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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

genug ihre Maske leihen müssen. Ja selbst in den Dienst der Reaction sind sie getreten und haben die Polizei mehr als einmal mit ihren revolutionären Enthüllungen mystificirt. Im Jahre 1851 hatte sich in London eine aus geflüchteten deutschen Dieben bestehende Gesellschaft eigens zu diesem Zwecke gebildet. Manche nach ihren Mittheilungen lüsterne deutsche Regierung hat ihnen schwere Summen geopfert und den Aerger noch obendrein gehabt. –

Aber auch Wissenschaft und Kunst haben sich nicht freihalten können von der Travestie des Gaunerthums. Hier ist es namentlich die ganze Classe der „verkommenen Genies“, die uns entgegentritt; Leute von oft großer Capacität, künstlerischem Talente, vielseitiger Bildung, die aber mit sich und dem Leben nicht haben fertig werden können, die bei zu nachhaltiger Versenkung nach innen den Halt nach außen hin verloren, träumerische Hamlet’s, die immer an der rettenden That vorbeiliefen, überstudirte Fauste, die statt des eigenen Ich lieber den Teufel zur Hülfe riefen. Wer zählte nicht unter seinen früheren Studiengenossen wenigstens einen, den er dieser Kategorie zurechnen muß? Noch heute ergreift mich ein tiefwehmüthiges Gefühl, wenn ich die Worte lese, die mir ein also Gekennzeichneter auf ein Stammbuchsblatt schrieb; sie lauten:

„Wohl, Freund, Dir, wenn Du so des Lebens Rolle spielst,
Daß, wenn der Vorhang fällt, Du keine Reue fühlst.“

Unsere Polizeiorgane wimmeln von solchen falschen Doktoren und Professoren, die bettelnd und prellend von Orte zu Orte ziehen. Sie haben an den fahrenden Schülern des Mittelalters schon eine Art Vorbild.

Erscheint er, heißt es von einem solchen literarischen Gauner, der typisch ist für die ganze Species, in einer Universitätsstadt, so drängt er sich zunächst den Professoren auf, die ihn selten abweisen, weil er schöne Kenntnisse und ein einnehmendes Wesen besitzt. Glücken ihm seine Bewerbungen um eine Stelle an der Universität nicht, so weiß er von den Professoren sehr namhafte Geschenke zu erbitten, und er ist zudringlich genug, wiederholt zu kommen. Kommt er in Städte ohne Universität, so wendet er sich an Gelehrte, Geistliche, Rangpersonen. Ist er bei Geld, so lebt er gut. Macht er Schulden, so vertröstet er seine Gläubiger auf ein demnächst erscheinendes Werk. Er verschmäht auch nicht auf das Land zu gehen und führt sich, unter dem Vorgeben, nach kirchlichen Alterthümern forschen zu wollen, bei Geistlichen ein, und wenn er diese auch nicht geradezu anbettelt, so verschmäht er doch in keinem Falle die regelmäßigen Angebote der Gastfreundschaft. Bei katholischen Geistlichen führt er sich mit dem Vorgeben ein, daß er zur katholischen Religion übertreten wolle.

Auch die vagirenden Professoren der Magie rangiren zum Theil in diese Classe, soweit sie namentlich den im Volke noch immer grassirenden Aberglauben für ihre Zwecke ausbeuten, wie jener Professor der Magie und Phrenologie – wo in aller Welt mag die Universität liegen, welche solche Fakultäten aufweist? – und „Zauberer erster Größe“, der erst in Freiburg, dann in Gießen und Umgegend seine Charlatanerie trieb. Seine Glückszettel, die, auf dem Leibe getragen, alles nur gewünschte Glück herbeiführten, fanden im Volke reißenden Absatz, namentlich unter den heirathsbedürftigen Mädchen. Er besaß außerdem eine Kreuzspinne, welche glückbringende Nummern webte. Die Polizei entdeckte bald, daß der Herr Professor seine Weisheit nicht seinem Aufenthalt unter den Indianern, wie er behauptete, sondern der Muße des Zuchthauses verdankte, die ihm bereits früher vergönnt gewesen.

