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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Von den Predigern werden Warnungen gegen dieselben von den Kanzeln herab verlesen. Es half nichts, daß sich später durch die Untersuchung der ausgezeichnnetsten Chemiker herausstellte, daß die Leipziger Pottasche ohne schädliche Beimischung und die Vergiftungsgeschichte nur blinder Lärm gewesen sei. Balsamträger, die von den Briefen des Dr. Worm nicht erreicht worden waren, hatten das Elixir ruhig weiter verkauft und nirgends waren giftige Wirkungen desselben beobachtet worden.

Es half nichts, daß die schwarzburger Regierung das Resultat der Untersuchung in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften an die Regierungen bekannt machte. Das Hausiren der Balsamträger, Olitätenkrämer und Arzneihändler blieb bei Strafe verboten, ja in manchen Ländern sollte ihnen sogar der Durchgang durch das Gebiet nicht mehr gestattet und die Waaren beim Transport durch dasselbe confiscirt werden. Die schwarzburger Regierung war dem Medicinhandel gegenüber in eine unangenehme Lage versetzt worden. Es war dieser Industriezweig zu einer Zeit entstanden, wo der Handel mit Arzneiwaaren in keinem deutschen Staate verboten war. Er hatte sich immer mehr entwickelt. Eine Menge Menschen nährte sich davon und zog, wie gewissenhafte Männer versicherten, jährlich mehrere Hunderttausend Thaler fremdes Geld in das Land. Im Jahre 1805 wurden neunundzwanzig Laboranten und sechshundertvier Olitätenhändler ermittelt. Sollte man die Fabrikation der Arzneiwaaren und den Handel mit denselben nun, wo derselbe mit den Gesetzen der meisten Länder in Widerspruch gekommen war, verbieten, Elend, Verarmung, ja völlige Brodlosigkeit über einen ganzen District herbeiführen? Man wird zugeben müssen, daß dies der schwarzburger Regierung nicht zuzumuthen war. Wenn sie sich auch bestrebte, andere Industriezweige einzuführen, so war es doch unmöglich, sogleich durch dieselben Ersatz zu bieten. Sie versuchte dagegen Alles, um eine gewisse Ordnung in das Laborantengeschäft zu bringen.

Obgleich auch bisher schon von dem Amtsphysicus vor Amte Diejenigen, welche Laboranten werden wollten, examinirt worden waren und nach bestandener Prüfung verpflichtet wurden, sowie auch die Olitätenhändler, wurde doch eine neue Verordnung erlassen, in welcher diese Bestimmungen verschärft wurden. Es soll Keiner die Erlaubniß zu laboriren, das heißt Medicinwaaren zu verfertigen, erhalten, der nicht seine Recepte oder das Dispensatorium, nach welchen er arbeitet, dem Physicus anzeigt. Dann erst wird er zum Laborantenexamen zugelassen. Er erhält nach bestandener Prüfung, und nachdem er verpflichtet worden ist, die Erlaubniß, alle von ihm zur Prüfung vorgelegten Recepte, durchaus aber keine anderen Medicamente, zum Verkaufe zu verfertigen. Er darf seine Medicinwaaren nicht anders als bereits gefüllt, versiegelt und verpackt an die Medicinhändler abgeben, zu welchem Zwecke jeder Laborant sein eigenes Petschaft zu führen hat. Zum Medicinhändler soll Keiner aufgenommen und verpflichtet werden, der nicht wenigstens drei Jahre mit seinem Vater oder mit einem anderen verpflichteten Medicinhändler gereist ist. Die Medicinhändler sollen sich alles Curirens und Pfuschens in der Medicin und Chirurgie enthalten und durchaus keine Medicamente selbst verfertigen. Sie sollen ferner nur bei einem bestimmten Laboranten ihre Medicamente entnehmen und von einem Anderen nur dann Waaren bekommen, wenn sie ein Attest ihres bisherigen Laboranten beibringen, wonach derselbe bezeugt, keine Anforderungen mehr an Jene zu haben.

Allein diese Vorkehrungen genügten nicht, die gegen den Medicinhandel gerichteten Verbote der übrigen Regierungen rückgängig zu machen. Im Gegentheil wurden die Maßregeln gegen die Balsamträger und Olitätenkrämer immer schärfer. Eine an die schwarzburgische Regierung, natürlich in französischer Sprache, gerichtete Zuschrift des damaligen Königreichs Westfalen 1810 nennt die Händler in echt französischen Hyperbeln eine wahre Pest im Laufe ihrer Invasion, die eine gute Polizei nicht dulden dürfe, ohne das öffentliche Wohl zu compromittiren. Vom königlich sächsischen Ministerium läuft später eine Liste der von 1825 bis 1835 aufgegriffenen Medicinhändler ein, an Zahl siebenundachtzig, deren Waaren confiscirt, und die auch sonst mit Geld und Gefängnißstrafen belegt worden waren. Aehnliches geschah in allen übrigen Ländern. Aus diesem Grunde wagten es die Medicinhändler bald nicht mehr, unter ihrem alten Titel zu reisen. Sie zogen als Glas-, Porcellan-, Sämereienhändler in die Welt, und da die Pässe nicht mehr auf den Namen „Olitätenhändler“ ausgestellt werden durften, wurden auch keine Medicinhändler mehr verpflichtet.

