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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


ja sogar wie Zorn. „Doris, arme Doris!“ flüsterte er, indem er langsam weiter schritt.

„Auch sie heißt Doris … hm, wer mag sie sein?“ Diese natürlich unbeantwortet bleibende Frage erhielt jedoch eine Enträthselung durch seine Erinnerung an Einzelheiten in der Erzählung des Junkers. „Der Wangenheim kennt sie,“ sagte der König. „Er muß mir über diese Doris rapportiren.“

Nach und nach verfinsterte sich sein Gesicht wieder, und zwischen seinen von Aerger ziemlich zusammengekniffenen Lippen drangen die Worte: „Köpping … Hundsfott der … soll mich kennen lernen … elender Raisonneur!“ hervor. – –

Der Hauptmann der dem königlichen Quartier zu Schutze dienenden Wachtmannschaft erhielt Befehl, bei dem König zu erscheinen, eine Ordre, die, weil man nicht vermuthen konnte, was sie bezwecke, bei seinen Umgebungen eine nicht geringe Sensation hervorrief, umsomehr, als nach langer Besprechung der König darüber schwieg und der Hauptmann gleichfalls Schweigen beobachtete. Das war so lange beunruhigend, bis einer der königlichen Ordonnanzofficiere die Entdeckung machte, daß am Hasensprunge ein Doppelposten aufgestellt worden. Darüber lachte man, denn die Geheimnißthuerei mit dieser Ordre erschien doch ein wenig zu weit getrieben; das konnte ja wie alle anderen Befehle ohne solche Verhüllung abgemacht werden.

Von den Stadtthürmen hatte die erste Stunde nach Mitternacht geschlagen, als eine Patrouille von sechs Mann, einem Corporal und dem wachthabenden Lieutenant aus dem Gatterthore marschirte, welches das Palais-Territorium nach jener großen tiefliegenden Wiesenfläche zu, die den Namen „Bürgerwiese“ führte, abschloß. Das war ungewöhnlich. Bisher hatte die jeden Mittag wechselnde Mannschaft der königlichen Quartierwache einen Patrouillendienst weder innerhalb noch außerhalb des Mosczynski’schen Grund und Bodens zu verrichten gehabt. Schweigend marschirte die Patrouille (… Jeder war neugierig, wohin es gehen werde …) längs der Umgrenzungsmauer hin; sie brauchte nicht Schritt zu halten, eine Thatsache, welche die Leute in Erstaunen setzte, weil das ganz gegen das gewöhnliche Herkommen lief. Tritt und zwar sehr hörbaren, gleichmäßigen Tritt halten, gehörte zur unerläßlichen Vorschrift für die größte wie für die kleinste Soldatenabtheilung. Am Hasensprunge außerhalb angelangt, wurde einen Augenblick Halt gemacht. Innerhalb am Eisengeländer stand der Hauptmann der Wache, und der die Patrouille führende Lieutenant wechselte mit ihm ein paar Reden in französischer Sprache; dann gab er Befehl, womöglich leise aufzutreten.

„Was soll das nur geben?“ flüsterten die Soldaten untereinander.

Endlich erreichten sie die beiden kleinen, niedrigen Gebäude, die mit ihren Dächern die Mauer überragten und zwischen denen sich das große eiserne Gitterthor befand.

Es war gestern windstill gewesen. Die mitternächtliche Stunde brachte einen gewaltigen Umschlag in dieser Beziehung mit sich. Von Westen erhob sich ein scharfer Luftzug, der, sich allmählich noch verstärkend, zum brausenden Winde anwuchs. Am Himmel zogen dunkle, schwere Wolkenmassen auf, die ihn unter dem Einflusse des sie gewaltig treibenden Windes bald ganz bedeckten und für den nächsten Tag viel Regen ankündigten. Der Lieutenant erreichte endlich mit seiner Patrouille, die, dem Winde entgegenmarschirend, nur langsam vorwärts kam, die beiden niedrigen langgestreckten Häuser und vertheilte seine Leute so, daß drei derselben mit ihm an dem einen, die anderen Drei mit dem Corporal an dem andern Gebäude Posto faßten. Ein gewaltiges Rauschen machte hoch über ihren Häuptern aus dem Parke her sich hörbar, als zöge die Gespensterschaar der fabelhaften wilden Jagd durch die in tiefe Nacht gehüllte Baumwelt. Um sich nur ein wenig vor der Unbill des immer ärger tobenden Windes zu schützen, standen die Mannschaften beider Posten hart an die Mauer gedrückt in anbefohlenem Schweigen. Es war eine sehr harte Prüfung, der sie sich ausgesetzt sahen. Auch nicht einmal der Uhrschlag von den Stadtthürmen kürzte ihnen die Zeit, denn jeder Ton verwehte ungehört im Winde.

