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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Blätter auf zwei katholische Schriften über Schiller berufen und dieselben zum Theil wörtlich abschreiben. Es sind „Schiller und sein Verhältniß zu den politischen und religiösen Fragen der Gegenwart“ von G. Fr. Daumer (Mainz, 1862) und „Schiller, sein religiöser Fortschritt und sein Tod“ von Jos. Lukas (Landshut, 1863), zwei literarische Versuche, den großen deutschen Dichter für die katholische Kirche zu annectiren. Dabei hält Daumer die Vorgänge bei Schiller’s Tod und sein Begräbniß für ein Werk des Freimaurerordens. Als die Daumer’sche Hypothese von Aenderung der religiösen Ueberzeugungen Schiller’s (um Lukas’ Worten, S. 44, zu reden) „keck und abrupt in die Oeffentlichkeit trat, erregte sie überall nur ein bedenkliches Kopfschütteln.“ Lukas, von ihm mehrfach abweichend und ihn befehdend, versuchte dieselbe Deduction auf anderem Wege, indem er aber ebenso wie Daumer einen wirklichen Uebertritt Schiller’s zur katholischen Kirche selbst nicht zu behaupten wagte, sondern seine Schrift mit den Worten schloß: „So steht die Frage. Jeder ziehe sich die Consequenzen nach eigenem Ermessen. Wir haben weder Lust noch Bedürfniß, große Todte von der Gegenseite ohne Weiteres zu uns herüber zu ziehen, aber bis die Lösung erfolgt, bleiben alle vernünftigen Conjecturen berechtigt, auch die mehrmals berührte.“ Beide Schriften sind als offenbare Fälschungen der deutschen Literaturgeschichte von der Kritik längst abgefertigt und verworfen.

Man sieht, daß die ultramontanen Beweisführer ihre eigene Behauptung Schiller’schen Uebertritts zum Katholicismus zu beweisen nicht einmal versuchen. Sie wollen jetzt nur darthun, daß Schiller laut seiner Schriften „zur katholischen Kirche gegangen, an den Pforten der Kirche, am Thore der katholischen Kirche angelangt sei“, mit anderen Worten: daß er eine katholisirende Richtung eingeschlagen habe. Wie konnten sie aber hiernach dreist behaupten, daß Schiller katholisch gestorben sei? Und auch die vermeintliche katholisirende Richtung, – wo ist in den Schriften Schiller’s die leiseste Andeutung, der geringste Grund für eine solche Annahme gegeben? Wohl kann man, seine Werke in der Hand, „seinen Geistesgang Schritt für Schritt nachweisen“, wohl hat er sich „zum Licht emporgearbeitet“, aber dieses Licht ist nimmermehr dasjenige gewesen, welches die ultramontanen Herren unter Licht begreifen. Von seinem ersten wild-genialen Jugendwerke bis zu seinem schwung- und kraftvollen Hohenliede der politischen Freiheit – von „den Räubern“ bis zum „Tell“ – liegt das ganze Denken und Dichten, Leben und Streben Schiller’s in seinen Werken, seinen Briefen klar vor uns, und nicht Eine Zeile seiner Werke, nicht Eine Silbe seiner Briefe, nicht Ein Wort seiner Zeitgenossen über ihn läßt eine katholisirende Richtung erkennen, vielmehr war einer solchen Richtung sein ganzes auf religiöse und politische Befreiung des Volkes gerichtetes Wirken diametral entgegengesetzt. Und weil sein „Wilhelm Tell“, der die patriotische Selbstbefreiung eines geknechteten Volkes feiert, kein anderes confessionelles Gepräge trägt, als dasjenige der Zeit, in welcher das Stück spielt, und kein Wort enthält, das nicht auch von einem patriotisch warm und frei fühlenden Katholiken geschrieben sein deshalb ist anzunehmen, daß der Dichter katholisch geworden? Wir beneiden die Herren Ultramontanen um diese Art Logik nicht. Für einen Gebildeten bedarf es keiner Widerlegung solchen Unsinns; wir bemerken nur: der „Tell“ enthält auch kein Wort, das nicht auch von einem patriotisch warm fühlenden Israeliten gesagt werden könnte – will man deshalb nicht auch behaupten, daß der Dichter ein Jude geworden sei?!

