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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

„I, sehe der Herr ’mal an! Das ist ja ganz interessant. Er ist wohl beim König im Dienst?“

„Nun, das gerade nicht; aber …“ da der Sprechende einen Schritt auf den Altan vortrat, so wurde bei dieser Gelegenheit die Flöte sichtbar, die er bisher in der fast soldatisch an seiner rechten Körperseite angelegten Hand wie ein kleines Gewehr aufrecht stehend trug.

„Nun weiß ich’s auf einmal, wer der Herr ist,“ schaltete die Castellanin vergnügt ein.

„Das wäre?“

„Ein Musicus, stimmt auch mit Dem, was der Nehemia, unser Heiduck, erzählte, ganz überein. Sein König will Concerte hier geben, und da hat er den Herren von Berlin nachkommen lassen. O, wenn ich nur einmal A weiß, das B kommt nachher von selber. Er ist also hier …“

„Zu Besuch,“ berichtigte Jener, auffallend heiter werdend. Nach kurzer Pause fügte er hinzu „Zum Immerhierbleiben wird sich’s nicht machen.“

Die Frau Castellanin schien diese Aeußerung als einen Ausdruck des Bedauerns anzusehen. Ihr Blick ruhte sehr wohlgefällig auf dem Manne. Er hatte so etwas Respectables an sich, so etwas Ruhiges in seinem Benehmen, das ihr imponirte. „Ich höre die Flautuse sehr gerne spielen,“ hob sie nach ganz kurzer Pause an. „Wenn sie gut geblasen wird … und könnte Er das nicht, hätte Sein König Ihn gewiß auch nicht nachkommen lassen … wenn sie gut geblasen wird, geht mir’s ordentlich in Seele und Herz hinein. Ach, Unsereins weiß das Schöne zu würdigen. Wie heißt denn der Herr, wenn ich fragen darf?“

„Fritz.“

„Ist das ein seltsamer Zufall! Meiner seligen Schwägerin ihres Onkels Stiefbruder hieß Fritze.“

So ruhig und ernst das Gesicht des Berliner Musicus auch sich zeigte, so ließen seine Züge doch ein Zucken wahrnehmen, das mit dem Wetterleuchten am nächtlichen Himmel zu vergleichen war. Wie bei dieser Naturerscheinung die hochgespannte Elektricität sich kund giebt, so verrieth das Zucken in den Gesichtszügen des Mannes das Vorhandensein eines elektrischen Stromes, desjenigen der Lachlust, die er jedoch beherrschte. „Ja, es ist überhaupt merkwürdig mit den Namen,“ sagte er. „So haben sie mich in meiner Familie der Unterscheidung wegen mit der Nummer Zwei belegt.“

Diese Aeußerung ging spurlos an der Frau Castellanin vorüber; sie schien sie nicht verstanden zu haben. Dagegen haftete aber ihr Blick mit sichtbarem Wohlgefallen auf dem in großer Ruhe vor der Thür auf dem Altan Stehenden. Nach einer ganz kurzen Pause hob sie an: „Nun, Herr Fritz … Er erlaubt’s doch, daß ich ihn bei seinem Namen nenne?“

„Warum nicht? Sie thut nur das, was alle Welt thut.“

„Freilich, freilich, jedem Topf seinen Henkel, jedem Menschen seinen Namen … da kann keine Irrung vorkommen. Wer ich bin, will ich dem Herrn mit ein paar Worten offenbaren. Ich bin die Frau Castellanin hier und seit anderthalb Jahren Wittwe. ’s ist ein seelenbetrübender Stand, wenn man von Natur und durch Bildung ein gefühlvolles Herz hat. O Gott!“ Sie strich sich mit der Schürze über die Augen hin und redete dann, nachdem sie auf den ihr Zuhörenden einen prüfenden Blick geworfen, sehr eifrig weiter: „Vorher meinte der Herr Fritz: Zum Immerhierbleiben würde es sich nicht machen. Nun, es könnte sich aber doch machen.“

„Wie das?“ fragte Jener mit sichtbarer Ueberraschung.

„Sehe Er, mit Seinem König wird’s bald Matthäi am Letzten sein. Aus Böhmen her rückt ein großer General-Feldmarschall mit einem ungeheuren kaiserlichen Heere in Sachsen ein, um sich mit unserer Armee zu vereinen, und dann Gnade Gott Seinem König! Er kommt rascher nach seiner Brandenburger Streusandbüchse zurück, als er in unser Land eingerückt ist. Da wird’s heillos zugehen und zuletzt … na, das kann Er sich ja denken, Herr Fritz, was das Ende ist. Zuletzt wird er froh sein, wenn er seine Flautuse und seinen Sand behält, denn ’s Andere geht für ihn in die Brüche.“

Dieses Calcül schien den Zuhörenden ganz starr zu machen. „Woher weiß Sie das?“ fragte er.

