Seite:Die Gartenlaube (1875) 026.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Frauen der französischen Revolution.
Von Rudolf Gottschall.
3. Lucile Desmoulins.


Den Heldinnen der Revolution geschah ihr geschichtliches Recht, wenn sie als Opfer derselben fielen. Wir staunen über ihren Heroismus; doch unser Mitleid wenden wir jenen zarten Frauengestalten zu, die nur durch ihre Liebe zu den hervorragenden Männern jener Zeit in das Schicksal derselben mitverstrickt und einem tragischen Verhängniß preisgegeben wurden. Und unter diesen nimmt die schöne Lucile Desmoulins, die ihrem Gatten in den Tod folgte, die erste Stelle ein.

Es schwebt ein eigenthümlicher Reiz um diese Lucile; innige Empfindung, rührende Gattenliebe führten sie zum Schaffot, in der Blüthe ihrer Jugend und Anmuth. Wir glauben in ihr eine Gestalt zu sehen, welche dem deutschen Frauenideal mehr als irgend eine andere Frau der Revolutionszeit entspricht. In der That, in ihr war nichts von jener Wildheit stürmischer Naturen, nichts von dem Eifer, sich in die Fluth der Bewegung zu stürzen und eine Rolle zu spielen, nichts von der Abenteuerlust, die in der Auflösung aller Verhältnisse auf Romane ausgeht, nichts von dem Streben, in Rednertalenten und geistiger Bedeutung mit den Männern zu wetteifern; sie war eine echt weibliche Natur, empfänglich, aufnehmend, hingebend, nicht verschlossen gegen die Gedanken, welche die Welt bewegten, und doch ganz und leidenschaftlich der Liebe hingegeben. Gleichwohl war sie keines jener Veilchen oder Vergißmeinnicht, wie sie auf deutschen Fluren blühen, sie hatte etwas von jenen üppigen Prachtblumen, die in den Schloßgärten des ancien régime ihren Kelch erschließen, neben den springenden großen Wassern von Versailles oder den geflügelten Schäferspielen von Trianon. Seitdem uns viele ihrer Aufzeichnungen und Gedichte bekannt geworden sind, wissen wir, daß sie dem Glück der Liebe sich nicht mit deutscher Gemüthsinnigkeit hingab, sondern daß sie darüber philosophirte, als hätte sie den Plaudereien im Saal des oeil de boeuf gelauscht.

Lucile Desmoulins war 1771 geboren, als die Tochter einer wegen ihrer Schönheit gefeierten Mutter, der Madame Duplessis, die noch im Alter eine so edle und imponirende Haltung hatte, daß ihre Söhne sie Mama Melpomene nannten. Ihr Gatte war ein Finanzbeamter, und das Gerücht ging, daß sie mit dem Abbé Terray, dem Exminister der Finanzen, ein intimes Verhältniß gehabt habe, und daß die anmuthige Lucile die Frucht desselben gewesen sei. Diesem Gerücht trat sie selbst sowohl wie Camille stets mit Entschiedenheit entgegen.

Lucile erhielt eine sehr gute Erziehung und zeichnete sich schon als Kind durch ihre musikalischen Talente aus. Eines Abends, als sie mit ihrer Mutter, wie sie oft zu thun pflegte, im Garten des Luxembourg spazieren ging, schloß sich ein junger Mann von etwas vernachlässigtem Aeußeren an sie an, den vor allem die Schönheit der Mutter angezogen hatte. Man fand Gefallen an seinem Gespräche, da er mit Wärme und Geist sich auszudrücken verstand; es war der Student der Rechte Camille Desmoulins, der nicht lange darauf das Examen als baccalaureus juris bestand. Trotz seines Stotterns, eines Fehlers, den er nie abgelegt hat, und der auch, wo er später als Volksredner auftrat, seine sonstige Rednergabe beeinträchtigte, erschien Camille als ein liebenswürdiger Gesellschafter, der bald im Hause der Madame Duplessis Zutritt fand. Allmählich entwickelten sich die Reize der jungen Lucile, und in jener Lage, welche Horaz wie Heine so graziös geschildert haben, in jenem Schwanken zwischen „den genialen Augen, die unsere Zärtlichkeit verstehen“, und den „rührend unerfahrenen Gliedern“, zwischen der schönen Mutter und der schöneren Tochter trug die Neigung zu der Letzteren allmählich den Sieg davon. Sie wurde erwidert von dem begabten Mädchen, indem die Freundschaft zu dem Jüngling, der so geistreich zu reden verstand, allmählich in Liebe überging. Camille war nichts weniger als schön, Lucile eine imponirende Schönheit von hohem Wuchse, schlank und anmuthig; doch auf Frauen wirkt mehr der Geist, als die Schönheit der Männer, und Camille hatte jenen funkelnden Geist, der so bestechlich und verführerisch auftritt, jenen beweglichen, schlagfertigen Esprit des Journalisten, dem er auch seine Erfolge in der Revolution verdankte, und dabei jenen Schwung des Champagnerrausches, mit welchem er auf dem Tische des Palais-Royal den ersten Sturm der revolutionären Bewegung anfachte. Konnte ein selbst begabtes und empfängliches Mädchen so blendenden Verlockungen widerstehen? Kam doch die Liebe über sie, wie ein Rausch, wie eine Art von Hellseherei, die ihre Seele mit Visionen erfüllte und in traumhaft beleuchtete Himmelsgefilde entführte.