Ein zweites Beweismoment glauben die genannten Blätter in dem Berichte von Schiller’s Schwägerin, Frau von Wolzogen, über die Stimmung des Dichters in seinen letzten Tagen zu finden: „Immer inniger wurde die Ehrfurcht, mit welcher ihn gegen das Ende seines Lebens auf der einen Seite die unendliche Tiefe der Natur, auf der anderen die welthistorische Wirkung der Lehre Christi und die reine, heilige Gestalt ihres Stifters erfüllte. Einmal, als er die Schwägerin im Livius lesen sah, bemerkte er: ‚Da der Glanz und die Hoheit des Lebens, die nur in der Freiheit des Menschen erblühen konnten, untergegangen, war, so mußte nothwendig Neues entstehen. Das Christenthum hat die Geistigkeit des Daseins erhöht und der Menschheit ein neues Gepräge aufgedrückt, indem es der Seele eine höhere Aussicht eröffnete.‘ Er hatte Worte der Herzensdemuth, der wahren Religion; von Liebe, von Gott sprach er nur in den reinsten Momenten. Glauben sollen kann man ja keinem Denkenden zumuthen – Glauben finden war ihm immer wohlthätig. Beispiele immediater Gotteshülfe in unverschuldeter Noth erkannte er mit Rührung; die Lehre des Erlösers ehrte er immer als den höchsten Ausspruch in der Menschheit. Ja, der Ruf des Herrn drang an sein Herz.“ Es ist der Bericht derselben Dame, deren ebenso wahre wie rührende Schilderung von Schiller’s letzten Lebensstunden und Verscheiden dieselbe ultramontane Presse in gemeiner Weise schmäht: „Man sieht: sehr schön! Gerade wie auf dem Theater. Die Erzählung der Frau von Wolzogen trägt den Stempel des Romans offen an der Stirn. So stirbt man im Theater vor den Augen des Publicums, mit Anstand und Eleganz. Frau von Wolzogen hat offenbar nur den Text zu den Illustrationen liefern wollen, die in Aussicht standen etc.“

Aber prüfen wir jenen Bericht von Schiller’s Schwägerin über seine volle und warme Anerkennung von der hohen ethischen Bedeutung des Christenthums – wo in aller Welt liegt hierin der Nachweis einer katholisirenden Richtung Schiller’s oder auch nur eine Spur davon? wo vollends ein Anhalt für die Behauptung eines Glaubenswechsels? seit wann hat denn der evangelische Glaube aufgehört, ein christlicher zu sein? – Wie unendlich fern lag Schiller’s ganzes Wesen bis zum letzten Athemzuge einem Uebertritte zur katholischen Kirche!

Verzweiflungsvoll klammern sich deshalb jene ultramontanen Blätter (vgl. „Donau-Zeitung“ 1875, Nr. 2, 3, 4) an die vermeintlichen Widersprüche in den Berichten der Augenzeugen von Schiller’s Tode und in den Erzählungen seiner Biographen über das Dahinscheiden des Dichters an. Aber abgesehen von kleinen Abweichungen in unwesentlichen, nebensächlichen Einzelnheiten (wie dergleichen Abweichungen, je nach der Individualität des Berichterstatters, in Berichten über solche Katastrophen sich fast immer finden lassen werden) harmoniren die Berichte der Augenzeugen (seiner Schwägerin Frau von Wolzogen, seiner Gattin, sowie Fräulein von Göchhausen etc.) vollständig, und die Schilderungen der Schiller-Biographen stimmen in allen wesentlichen Punkten vollkommen überein. In heiteren Jugenderinnerungen, in inniger Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern, mit einem letzten Kusse der Gattin als dem letzten Zeichen seines Bewußtseins: während sein Auge schon den Ausdruck der Verklärung hatte, ist Schiller aus dem Leben geschieden. Sein vom Diener bezeugtes wiederholtes Anrufen Gottes, „ihn vor einem langsamen Hinsterben zu bewahren,“ war das einzige Moment, welches dem religiösen Gebiete angehört. Von einem Glaubenswechsel, insbesondere vom Uebertritt zur katholischen Kirche, findet sich auch hier überall nicht die geringste Spur. Die Ultramontanen gestehen selbst, daß ein Conversionsprotokoll fehle. Sie begnügen sich aber mit dem billigen Troste, „das werde sich noch finden,“ und suchen sich inzwischen mit Verdächtigungen zu helfen. Die durch nichts, durch gar nichts gerechtfertigte, aus der Lukas’schen Schrift (S. 79) herübergenommene, maßlos freche Beschuldigung der achtungswerthesten Persönlichkeiten, der Verwandten Schiller’s durch die Pfaffenblätter: „Diese Augenzeugen seien verschworen; es sei ohne Zweifel Ungewöhnliches an Schiller’s Sterbebette vorgegangen; jene geheimnißvollen Vorgänge würden seitdem durch ein stillschweigendes Compromiß vertuscht, so gut oder so schlecht es gehe,“ charakterisirt nur die Feder, aus welcher sie geflossen; außer Stande, für ihre Lügenangaben auch nur den kleinsten tatsächlichen Anhaltspunkt aufzuweisen, schämt sich diese ultramontane Feder der nichtswürdigsten Verdächtigung und Beschuldigung der Schiller’schen Verwandten nicht, um wenigstens hierdurch die von ihr dem Publicum aufgetischten Lügen einigermaßen zu beschönigen.

Und wie die ultramontanen Blätter in dieser Beziehung jeden Beweis schuldig geblieben sind, so auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_135.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)