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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

ausgeführt. Die Kinder der Mucker durften keine Schule mehr besuchen, weil dort eine falsche Religion gelehrt werde; Beerdigungen auf dem Friedhofe waren streng untersagt. Waren Mitglieder einer Familie der Secte nicht beigetreten, so mußten sich die gläubigen Mitglieder gänzlich von ihnen lossagen, so daß z. B. Eltern, sich auf den Spruch berufend: „Lasset die Todten ihre Todten begraben!“ ruhig auf dem Felde arbeiteten, während der Sarg mit den sterblichen Ueberresten ihrer verheiratheten Tochter an ihnen vorübergetragen wurde.

Jakobine erklärte, daß die Prophezeiungen des alten Testaments auf ihre eigene Person zielten, in welcher der Messias fortlebe, wie gleichfalls die Apostel nicht gestorben seien, sondern in Gestalt von bestimmten Anhängern, denen sie die Namen der Jünger beigelegt, noch auf Erden wandelten. Der Mangel an Logik und die Widersprüche, die unausbleiblich waren, störten die Gläubigen in keiner Weise. Gemeinschaft der Weiber wurde eingeführt, und Sinnlichkeit und Fanatismus beherrschten die Gemüther.

Wie schon erwähnt, konnte die durch das Reformgesetz beschränkte Polizeigewalt nicht gleich anfangs energisch gegen die Sectirer vorgehen, obwohl die anderen Colonisten sich mehrfach an die Obrigkeit wandten mit dem dringenden Anliegen, dem tollen Treiben Einhalt zu thun.

Wieder bildete ein Pfingsttag einen Wendepunkt im Schicksale der Secte: am Pfingstfeste 1874 wurden von Jakobinen die Rollen zu dem Blutdrama, das sie in Scene setzen wollte, an die Anhänger vertheilt; besonders waren es auch alle Feinde Klein’s, die auf der Liste der Opfer verzeichnet waren.

Wie viel von dem schändlichen Plane zur Ausführung kam, ist bereits früher erzählt; wie Viele durch das Geständniß einiger Mucker, denen der Auftrag geworden, „Neu-Hamburg“ in Brand zu stecken, und die, von Gewissensbissen gequält, sich der Polizei stellten, gerettet wurden, läßt sich nicht übersehen, wie denn überhaupt die Höhe der Zahlen der Gefallenen, sowohl auf Seite der Sectirer wie der Soldaten, selbst in officiellen Blättern verschieden angegeben wird, was, für die Leser wenigstens, nebensächlich ist; das Hauptinteresse beruht auf den psychologischen Räthseln, die uns ungelöst entgegentreten. Traurig aber ist es, daß, so weit die Menschheit auch vorgeschritten ist, das Individuum doch noch so tief in dem Schlamme des Aberglaubens der dunkelsten Zeiten versinken kann und das Dichterwort auch heutzutage sich leider noch als allzu wahr erwiesen hat: –

 „der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.“


Valle do Paraiso, 10. August 1874.

C. S. M.




Die Jagd auf Flußpferde.

Reise-Erinnerungen aus Ostafrika von J. M. Hildebrandt.[1]

Das amphibiale Leben und Treiben der Flußpferde auf dem großartigen Hintergrunde der afrikanischen Natur zu schildern, will ich mir für einen spätern Gartenlauben-Artikel versparen und heute nur den Fang lebender Hippopotamen mit allen damit verbundenen Abenteuern und Hindernissen beschreiben.

Es ist einleuchtend, daß unter diesen letzteren diejenigen, welche das Terrain und die ungeheure Kraft der Kolosse bieten, nicht die geringsten sind. Ich will übrigens keine historische Dissertation verfassen, in die wohl gar Nimrod, „der gewaltige Jäger vor dem Herrn“, hineingezogen, in der aber jedenfalls der alten Aegypter, welche Griechen und Römer mit diesen Bestien versehen haben, gedacht werden müßte, auch nicht des Näheren beschreiben, wie in verschiedenen Gebieten Afrikas den Ungeheuern mit Harpunen und Geschossen nachgestellt wird, um Fleisch, Zähne und die Haut, aus der die berühmte Triebfeder orientalischer Sclavenarbeit, der „Kurbatsch“ (Peitsche) verfertigt wird, zu erlangen, sondern mich speciell an das Sansibargebiet Ost-Afrikas halten. Dort langte im Februar vorigen Jahres Herr Dietrich Hagenbeck, Sohn des bedeutenden Thierhändlers in Hamburg, an, um auf junge Flußpferde zu fahnden. (Vergl. Seite 754 der Gartenlaube von 1873.) Er war mit allem Fangmaterial prächtig ausgerüstet, miethete eine Barke der Eingeborenen, nahm schwarze Diener in Sold und begab sich sofort zur Festlandküste und an die Arbeit. Er versuchte zuerst durch die Eingeborenen Fallgruben auswerfen zu lassen, aber die Neger Ost-Afrikas sind das Abbild ihrer Heimath, üppig und deshalb faul und wenig geneigt, mehr zu erwerben, als sie zur Füllung ihres Magens von Tag zu Tag bedürfen, wozu drei bis vier Pfennige ausreichen. Außerdem eignen sich die Ueberschwemmungsgebiete ostafrikanischer Flüsse, der Aufenthalt der Thiere, schlecht zum Fallgrubensenken, da bereits bei einem Meter Tiefe das Grundwasser beginnt, man also statt Fallen ihnen sehr willkommene Badewannen herstellte.

