Seite:Die Gartenlaube (1874) 126.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und des Karstgebirges sind uns und den kommenden Geschlechtern ungeheure Warnungszeichen. Trotzdem macht der Mensch sich noch immer, wenn auch nicht so schwerer, so doch bedenklicher Mißhandlungen an der Natur schuldig.

Eine ganze Thiergattung scheint einer unsinnigen Verfolgungswuth ausgesetzt zu sein, und nur wenige Maßnahmen deuten in den letzten Jahrzehnten auf eine Umkehr hin. Ich meine die stumme Gesellschaft des Wassers, die Fische.

„Ach, wüßtest du, wie’s Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund!“

singt Goethe; aber das ist schon lange her! Zu einem Wohlbefinden läßt der Mensch die Fischlein nicht mehr kommen; selbst in den ungeheuren Jagdgebieten des Meeres hat er es fertig gebracht, einzelne Gattungen zu decimiren, und in den Binnengewässern, namentlich in den kleineren, führen die Fische kein ruhigeres Dasein als die Hasen in England, wo bekanntlich seit Jahrhunderten keiner mehr eines natürlichen Todes gestorben ist. Und Freund Lampe erfreut sich dort noch einer Schonzeit, wo er sich den süßen Sorgen um eine Nachkommenschaft hingeben kann; der unglückliche Fisch aber kennt eine solche Begünstigung nicht, ja, in den meisten Fällen trifft ihn der Tod in den erfolgreichsten und glücklichsten Stunden, in denen er sich der Zukunft seines Geschlechts gewidmet hatte. Die Gewässer namentlich unseres Erzgebirges sind ferner durch die niederträchtigsten Fangarten, wie die durch Kalk, Kockelskörner, Dynamit etc., mit denen wohl Hunderte von Fischen getödtet, aber nur wenige erbeutet werden, geradezu entvölkert worden; auch Mutter Industrie mit ihren malitiösen Abgängen in die Flüsse hat das Ihrige dazu beigetragen, obwohl sie ihren Unrath auf leichte Weise oft noch verwerthen oder wenigstens filtriren könnte; im Ganzen wollen wir ihr indeß keine großen Vorwürfe machen, denn ihr Gedeihen hebt einen guten Fischbestand mittlerer Flüsse, wie solche unser Erzgebirge durchströmen, reichlich auf; nur wo sie unnöthiges Unheil anrichtet, da sollte sie in Strafe genommen werden.

Dem aristokratischen Touristenfische, Ritter Salm, muß es bei uns längst zu bürgerlich industriös geworden sein; er besucht uns fast gar nicht mehr, und thut er es hier und da noch, so bezahlt er seine alte Anhänglichkeit fast regelmäßig mit dem Tode. Die vielen Fabrikwehre mit ihren mörderischen Fangvorrichtungen sind ihm zum Sterben unbequem geworden, und einer frisch-fromm-fröhlich-freien Springstange, die ihm eigentlich, nach Darwin’scher Theorie, wachsen müßte, erfreut er sich zur Stunde noch nicht. Fast ebenso selten sind die Forellen bei uns geworden, und im übrigen Deutschland sieht es nicht viel besser aus.

Der Schottländer Burns vergleicht in einem seiner herrlichen Volkslieder die Freude mit einer Forelle, wer aber die Freude auf Grund seines hungrigen Magens mit Forelle definiren wollte, der darf nicht zu uns in das einst so forellenberühmte Erzgebirge kommen, wo gegenwärtig das Pfund Forellen mit drei Mark bezahlt wird und dafür noch schwer zu haben ist. Kurz, es ist nicht nur Etwas, es ist Alles faul im Staate der Ichthyophagen. Aber, wie gewöhnlich, wenn die Noth am höchsten ist, so ist auch diesmal – eine Erfindung am nächsten, wenigstens die Ausbeutung einer solchen, ich meine die Ausbeutung der Jacobi’schen Erfindung, die künstliche Befruchtung der Fischeier. Andere Länder sind bereits darin vorangegangen und Sachsen reiht sich jetzt mit einem umfangreichen Unternehmen diesen Bestrebungen an.

Gelehrte und Volkswirthe hat das Versiechen der einst so reichen und gesunden Ernährungsquelle längst beängstigt, und in Büchern und Zeitschriften, auch in der Gartenlaube, haben sie warnend oder belehrend ihre Stimme erhoben. Wenigen ist jedoch Gelegenheit geboten gewesen, der schwerfälligen Menge mit augenscheinlichen Beispielen voranzugehen und ihr zu zeigen, welche Reichthümer sie sich erschließen könnte. Bloße Belehrungen sind nicht hinreichend; um so mehr darf des Verdienstes eines Mannes gedacht werden, der, ohne viel Aufhebens davon zu machen, unermüdlich arbeitete, um einen so wichtigen Zweig der modernen Cultur in Credit und Aufnahme zu bringen, eines Mannes, der, von Mißerfolgen nicht entmuthigt, dem Volke zeigen wollte, daß auch eine Saat in’s Wasser sich lohnt, ja bei Weitem ertragfähiger werden kann als eine solche in das Erdreich. Es ist dies der königlich sächsische Forstwirth Richard Bruhm, der Gründer der Gesellschaft für Edelfischzucht zu Chemnitz, welcher bereits seit 1869, und zwar zuerst in Dittersdorf, sich mit der Anlage von Fischzuchtanstalten beschäftigte und später durch Ankauf zweier Bauergüter zu Einsiedel für zwanzigtausend Thaler die Anstalt in’s Leben rief, unterstützt durch das schöne silberreine Quellwasser, welches jenes Grundstück in reicher Fülle darbietet.

