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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Sie forttreibt,“ sagte Ella unruhig. „Und ich habe längst schon bemerkt, daß etwas zwischen uns getreten ist, das Sie Reinhold und mir mit jedem Tage mehr entfremdet. Seien Sie aufrichtig, Hugo! Was haben Sie gegen uns? Weshalb wollen Sie uns jetzt verlassen?“

Sie war ihm näher getreten und hatte bittend, aber in vollster Unbefangenheit ihre Hand auf seinen Arm gelegt. Auf dem Antlitze des Capitains lag eine tiefe Blässe, während er stumm zu Boden blickte; jetzt endlich hob er langsam das Auge.

„Weil ich es nicht länger aushalte,“ brach er plötzlich mit vollster Heftigkeit aus. „Ich habe Ihrer Versöhnung mit Reinhold so lange das Wort geredet, und nun sie da ist und ich das täglich und stündlich mit ansehen muß, nun fühle ich erst, wie wenig Talent zum Heiligen oder zum platonischen Schwärmer eigentlich in mir ist. Ich muß fort, wenn ich nicht zu Grunde gehen will. – Mein Gott, Ella, so sehen Sie mich doch nicht so an, als ob sich auf einmal ein Abgrund vor Ihnen aufthäte! Haben Sie denn wirklich keine Ahnung davon gehabt, wie es in mir aussieht, und was mich diese letzten Wochen an Ihrer Seite gekostet haben?“

Ella war schon bei den letzten Worten zurückgewichen, und ihr Erbleichen, der Ausdruck tödtlichen Schreckens in ihrem Gesichte gaben bereits die Antwort, noch ehe sie die Lippen zur Erwiderung öffnete.

„Nein, Hugo, davon hatte ich keine Ahnung,“ entgegnete sie mit bebender Stimme. „Ich glaubte im Anfange unseres Wiedersehens eine flüchtige Tändelei zurückweisen zu müssen. Daß es jemals Ernst bei Ihnen werden könnte, das habe ich nie für möglich gehalten.“

„Ich auch nicht,“ sagte Hugo dumpf, „Ich habe im Anfange auch geglaubt, ich könnte dieses Gefühl weglachen und wegspotten wie alles Andere, und nun ist es doch Ernst geworden, so bitterer Ernst, daß ich auf dem Wege war, den Bruder hassen zu lernen, der ganzen Welt zu grollen, daß mir die letzte Zeit hier zu einer Hölle wurde – vielleicht wird es da draußen auf der See besser, vielleicht auch nicht. Aber fort muß ich, je eher, je lieber.“

Es lag etwas so Wildes, Leidenschaftliches in den letzten Worten, und das ganze Wesen Hugo’s verrieth so deutlich die mühsam niedergehaltene innere Qual, daß die junge Frau nicht den Muth fand zu einer herben Erwiderung; sie wandte sich schweigend ab. – Nach einigen Minuten trat der Capitain wieder an ihre Seite.

„Wenden Sie sich nicht von mir, Ella, wie von einem Verbrecher!“ sagte er mit aufquellender Weichheit. „Ich gehe ja, vielleicht auf Nimmerwiederkehr, und die Stunde meines Geständnisses ist auch zugleich die des Abschiedes. Ich hätte es Ihnen freilich ersparen, Ihnen nicht auch noch das Herz mit dem schwer machen sollen, was mir das meinige abdrückt. Weiß Gott, ich hatte den redlichen Willen, zu schweigen und bis zum Abschiede Stand zu halten; aber man ist doch am Ende auch nur ein Mensch, und als Sie mich baten zu bleiben und mich so freundlich ansahen, da war es vorbei mit der Selbstbeherrschung. Reinhold hat es mir ja selbst prophezeit, daß ich noch einmal den Augen begegnen würde, die allem Spotte und allem Leichtsinne ein Ende machen würden. Das Unglück war nur, daß ich sie gerade in dem Antlitze seines Weibes finden mußte. Wäre das nicht gewesen, ich hätte um dieser Augen willen der ganzen Freiheit und Unabhängigkeit Lebewohl sagen, hätte zum ruhigen, gesetzten Ehemanne werden, hätte meine ganze Natur verleugnen können, und da wäre es doch am Ende schade gewesen um den alten Hugo Almbach – deshalb hat der Himmel wohl ein Einsehen gehabt und ‚Nein‘ gesprochen.“

(Fortsetzung folgt.)




Ein Thüringer Dichter.
Von Albert Traeger.

„Ich kann mein Thüringen nicht lassen;
Italien ist schön. Wer wüßt’ es nicht?
Da lacht ein ewig heit’rer blauer Himmel
Und prangt die Erde in des Edens Glanz.