Hierdurch gelang es der Schwarzburger Regierung auch, die Reclamationen fremder Regierungen zurückzuweisen. Aber auch unter dieser neuen Firma des Porcellan- und Glashandels waren sie der schärfsten Controlle unterworfen und vor den Nachstellungen der Polizei nicht sicher.

Dennoch, trotz der härtesten Maßregeln der Regierungen, ist es ihnen nicht gelungen, den Medicinhandel zu unterdrücken. Das Laborantengeschäft ist noch heute die Nahrungsquelle vieler Ortschaften der Schwarzburg-Rudolstädter Oberherrschaft. Viele Laboranten beziehen die Messen, versenden auch große Mengen von Arzneimitteln über die See. So fand man, daß ein Laborant, der nicht zu den bedeutendsten gehörte, auf einmal hundertfünfzig Pfund Kaiserpillen nach Hamburg sandte.

Der Medicinhandel ist noch immer ziemlich lohnend, dabei interessant, nicht angreifend und Ansehen verschaffend. Ein damit vertrauter und zuverlässiger Mann gab im Jahre 1857 an, daß in einem kleinen Orte von dreizehn Medicinhändlern nach Abzug aller Auslagen und Bedürfnisse ein jährlicher Reingewinn von circa siebentausend Gulden gemacht werde. Manche Laboranten haben sich ein ganz anständiges Vermögen erworben, wovon die ansehnlichen Häuser derselben Zeugniß ablegen. Manches Laborantengeschäft ist so gut und reichlich eingerichtet wie die beste Apotheke. Die Medicinwaaren haben jedoch am Bereitungsorte selbst einen sehr geringen Preis. Meist sind die althergebrachten Namen und Gebrauchsanweisungen der Medicamente beibehalten; sogar das Papier, worauf die Gebrauchsanweisungen gedruckt sind, hat die Farbe und das Ansehen wie in früheren Zeiten. Auch die Fläschchen, in welche die Arzneien gefüllt werden, haben die althergebrachte Form, denn das Volk hält am Alten fest, und in Tausenden von Häusern wird der Balsamträger noch gern gesehen und gegen die Verfolgungen der Polizei so viel wie möglich geschützt. Man kauft, was die Mütter und Großmütter gekauft und geschätzt haben. Wie der viele Krankheiten betreffende Aberglaube auf dem Lande, wie leicht nachzuweisen ist, von den Aerzten des sechszehnten Jahrhunderts, von Paracelsus und seiner Schule, eingeführt worden ist, von dem sich das Volk bis heute noch nicht losreißen konnte, so wurden auch die Arzneien der Balsamträger von früheren Aerzten erfunden, und das Volk hat sie als Hausmittel, die gleich zur Hand sind, wenn etwas verkommt, beibehalten. Oft ist ja der nächste Arzt erst in mehreren Stunden zu erreichen; so hat man doch wenigstens einstweilen etwas, die erste Angst zu beschwichtigen.

Wir haben oben das Urtheil des Königseer Amtes angeführt, nach welchem die geringe chemische Kenntniß der Laboranten die Schuld an dem Verfalle des Geschäftes haben sollte. Wir glauben jedoch, daß gerade die Kenntniß neuer Stoffe und deren Verwendung dem Medicinhandel Schaden gebracht haben. Wären die Laboranten bei ihren alten unschuldigen gebrannten Wassern, Balsamen und Olitäten geblieben, so würde man ihnen nicht den Vorwurf haben machen können, sie richteten durch Verabreichung von schädlich wirkenden Substanzen Schaden an. Die in Tausenden von Attesten beglaubigte Wunderwirkung der neueren Brustsyrupe, die aus nichts als gekochtem Zucker bestehen, beweisen schon, wie es gar nicht darauf ankommt, daß eine solche Medicin wirksame Stoffe enthalte. Der Glaube thut das Meiste.

Die beste Kritik des Laborantenwesens haben wir in einer Schrift der gothaischen Regierung an die schwarzburgische bei Gelegenheit der Worm’schen Sache gelesen. Diese sagt, sie glaube, keinen besseren Beweis gegen den Arzneihandel bringen zu können, als das von der schwarzburgischen Regierung selbst Gesagte, nach welchem die Worm’sche Arznei nur übel gewirkt habe, weil sie verkehrt angewendet worden sei. Eben deshalb könne man solches nicht Unberufenen in die Hände geben, noch weniger aber zusehen, wie leichtgläubigen Landleuten dergleichen als Universalmedicin angepriesen und aufgeschwatzt werde.

Die Medicinhändler verfertigen in der neueren Zeit ihre Waaren selbst und die Laboranten sind zum größten Theile Droguisten, von denen jene die Rohstoffe kaufen. Titel von den gebräuchlichsten Arzneien, die verfertigt werden, sind: Redlinger’sche,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_797.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)