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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Noch freilich ist das düstere Vernichtungsgesetz nur ein weiser Vorschlag, eine Willenskundgebung, ein verschmitztes Hamansplänchen der Regierung, noch ist darüber im ungarischen Reichstage nicht berathen und entschieden worden. Im Reichstage sitzen auch sächsische Abgeordnete, die für das längst schon geknickte Recht der Ungarn ihres Stammes mit aller Kraft eines reinen Bewußtseins in die Schranken treten werden. Da sie aber mit den Mitgliedern der anderen, gleichfalls bedrohten Nationalitäten nur einen Bruchtheil der Versammlung bilden, deren Mehrheit eine magyarische ist, so liegt die Befürchtung sehr nahe, daß die neue „Arrondirung“ demnächst beschlossen wird. Gelangt sie zur Ausführung, so hat ein deutsches Volksthum in Ungarn und namentlich in Siebenbürgen aufgehört zu existiren, nur weil es den Magyaren so beliebt. Ist die lebenskräftige sächsische Gemeinschaft über den Haufen geworfen und räuberisch über ihre Geldmittel verfügt, so muß auch das höchste und edelste Product ihres Strebens, ihr ausgezeichnetes deutsches Schul- und Bildungswesen, rettungslos dahinsinken.

Als im vorigen Jahre Franz von Löher schon erstaunliche Thatsachen dieses unterdrückerischen Treibens zusammenstellte, sprach er noch die Hoffnung aus: „Todtschlagen kann man ja diese treuen Deutschen doch nicht!“ Nun, daß es jetzt auch an das „Todtschlagen“ im moralischen Sinne des Wortes geht, glauben wir durch unsere ganze Darstellung hinlänglich bewiesen zu haben. Kann ein solcher Streich auf das Haupt eines Gliedes der deutschen Nation, eines wichtigen Außenpostens unserer Cultur fallen, ohne daß eine Zuckung des Schmerzes erweckend durch alle Nerven unseres Volkes zittert? Die Siebenbürger Sachsen sind nicht Angehörige unseres Reiches und werden es niemals sein; die deutsche Regierung kann ihnen nicht beistehen, da sie nicht amtlich in die Angelegenheiten und inneren Kämpfe eines fremden Landes sich mischen kann. Gewiß aber ist es hohe Zeit und eine heilige Ehren- und Gewissenspflicht des deutschen Volkes, daß es in seiner Presse, in seinen Vereinen und Versammlungen durch Kundgebungen aller Art laut und unablässig Zeugniß ablege wider die Beschimpfer seines Namens für jene verfolgten Brüder, die hülflos unter den Fußtritten eines Unterjochers sich winden und flehend ihre Hände ausstrecken mit dem Rufe: „Solche schnöde Frevelthat will man an uns verüben, weil wir Deutsche sind und von unserm Deutschthum nicht lassen können!“

A. Fr.




Die Großmutter deutscher Kronenträger.


Schmähe mir die kleinen deutschen Residenzen nicht, du modern-politisches Geschlecht, das mit Recht so stolz und selbstbewußt von seiner hohen deutschen Warte hinaus in die Welt schaut! Bedenke stets, daß auch das politische Großwerden seine innere organische Entwickelung hat, und daß diese kleinen Fürstensitze, an denen du natürlich in Drang und Hast des modernen Lebens auf Flügeln des Dampfes vorübersausest, die Stätten waren, an denen die Apostel der Offenbarungen eines neuen Geistes und einer neuen Zeit Schutz, Gehör und Pflege fanden. Das deutsche Bürgerthum that das nicht; das hatte sich bei ihrem Auftreten abwehrend – sogar feindlich gegen sie verhalten; es war zu eifrig mit der Aufbesserung der materiellen und ökonomischen Verheerungen beschäftigt, die der dreißigjährige Krieg hinterlassen hatte. Und die auf dem großen deutschen Throne als Herrscher und Gebieter saßen, ihnen schwebten andere politisch-dynastische Zwecke und Ziele vor. Aber die kleinen Höfe der gegenwärtig mit so vornehmer Ueberhebung behandelten Duodezstaaten, diese setzten in der Pflege der geistigen und künstlerischen Interessen den ersten Hebel an, um das Vaterland wieder in die Höhe zu bringen, indem sie die zerstreuten oder brachliegenden geistigen Kräfte sammelten und pflegten. Ob philosophirt oder gemalt, gedichtet oder musicirt wurde, gleichviel, der Idealismus war die Atzung, mit welcher der deutsche Adler groß gezogen werden mußte, daß er mit seinen Schwingen so stolz und hehr durch die Gegenwart rauschen konnte. Ehe Juno den Mars, das heißt die schlagfertige That, gebären konnte, mußte sie zuerst an einer Blume riechen – darum, du junges Geschlecht, vergiß nicht, wenn du an Dessau, Gotha oder Weimar – an Eutin, Bückeburg oder Braunschweig vorüberfährst, daß dort die Keime des stolzen nationalen Bewußtseins liegen, mit dem du auf diese stillen Orte hinüberschaust.