Sie mochten in dieser höchst unerquicklichen Position ungefähr anderthalb Stunden ausgehalten haben, als ihnen in einer nur wenige Secunden dauernden Pause, die der heulende Wind in seinen fürchterlichen Anstrengungen eintreten ließ, ein lebhaftes Geräusch, als werde ein schwerer Gegenstand oben an den Mauerrand gelehnt, zu Ohr kam. Leise befahl der Lieutenant, da dieses Geräusch an der Stelle hörbar ward, wo er mit seinen drei Mann stand, daß der Corporal mit seiner Mannschaft zur Unterstützung seines Postens herankomme. Kaum war dies geschehen, als sich oben auf der Mauer eine kräftige Stimme hören ließ:

„Haltet die Leiter fest, Leute! Ich lege jetzt die Schlingen um die beiden Langstangen und dann halte ich meine Niederfahrt. Eine verdammt finstere Nacht, meine Seel’! Aber sie hat auch ihr Gutes.“

Dieser, wenigstens in Beziehung auf die Mauerhöhe, auf der sie ausgesprochen wurde, erhabenen Aeußerung folgte eine Pause, dann hörte man dieselbe Stimme sagen:

„So, das wäre fertig. Grüßt mir meine Schwester und die Frau Castellanin! Sollen keine Angst um mich haben. Nun aber die Leiter festhalten, daß sie nicht wankt. Jetzt!“

Unmittelbar nach dem letzten Worte wurde das Geräusch des an der Mauer geschehenen Herabrutschens eines Gegenstandes vernehmbar. Das lange Verweilen der Soldaten in der finstern Nacht hatte ihre Augen insoweit an diese gewöhnt, daß sie die Gestalt eines Menschen erkannten, der zwischen zwei von der Mauer niederhängenden Leinen herabfuhr. Ehe er noch mit den Füßen den Erdboden erreichte, nahmen die Soldaten ihn fest, und zu gleicher Zeit, ehe er einen Laut schreckhafter Ueberraschung ausstoßen konnte, drückte sich eine breite feste Hand auf seinen Mund.

„Keinen Mucks, Herr, um Ihrer selbst willen nicht! Die Bekanntschaft mit unseren Bajonneten ist keine angenehme,“ raunte ihm der Lieutenant zu. Für den Ergriffenen war stilles Fügen in diese gleichsam vom Nachthimmel auf ihn gefallene Schicksalstücke das einzig rathsame Mittel, besonders da er keine Gegenwehr leisten konnte, denn um seine Hände vor dem Durchreiben an den beiden zu seiner Niederfahrt dienenden Leinen zu bewahren, hatte er sie mit Tüchern umwunden. Jenseits der Mauer wurde, da unter dem sausenden Winde kein Laut von ihm zu hören war, die Leiter aufgerichtet und dadurch die mittelst Schlingen an deren Langstangen befestigten Leinen in die Höhe und über den Mauerrand zurückgezogen. Mittelst eines um jeden seiner Arme gelegten Strickes, dessen Ende sich in den Händen der Soldaten befand, wurde der Gefangene auf demselben Wege, den die Patrouille hierhergenommen, forttransportirt. Der feste Tritt der Soldaten, welche sehr eilig im Geschwindschritt marschirten, blieb unhörbar unter dem gewaltigen Rauschen des Windes und seinem vielstimmigen Geheul über die Felder hin.




4.

Mit Anbruch des Morgens hatte sich der Wind gelegt, und die schweren dunkeln Wolkenmassen, welche dem folgenden Tage das üble Prognostikon eines sehr regenreichen gestellt hatten, waren mit ihm verschwunden, dafür war aber bis in die neunte Morgenstunde ein grauer Nebelschleier zurückgeblieben, den jedoch die Sonne mit siegesstrahlendem Antlitze durchbrach. Sie goß über das reizende Elbthal die Fülle ihrer Glorie.

Die Frau Castellanin saß beim Morgenkaffee so still in ihrer Stube, als haben sich ihre Gedanken in die ziemlich mißlichen Zustände der Zeit vertieft. Trotzalledem war sie ungewöhnlich geputzt. Ein pfirsichblüthenfarbiger, sehr weiter und bauschiger seidener Rock, ein blauseidenes enganliegendes Mieder mit kurzen Aermeln und einer sehr langen Schneppe, ein schneeweißes Brusttuch von Mull mit ebenso reichem Spitzenbesatz wie die Miederärmel, das als eine zierlich gesteckte Draperie den Busen verhüllte, und eine ganz ausgezeichnete Dormeuse, die ihrem Kopfe das Ansehen einer umfangreichen Bastion verlieh, auf der zwei breite blauseidene Schleifen wie ein paar Maulthierohren sich erhoben und mit dem unter dem Kinn zusammengebundenen gleichfarbigen Bindebande correspondirten – alles dies verschönte heute das Aeußere Frau Mariannens. Vorzüglich die Dormeuse, ein Haubenungeheuer damaliger Zeit, erweckte bei ihr, die ihre Blicke auf den ihr gegenüberhängenden Spiegel gerichtet hielt, sichtbares Wohlgefallen. Sie erinnerte sich an die Zeit ihrer Kammerjungferschaft, wo sie in Verfertigung von derlei Putzgegenständen für ihre gnädigste Gräfin, eine Dame, welche den Ton im höchsten Hofkreise anzugeben pflegte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 821. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_821.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)