vordem. Unter diesen Zuständen hatte sich während der letzten Jahre sogar ein Verhältniß zwischen den Gatten hergestellt, das für den Alles nach seinem persönlichen Bedürfnisse färbenden Sinn Mattern’s einen gewissen Reiz erhielt. So aufzutauchen, wieder zu verschwinden, Liebenswürdigkeit auszugießen wie aus einem Füllhorne und mit der stillen Ueberzeugung von dannen zu gehen, daß ein Mann wie er unendliches Vermissen hinter sich lassen müsse, entsprach ganz und gar seinem Wesen. Als ihm nun so unverhofft noch Aussicht zu einem Erben aufging, steigerte sich das Gefühl für seine Frau bis zur Wärme; er blieb seit Jahren zum ersten Male monatelang daheim und fand im Studium der verschiedensten Bücher, bei Jagden und nachbarlichem Verkehre, daß sich auch auf dem Lande angenehm leben lasse.

Der Schlag, welcher ihm Besitz und Hoffnung zugleich raubte, traf ihn tiefer, als er selbst für möglich gehalten, und sein Wunsch, Dora, das einzige lebende Gedächtniß, welches seine Frau zurückgelassen, bei sich zu behalten, erwuchs einem wirklichen Eindrucke der Entbehrung und Vereinsamung.

In dieser Gemüthsstimmung, welche sein zerfahrenes Wesen in hohem Grade milderte und befestigte, machte Mattern, als er einige Wochen später nach Danzig kam, um Dora abzuholen, auf den Regierungsrath Rostan einen sehr günstigen Eindruck. Graf Hugo gab leicht den Ton eines Jeden an, mit dem er verkehrte, nicht aus Verstellung, sondern durch die Schmiegsamkeit seines beweglichen Naturells. Die Wärme, womit er sich über Dora äußerte, die aufrichtige Trauer um seinen eigenen Verlust und so manche gediegene Ansicht, die er laut werden ließ, befestigten in Rostan die Ueberzeugung, daß sein Kind unter des Grafen Führung gut aufgehoben sein würde, und er entließ sie beruhigt aus seinem Hause.

Mattern verlebte drei Jahre im Auslande. Zuerst ging er mit Dora nach Rom, später nach Paris, und sein Gelöbniß, sich dem heranreifenden Kinde ganz wesentlich zu widmen, ward treulich gehalten, zu getreulich. Mit der Hast, die er in alle Dinge brachte, im Gefühle momentaner Leere, riß er das Denken und Werden des jungen Mädchens an sich, so weit er diesem selbstständigen Naturell gegenüber dazu im Stande war. Als charakteristisch für die Weise, womit er Alles anzugreifen pflegte, durfte gelten, daß er sogar ihren Namen umschuf und sie durch Anruf des romantischen Zuges, der jeder Jugend eigen, dazu bestimmte, statt Dora das feierlichere Thea zu adoptiren.

Die Treibhausluft, in welche Mattern seine Pflegetochter gebracht, blieb nicht ohne Einfluß auf sie. Zu jung, um bereits zu unterscheiden, wie oberflächlich die Bildung des Grafen war, imponirte seine blendende Art, Alles auszudrücken, dem feurigen Kinde in hohem Grade, und schrak sie auch anfangs vor seiner Skeptik zurück, so regte gerade das total von ihren bisherigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_758.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)