Große Reisen in die verschiedenen Anstalten Oesterreichs, Deutschlands und Frankreichs ergänzten die praktischen Erfahrungen Bruhm’s. Der Bau der Einsiedler Anstalt begann vor etwa zwei Jahren mit zahlreichen Arbeitskräften, so daß die Herstellung der ganzen Arbeit bis auf einige erweiternde Teichbauten bis zur gegenwärtiges Brutsaison ermöglicht werden konnte.

Es ist eine für das Gedeihen der Anstalt zwar gleichgültige, aber recht angenehme Thatsache, daß dieselbe eine anmuthige, wahrhaft poetische Stätte gefunden hat. Die beiden erkauften Güter, welche eine Grundfläche von zwanzig Hectaren umfassen, liegen in einem kleinen Seitenthale des Zwönitzflusses, wie es lieblicher nicht gedacht werden kann; das Gute dabei ist, daß diese romantische bergige Beschaffenheit die Ausnutzung des Terrains außerordentlich erleichterte und verbilligte; fichtengrüne Höhenzüge schließen die Stätte fast ringsum ein. Vierzehn tiefe, meergrüne Teiche reihen sich an einander; eine Menge von krystallhellen Quellen liegen wie ebenso viele klare Augen verstreut auf den Fluren, und ihre silbernen Thränen plätschern, zu einem kleinen Bach vereinigt, von Teich zu Teich und dem Zwönitzthale zu. Neben den Teichen erstrecken sich schlangenartig verschlungen etwa achthundert Meter lange Gräben, zur Aufnahme der jungen Fischbrut angelegt. In den Teichen selbst zanken sich drei- bis viertausend angekaufte Zuchtforellen um das Futter. Diese selbst bilden den Stamm des zukünftigen Bestandes und repräsentiren ein schwimmendes, eierlegendes Capital von über fünfzehntausend Mark.

Ein Hauptfactor des Gedeihens und ein nicht genug zu schätzender Vorzug dieser Anstalt vor anderen ihrer Art ist der, daß kein Wasser verwendet zu werden braucht, welches nicht auf eigenen Grundstücken entsprungen wäre. Mutter Industrie wäscht sich jetzt fast an jedem Wässerlein ihre schwieligen unreinen Hände, und die Anstalt müßte in beständiger Angst um ihre Zöglinge leben, wenn es Jener einmal einfallen sollte, dem Lämmlein das Wasser zu trüben und es hinterher auch noch aufzufressen. Ferner ist der bedeutende Fall des Terrains ein großer Vortheil; er ermöglicht die eigene Aufzucht eines guten Theils der ausgebrüteten Fische und reducirt die Kosten der Teichanlagen auf die Hälfte. Man konnte sich an den meisten Stellen mit einem bloßen Querdamm begnügen. Die deutsche Verwaltung der großen Fischbrutanstalt zu Hüningen im Elsaß hat dagegen mit Bedauern erkannt, daß die Franzosen in der Wahl des Platzes sich unbegreiflicher Weise vergriffen haben; sie sieht sich der ebenen Lage wegen außer Stande, Lachse und Forellen in großer Menge selbst aufzuziehen. Ein weiterer Vortheil der Einsiedler Anlage ist der, daß zur Verbrütung der Eier ganz nach Belieben Quellwasser oder auch das im Winter kältere Bachwasser verwendet werden kann; hierdurch ermöglicht sich eine ganz genaue Regulirung der bei diesem Geschäfte so wichtigen Temperatur. Der für die Entwickelung der Eier günstigste Wärmegrad kann also bei ganz extremen Witterungszuständen festgehalten werden, da die Quellen bekanntlich nur wenig differiren. Eine Wasserleitung von Steingutröhren führt das zum Brüten bestimmte Quellwasser in ein dreißig Meter langes und zwanzig Meter breites Bruthaus, in welchem achtundzwanzig große, von Cement gegossene Bruttröge stehen, von denen ein jeder sechszigtausend Eier aufzunehmen im Stande ist. Das Wasser vertheilt sich im ganzen Gebäude durch eine Rohrleitung, so daß jeder einzelne Trog seinen selbstständigen Zu- und Abfluß hat. Das Haus für die Beamten der Anstalt ist ein stattliches Gebäude mit schönen geräumiges Wohnungen, und es wäre sehr zu wünschen, daß jede andere Industrie für ihre Mitglieder ebenso gut sorgte. Unter dem Wohngebäude befinden sich in einer Art Halbstock die Verpackungsräume, von welchen aus die jungen erst halblebendigen Wesen, die in der Anstalt nicht selbst aufgezüchtet werden können, ihre Reise in die weite Welt wohlverpackt antreten sollen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_126.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)