Auch Darmstadt ist so ein Ort. Jenes hohe Kuppeldach, welches der Passagier vom Bahnhofe aus erblickt, birgt eine der größten und kostbarsten Bibliotheken Deutschlands, ein naturhistorisches Cabinet, über das Goethe viel geschrieben, und wo er nach dieser wissenschaftlichen Richtung hin seine ersten Eindrücke empfangen hat. Aber nicht genug – unter jenem Kuppeldache hat eine der herrlichsten Frauen Deutschlands einen großen Theil ihres Lebens verbracht, und unter den hohen Bäumen, die dort über den flachen Dächern der Häuser aufragen, ihre letzte Ruhestatt gefunden unter Tannen- und Cypressengrün und dem Blau des Himmels – unter dem Wehen und Wirken der Elemente, aus denen sie ihr körperliches Dasein erhalten hatte, und denen sie es durch ihre Auflösung wieder anheim gab.

Dies war die Landgräfin Caroline von Hessen-Darmstadt, in der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts als „die große Landgräfin“ bekannt und gefeiert. Was sie gethan hat, um sich diesen Beinamen zu verdienen? wird mancher Leser fragen. Sie hat keine Kriege geführt und keine Schlachten gewonnen oder auch verloren, sie hat auch nicht durch große organisatorische Gesetze in den Entwickelungsgang eines großen Staates eingreifen können, wie ihre Zeitgenossinnen Maria Theresia oder Katharina von Rußland – sie war keine Heldin unter den Fürstinnen jener Zeit, auch keine Aspasia, keine Sappho – sie war aus dem nach außen beschränkt weiblichen Kreise nicht herausgetreten, nichts mehr und nichts weniger als eine Frau, aber diese in dem höchsten Begriffe der vollsten, edelsten und erhabensten Weiblichkeit. Ein solches Wesen zeichnet sich im Grunde lediglich durch das, was es nicht thut, aus, namentlich in einem Zeitalter, wie das der Landgräfin, wo die Unnatur, die Frivolität, die Herzlosigkeit und geistige Stumpfheit auf den Thronen saßen. Verwandeln wir diese Eigenschaften in ihr höchstes Gegentheil, dann gewinnen wir einige annähernde Begriffe für den edlen, lauteren Kern ihres Wesens, für den hohen, sittlichen und geistigen Adel ihrer Persönlichkeit.

Abgesehen von individuellen Aeußerungen in ihrem reichhaltigen Briefwechsel tritt diese der Gegenwart eigentlich nur aus dem Reflexe auf Andere, aber dann klar und voll entgegen, und immer gewinnt man daraus die Ueberzeugung, daß sie den mächtigen Eindruck, den sie auf die größten ihrer Zeitgenossen hervorgebracht hat, der echten Weiblichkeit angemessen, weniger durch das, was sie that, als das, was sie war, übte. Das Jahrhundert blickte zu ihr als zu einer neuen Offenbarung idealer deutscher Weiblichkeit empor. Das Schicksal schien sie mit Absicht auf eine so hervorragende Stelle socialer Verhältnisse gestellt zu haben, damit sie als Frau und Fürstin der Zeit weithin eine Leuchte sei. Für eine Ehe hätte man nicht zwei verschiedenartigere Naturen zusammen bringen können, als die zwanzigjährige Prinzessin Caroline von Pfalz-Birkenfeld und den zweiundzwanzigjährigen Erbprinzen Ludwig von Hessen-Darmstadt. Jene wohnte mit ihrer Mutter in dem reizenden Bergzabern; dort machte der Erbe von Darmstadt, der für eine arme apanagirte Prinzessin eine glänzende Partie war, öfters Besuche, und vielleicht war es bei einer so edel und groß denkenden Natur gar nicht die Rücksicht auf die äußeren Vortheile, welche Caroline bestimmte, ihm die Hand zu reichen; jedenfalls sprachen zu ihrem Herzen die persönlichen Eigenschaften des Erbprinzen, seine äußere vortheilhafte Erscheinung, die er mit allen Mitgliedern seines Hauses gemeinsam hatte, weiter sein frisches soldatisches Wesen, das freilich später mehr die Dressur des Zopfes, als die Ausbildung soldatischen Geistes zum Ausgangspunkte nahm. Als junge Erbprinzessin wohnte Caroline in Buchsweiler, einer jener kleinen Residenzen von Fürsten, die gern groß sein wollten. Goethe hat uns aus seiner Straßburger Zeit eine begeisterte Schilderung des Ortes hinterlassen. Er war von der Hauptstadt des Elsasses oft nach der kleinen Residenz gekommen, aber damals war er der Erbprinzessin noch nicht näher getreten.

Buchsweiler blieb Aufenthaltsort der Erbprinzessin, auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_277.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)