Hagenbeck blieb während der ganzen Regenzeit auf der Jagd und machte Strapazen durch, denen eine weniger zähe Natur zehnmal erlegen wäre. Ich traf ihn im Juni 1873 in der Stadt Sansibar, woselbst ich vom Somâli-Lande über Aden eben angelangt war. Er bereitete sich gerade zu einer neuen Tour vor, und da meine Reise-Effecten noch nicht angelangt waren, ich also meine eigenen Arbeiten noch nicht beginnen konnte, so schloß ich mich ihm an, um auch einmal eine „Prise“ höherer Jagd zu nehmen.

Wir begaben uns vorerst nach Bagamoojo, um die katholischen Missionare zu besuchen, die jeden Reisenden obwohl ihnen oft bitter gelohnt wurde, z. B. durch die humbugreichen Erzählungen des Amerikaners Stanley, auf’s Freundlichste an ihrem bescheidenen Tisch Platz nehmen lassen und ihm mit Rath und That beistehen. Dann fuhren wir mit der Barke in den Kingani,[2] den wir, so hoch es das seichte Wasser erlaubte, aufwärts ruderten; denn der vielen Krümmungen wegen war es nicht möglich zu segeln. Hier, inmitten urwüchsiger Wildniß, warfen wir Anker und lagen, theils zu Fuß, theils in dem bereits oben gedachten europäischen Ruderboote, der Jagd auf die Unthiere und den Versuchen, junge zu fangen, ob. Zuerst probirten wir dies mit großen Netzen, die aus fingerdicken Stricken filirt waren. Aber die Alten gingen hindurch wie Hummeln durch Spinnengewebe und die Jungen folgten hinterdrein. Nachdem wir das Netz wieder geflickt, begaben wir uns mit ihm eines Tages, mit sechszig schweren Patronen versehen, abermals auf den Weg und faßten frei und angesichts einer Heerde von neun Alten und mehreren Jungen Posto. In einer muldenartigen Senkung des Flußbettes, welche zu beiden Seiten durch Bänke eingeschlossen war, trieben die Thiere ihr Wesen. Ohne weitere Kriegserklärung oder Aufforderung zur Capitulation begannen wir ein mörderisches Kreuzfeuer auf die Alten. Wir hatten nämlich vor, diese sämmtlich zu tödten und dann mit dem Netze auf die Jungen loszugehen. Sobald eines der unter dem Wasser sich verbergenden Thiere aus Luftmangel auf eine Secunde den Kopf zeigen mußte, sauste eine oder fuhren zwei Kugeln aus unseren Geschossen, oft zwar vorbei oder nur die Schädelhaut durchfurchend, oft aber auch, um an den Schläfen oder in den Hinterkopf einzudringen. Wie riesige Fische spattelten dann die Ungethüme, sanken, wenn verendet, unter und erschienen erst, wenn der Körper sich mit Gas gefüllt (nach einer halben bis einer Stunde), meist die Beine nach oben, an der Oberfläche, wenn nicht der Cadaver im Astwerke auf der Flußsohle hängen geblieben und dann verloren gegangen war.

Bis spät Nachmittags hatten wir die acht weiblichen gemordet, nur der Bulle wollte nicht sterben, sondern erschien immer und immer wieder, Blut schnaubend – denn er hatte

  1. Wir verdanken den obigen überaus interessanten Artikel dem als Afrika-Reisenden bekannten Herrn Professor der Botanik Hildebrandt, demselben, der gelegentlich des Transports des Hippopotamus nach Berlin jüngst oft genannt wurde.
    D. Red.
  2. Kingani heißt eigentlich „Mündung“ eines jeden Flusses, wird aber auf den Karten und in dem Sprachgebrauche für den ganzen Fluß, der nördlich Bagamoojos in’s Meer fließt, benutzt. Dieser heißt in der Landessprache Rusu oder Lusu (R und L vermag die Negerzunge nicht leicht zu sondern), das heißt „Fluß“ par excellence, wie auch Rusidschi (Lusidschi) „Fluß“ bedeutet. Niassa und Niangça heißt „See“; man dürfte also, um Pleonasmen zu vermeiden, nicht eigentlich Niassa-See, also „See-See“ sagen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_698.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2024)