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’s ist aber doch mein Wald nicht, meine Luft,

Thüringer Waldluft nicht, das Herz erweiternd,
Die ich muß athmen, wenn ich leben soll,
Wie uns’re Steinforelle uns’res Wassers
Bedarf, um zu gedeih’n.“

               A. Rost. (Das Wundermädchen aus
                              der Ruhl.)


Kaum Einen Deutschen wird es geben, der, wenn seine Mittel einen sommerlichen Ausflug gestatten, nicht einmal den Thüringer Wald und dabei auch Weimar, die Stätte unserer schönsten und heiligsten Erinnerungen, besucht hätte. Auf der linken Seite wird der mit dem herrlichen Doppelstandbilde unseres Dichterpaares geschmückte Theaterplatz von einer Restauration begrenzt, die namentlich vor und nach den Vorstellungen stets überfüllt ist. Sobald das Wetter den Aufenthalt im Freien gestattet, bietet der Vorbau ein anmuthiges, lebensvolles Bild. Hier erfrischen sich die von allen Seiten herbeiströmenden Fremden; hier sitzt an den streng gehüteten Stammtischen ganz Weimar: der Bürger, der Beamte, der Künstler, vor allem Maler und Musiker, unter der ungeweihten, kurzhaarigen Menge selbst dem wenig geübten Auge leicht unterscheidbar. Hier zeigt sich zuweilen auch die feine hofmännische Erscheinung des Generalintendant von Loën, das Muster eines Cavaliers und eines Theaterbeherrschers, dabei ein hochgebildeter Mann, der sein ganzes Leben dem Dienste der Fürsten und der Musen geweiht und bereits 1848 in Dessau ein conservatives Witzblatt „Die Extrapost“ herausgegeben und einen zu früh vergessenen Roman „Welt und Bühne“ geschrieben hat. Hier verkehrt auch der Capellmeister Lassen, ein ebenso feinfühliger und geschmackvoller Componist wie thatkräftiger Dirigent, dem namentlich Richard Wagner sehr viel und noch vor Kurzem die Vorführung von „Tristan und Isolde“ in unübertroffener Vollendung zu verdanken hat.

Zu den Getreuesten aber zählt ein Mann, der die Sonnenhöhe des Lebens bereits überschritten, und auf dessen edlen, von ergrauten Locken umwallten Zügen geistige Arbeit und körperliches Leiden tiefe Spuren eingegraben hat. Der mühsame Gang, die gichtgelähmten Hände lassen ihn noch älter erscheinen, als er ist, bis er spricht und mit jugendlicher Lebhaftigkeit und unverfälschtester Thüringer Mundart die Unterhaltung nicht mehr in’s Stocken gerathen läßt. Er kennt Jedermann und ist Allen bekannt.

Einmal, im Sommer 1871, saßen wir zusammen, als er ein auf dem Tische ausliegendes illustrirtes Blatt zur Hand nahm, darin blätterte, dann las und endlich so sich vertiefte, daß er Alles um sich vergessen zu haben schien. Ich sah, wie seine Züge sich belebten, sein Auge leuchtete, und als er endlich, von innerer Aufregung emporgeschnellt, mit ungewohnter Behendigkeit sich erhob, das Blatt einsteckte und mit den Worten „Ein Stoff, ein prächtiger Stoff!“ fast davon eilte, begriff ich, daß heute keine nähere Auskunft von ihm zu erlangen war.

Sie sollte mir erst ein Jahr später werden. Der 23. Juni 1872 brachte Weimar ein Bühnenereigniß ersten Ranges. „Der ungläubige Thomas, Charaktergemälde in fünf Aufzügen“ von Alexander Rost, ward zum ersten Male aufgeführt. Leipzig, der Schauplatz der Handlung, hatte diesmal den Vorrang gehabt, und da der dortige Erfolg ein glänzender, waren die Erwartungen in der Vaterstadt des Dichters auf das Höchste gespannt, und sie wurden übertroffen. Weimar, die Residenz des ersten constitutionellen deutschen Fürsten, der auf seine Nachfolger die unverbrüchlichste Achtung vor der Verfassung vererbt, wo die Lehre des edlen Herder, des mannhaften Röhr noch immer lebendig fortwirkt, ist politisch und religiös durchaus freisinnig. Ort und Zeit waren der Dichtung besonders günstig. Mit stets wachsendem Antheil und Verständniß folgte die dichtgedrängte Menge den Kämpfen des Dr. Christian Thomasius, Professors der Rechte zu Leipzig, des berühmten Aufklärers, der zuerst seine Vorlesungen in deutscher Sprache hielt und den Hexenprocessen im Kampfe gegen die Schaar der Dunkelmänner, geführt von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_622.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2018)