In einer ihrer Aufzeichnungen schildert sie uns einen solchen Augenblick visionärer Erregtheit, in welchem das Gefühl ungekannter höchster Ekstase ihre Seele erfüllte. Vor einem Ungewitter war sie aus dem Garten in das Haus geflohen; tiefste Finsterniß herrscht; die Blitze zucken draußen unaufhörlich, und so schwüler Beängstigung wollte sie entfliehen, indem sie auf ihrem Clavier heitere Melodieen griff. Doch vergebens! Wider ihren Willen schlugen ihre Finger klagende Töne an, welche der rollende Donner übertönte. Einer sanften Melancholie hingegeben, schlief sie mit den Fingern auf den Tasten ein. Viele und köstliche Träume entzückten ihre Seele. „Ich träumte, daß ich zu meinen Füßen einen Regen von Blumen sah, daß sich eine Wolke bildete und mich emportrug: ich schwebte höher, immer höher, so daß meine Phantasie kaum diesem Fluge folgen konnte. Wie glücklich fühlte ich mich im Schooße dieser Wolke! O, welches Entzücken! Ich sah die Wohnung des Ewigen! Ich sah dort nichts von alledem, wovon die Offenbarungen sprechen, weder Gold noch Rubinen noch Diamanten, nichts von dem, was der Mensch auf Erden wünscht und eines Tages im Himmel zu finden hofft. Ich erblickte einen Spiegel (ich gebe diesen Namen dem, was ich sah), der von himmelblauer Farbe war; er stellte Dinge dar, die ich nicht bezeichnen kann, weil sie von Allem, was man auf Erden sieht, gänzlich verschieden sind; dennoch war ich glücklich in der Betrachtung dessen, was meinem Auge sich darbot. Ich näherte mich diesem Spiegel; ich berührte ihn und hatte dabei ein gänzlich fremdes Gefühl; mir schien's, als ob meine Seele sich von mir trennen wollte. O, entzückender Augenblick, wie kurz war deine Dauer! Statt in eine Wolke gehüllt, fand ich mich mit dem Kopfe auf das Piano geneigt, und draußen dauerten Donner und Blitze fort.“

Lucile Desmoulins hatte Talent zu einer Somnambulen. Diese Vision, in welcher sich einem jungfräulichen Gemüthe die Entzückungen eines ungekannten höchsten Glückes offenbarten, fand im Juli 1788 statt; im December 1790 wurde sie die Gattin Camille’s. Dazwischen lag eine Zeit, in welcher der Letztere sich ihre Hand dadurch erobern mußte, daß er nach angesehener Stellung und nach anerkanntem Ruhme strebte, denn Lucile war eine der reichsten Erbinnen in Paris; Duplessis besaß zwanzigtausend Livres Renten, und einem obscuren Advocaten sollte die Hand einer so glänzenden Erbtochter nicht zu Theil werden. Erst als Desmoulins unter den Agitatoren und Journalisten der Zeit sich einen hervorragenden Namen erworben hatte, gaben die Eltern ihre Zustimmung zur Verheirathung ihrer Tochter mit ihm. Unter den Trauzeugen befanden sich Péthion, Brissot und – Robespierre. Er war der unheimliche Schatten ihrer blutigen Zukunft, dieser Advocat von Arras, der als Camille’s Schulgenosse und Jugendfreund den rührenden Worten lauschte, mit denen in der Kirche von Saint Sulpice der von Camille hochverehrte Béovadier den Ehebund der Liebenden weihte.

Und dieser Tag sollte verhängnißvoll für Camille werden. Seine reiche „Ehe“ wurde ihm, als er später in die Wege der Mäßigung einlenken wollte, zum Verbrechen gestempelt, das ihm die Sansculotten nicht vergaben, sobald sie das Heft in den Händen hatten.

Zunächst stürzte sich das junge Ehepaar muthig in die Stürme der Revolution. Lucile schwärmte für die Freiheit; sie selbst hatte eine Art von Hirtengedicht verfaßt: „Der Vogelkäfig“, in welchem sie eine Schäferin Chloë schildert, die außer sich darüber ist, daß alle Vögelchen, die sie so treu gepflegt, einen günstigen Augenblick in ihrer Abwesenheit benutzt haben, um aus dem Käfig zu entfliehen. Eine ältere Freundin räth ihr, sich zu

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_026.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)