„Unsereins hat Connexionen, Herr Fritz,“ antwortete die Gefragte mit einem Anflug von Stolz. „Kann Ihm nur diesen Wink geben. Möchte Ihn nicht gern in’s Unglück rennen sehen. Bleib’ Er hier! rathe es Ihm. Er kann ja hier ebenso gut die Flautuse blasen, kann Kammermusicus werden … verspreche Ihm, mit meiner gnädigsten Gräfin Seinetwegen ein verständiges Wort zu reden. Sie ist die rechte Hand von Seiner Excellenz dem Herrn Premier, Reichsgrafen von Brühl, und … unter uns gesagt: Der regiert’s Land, und meine Gnädigste … regiert ihn. Da könnte Er, Herr Fritz, doch sagen: Sein Besuch habe Ihn auf einen grünen Zweig gebracht … ’s giebt hier manche gefühlvolle Seele, die die Flautuse gern hört. Laß Er Das nicht aus den Augen!“

„Nein, nein, werd’s überlegen. Für jetzt Adieu, Frau Castellanin … à revoir!

Der Berliner Musicus stieg, seinen Dreispitz vor ihr lüftend, die Stufen hinab und schritt langsam eine der in den Park führenden Alleen entlang. Frau Marianne schaute ihm nach. Er schlug einen Fußpfad ein, welcher, zwischen den mannigfaltigsten Baumgruppen hindurch, dem Innern dieser großen grünen Welt zuleitete. Der Mann ging langsam, und als er ihrem Blicke entschwand, sprach sie vor sich hin: „Der Nehemia ist doch eigentlich keine rechte Partie für mich … freilich ein kräftiger, stammhafter und nebenbei sogar ein ganz hübscher Mann; aber … ich bin doch viel zu gebildet, um darauf allein Werth zu legen; der Herr Fritz hat da einen gewissen Vorzug, ist Künstler, das wiegt schon etwas auf. Und was er für wunderbar große, schöne Augen hat! Der Augen wegen kann man sich schon in ihn verlieben … Nehemia hat so kleine Augen und zwinkert damit, als schiene ihm die Sonne hinein.“

Die strenge Controle, unter der sie die an den Fenstern beschäftigte Martha gehalten, zeigte sich von der Einwirkung der neuen Bekanntschaft, welche Frau Marianne gemacht hatte, außerordentlich gelockert, denn sie ging an den Parterrefenstern hin, ohne ihnen nur einen Blick zuzuwenden. Sie spazierte langsam ihrer Wohnung zu, sehr gedankenvoll über die Kunst, die Flautuse zu blasen.

(Fortsetzung folgt.)




Der Meistersinger von München.


Daß die Genies vom Himmel fallen, ist ein Glaube, der früher alleinseligmachend war, in der Jetztzeit aber zu den völlig überwundenen Standpunkten gehört. „Wunderkinder“ und „phänomenale Erscheinungen“ begafft man nicht mehr mit ehrfurchtstummer Bewunderung, sondern betrachtet sie heutzutage mit mißtrauischem Kopfschütteln, und die in regelmäßigen Intervallen auftauchenden neuen „Sterne am Kunsthimmel“ werden von unseren kritischen Astronomen erst durch scharfe Ferngläser fixirt, um zu erkunden, ob ihr scheinbarer Glanz nicht etwa nur ein nebelhafter Flimmer ist, ob die „Sterne“ sich nicht am Ende als Irrlichter erweisen; und bei dieser Gelegenheit ist schon Mancher „aus den Wolken gefallen“. Es hat sich eben allgemein die Ueberzeugung befestigt, daß allein mit der „angeborenen Genialität“ recht wenig zu erreichen ist, und sehr treffend bemerkt Oskar von Redwitz in jenem an einen jungen Dichter gerichteten Brief, den die „Gartenlaube“ kürzlich veröffentlicht hat: „daß das Feuer des besten Talentes endlich erkalte, wenn nicht tüchtiges Holz des Lernens nachgelegt wird.“ Die gegenwärtige Kritik begnügt sich nicht mit den „goldenen Aepfeln“ einer hervorragenden Naturbegabung, sie verlangt auch die „silbernen Schalen“ einer kunstmäßigen planvollen Ausbildung. Unablässige Strebenskraft, ernsthafte Arbeit fordern wir heutzutage von Jedem: wir verlangen sie von den Helden der Weltbühne und verlangen sie von den Helden der Bühnenwelt, wir verlangen sie von dem Dichter, der durch die Töne der Sprache wirkt, und verlangen sie von dem Sänger, der durch die Sprache der Töne uns ergreift.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_806.JPG&oldid=- (Version vom 31.7.2018)