Die mannigfachste Thätigkeit entwickelt natürlich das Gaunerthum auf dem weitverzweigten Gebiete des industriellen Verkehrs. Hier ist sein Wirken so complicirt, wie jener selber. Wie der menschliche Erfindungsgeist fast täglich neue positive Produkte seiner Thatkraft erzeugt, so halten mit ihm auch der Schwindel, die Gaunerei gleichen Schritt in ihrer negirenden vernichtenden Thätigkeit. Jede neue große That wird hier in gaunerischer Hand zur Parodie. Die unendlich segensvolle Telegraphie wird zur willkommenen Handhabe für die Erlangung gaunerischen Credits durch Ausgabe renommistischer unwahrer Depeschen; die Eisenbahnen, die Bahnhöfe sind die ergiebigsten Gelegenheitsmacher für Diebe und gaunerische Verbrüderungen, sowie die besten Unterstützer für eine gaunerische Haupttaktik, welche darin besteht, zwischen die Schauplätze ihres Wirkens möglichst große Entfernungen zu legen; der gesteigerte Noten- und Wechselverkehr erleichtert die Fertigung von Falsifikaten und ihren Vertrieb; nicht zu gedenken der tausenderlei Fälschungen der industriellen Produkte selbst, denen nachzuspüren die Polizei ganz ohnmächtig ist. Die erhöhte Steigerung der Productionskraft, des Unternehmungsgeistes der vergangenen Jahre wurde alsbald parodirt und zuletzt lahm gelegt durch ihren gaunerischen Doppelgänger, den Schwindel. Die Gartenlaube hat darüber uns erst vor Kurzem einen unterrichtenden Artikel gebracht. Es ist nicht möglich auf diesem Gebiete nur einigermaßen erschöpfend zu skizziren, manches dahin Einschlagende haben wir im Gang unserer Skizze schon erwähnt, Vielem sind wir auch schon früher in diesen Blättern begegnet. Wir beschränken uns darauf, nur einige taktische Momente aus der beobachteten Thätigkeit dieser Industrieritter zu verfolgen und einige Beispiele dieser selbst anzureihen.

Da ist zunächst die Taktik der Taschendiebe eine sehr ausgebildete. Hier ist noch das meiste Zusammenwirken zu verspüren, da sie ohnedies mehr in den großen Städten, also zusammengedrängter, wohnen. So oft dort die Controle eine strengere wird, schwärmen sie aus in die Provinz. So verlegten die Berliner Taschendiebe Ende der fünfziger Jahre den Schauplatz ihres Wirkens theilweise in die Rheingegenden. Der Taschendieb (Torfdrücker) hat immer wenigstens einen Helfer bei sich, der das Gestohlene rasch in Empfang nimmt, so daß der eigentliche Dieb sich unverdächtig macht. Die Gaunersprache nennt dieses Geschäft: Zugleuten. Oder der Andere beschäftigt während der Aktion die Aufmerksamkeit des erlesenen Opfers. Um eine unbefangene Annäherung möglich zu machen, muß der Taschendieb sich seiner Umgebung in Kleidung und Haltung anpassen. Zu seinem Handwerkszeuge gehören falsche Hände mit Handschuhen, die er in Omnibus und Eisenbahn vor sich auf die Kniee legt, um mit seinen wirklichen Händen desto ungestörter arbeiten zu können; ferner ein scharfes feines, womöglich im Siegelringe verstecktes Messerchen zum Ausschneiden der Taschen, eine scharfe Zange zum Zerschneiden der Uhrketten; Seidenfädchen mit Häkchen oder – zum Einprakticiren in Tabaksdosen – einer Bleikugel. Ein Act der Gefälligkeit leitet die verbrecherische That ein, z. B. Abstäuben von Staub oder Asche, Ausführung einer Erkennungsscene mit Umarmung und nachfolgender Entschuldigung. Daß in dieser Branche es auch die leise auftretende Damenwelt zu einer gewissen Virtuosität bringt, liegt nahe, um so mehr, als ihr die Arbeit durch ein galantes Entgegenkommen oft sehr erleichtert wird.

Ein Consortium von Gaunern errichtete in L. vor einigen Jahren ein Auctionsschwindelgeschäft. Einer gerirte sich als Auctionscommissar, ein Anderer als Buchhalter, ein Dritter als Proclamator. Die Uebrigen waren Scheinbieter, welche die Bietungslustigen anzuregen und die Sachen als preiswürdig und echt zu empfehlen hatten, obwohl die goldnen Uhren nur tombackene und die schweren Ringe hohl und mit Sand gefüllt waren. Ein ähnlicher Schwindel wird in der Weise in Scene gesetzt, daß eine Menge Waaren bei verschiedenen auswärtigen Fabrikanten oft gegen vorläufige Abschlagzahlungen unter fingirter Form zusammengekauft und dann rasch im „Ausverkaufe“ verkauft werden. Auf diese Weise wurde einmal von London aus eine große Anzahl deutscher, französischer und englischer Fabrikanten geprellt. Die kaufende Firma war nicht aufzufinden; sie hatte nie existirt.

Von London, dem Eldorado der Gauner, ging auch ein ähnlicher Schwindel aus. Ein dort gebildetes Lebensassecuranzbureau schrieb in alle Welt hinaus an die Verwandten von Personen, deren Tod von diesen öffentlich angezeigt war, indem sie dieselben aufforderten, unverzüglich den Betrag einer fällig gewordenen Jahresprämie für eine Police ihres Erblassers einzuzahlen, die sonst verfalle. In der – natürlich getäuschten – Hoffnung auf Gewinnung eines großen Versicherungscapitals fielen manche der Erben in die Gaunerfalle. Aehnlich operirten die Vermittler holländischer Erbschaften, die gegen wiederholte Auszahlung von Vorschüssen die verlockende Aussicht auf überseeische Erbschaften bei Namensvettern eines in Holländer Blättern ausgeschriebenen Todten zu erwecken wußten.

Ein Hauptaugenmerk aller Industriegauner ist darauf gerichtet, sich Credit anzulügen. Ein gewisser B. erschwindelte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_078.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)