Seite:Die Gartenlaube (1875) 330.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

und Hochmüthigen in den menschlichen Charakteren und Einrichtungen entgegen. Das Gefühl für Freiheit und Menschenwürde lebte tief in ihr, und nichts haßte sie so sehr wie Affectirtheit und Unnatur. Einfachheit, Natürlichkeit und Wahrheit waren die Grundzüge ihres Wesens. „Mir ist wohl,“ sagt sie in ihrem Tagebuche, „unter euch Menschen von niederem Stande. Da findet man bei aller Beschränktheit des geistigen Gesichtskreises noch Kraft und Selbstständigkeit. Und was ist unsere Aufklärung, unsere Bildung? Meist äußerer Schimmer, kein inneres warmes Gefühl. Lernt nicht selbst die heilige Sprache der Seele, die Empfindung, eine fremde Sprache, und wird sie nicht oft durch Convenienz und Drechselei zur Unnatur?“ Christophine hatte ein tiefreligiöses Gemüth und dabei ein glückliches, heiteres Temperament. Fromm und fröhlich – gefühlsinnig und thatenfreudig: diese Eigenschaften waren die Hauptmarksteine, zwischen denen das Seelenleben von Schiller’s Lieblingsschwester mitten inne lag und die sie in jeder Lage harmonisch zu verschmelzen verstand.

Zwei Jahre vor unserm Dichter und als ihre Eltern schon neun Jahre kinderlos verheirathet waren, wurde Christophine am 4. September 1757 geboren. Von frühester Kindheit an verband beide Geschwister das Gefühl innigster Zusammengehörigkeit, und Eines konnte sich kaum ohne das Andere denken. Hatten sie doch Beide in dem kleinen Hause der Großeltern von mütterlicher Seite, wo Frau Elisabeth Dorothea Schiller, geborene Kodweis, in der ersten Zeit ihrer Ehe ihre Wochen zu halten pflegte, hatten sie doch im Hause des Löwenwirths zu Marbach das Licht der Welt erblickt und dann in Ludwigsburg, in Lorch, auf der Solitüde bei Stuttgart die Tage der Kindheit mit einander verlebt. Schiller verehrte diese Schwester mit schwärmerischer Liebe. „Wie oft warst Du nicht die Heldin in meinen idealischen Träumen,“ schreibt er ihr am Neujahrstage 1784 von Mannheim. Auf der Solitüde, wo die Verhältnisse des früher nur karg besoldeten Vaters – er war bekanntlich Officier in württembergischen Diensten – sich allmählich besserten, gab es oft gar frohe Zeiten. Ein Fest der Freude aber war es immer, wenn der Bruder von der Karls-Schule herüberkam. Dann wurden häufig dramatische Vorstellungen gegeben und Gegenwart und Zukunft in den Aether der Poesie getaucht: kühne Luftschlösser wurden geplant und die ersten Materialien zu deren Bau herbeigeschafft.

Es herrschte in der Schiller’schen Familie der Ton warmer Kindes- und Elternliebe, und dieses freundliche Verhältniß zwischen den Alten und den Jungen machte namentlich auf das weiche Gemüth Christophinens einen für die Dauer wohlthuenden Eindruck. Sie trug den Eltern unbegrenzte Verehrung entgegen. „Das Beispiel der guten Eltern,“ sagt sie in den im October 1845 von ihr niedergeschriebenen „Notizen über meine Familie“, „ist mir auf meinem langen Lebenswege immer zur Richtschnur geblieben und hat oft in einer Zeit, wo ich mir so viel versagen mußte, meinen Muth erhalten.“ Noch in ihren alten Tagen fragte sie sich bei Allem, was sie unternahm, zuerst, ob ihr Vater es auch wohl würde gebilligt haben.

Christophine war von jeher des Bruders Vertraute gewesen. Als er den Entschluß zur Flucht aus Stuttgart gefaßt hatte, da machte er sie zu seiner Mitwisserin und zu seinem Anwalte bei den Eltern. Sie hat bei diesen seine Sache mit Einsicht und Energie, mit weiblichem Tacte und schwesterlicher Liebe geführt. Nachdem Schiller’s Flucht nach Mannheim gerade in der Nacht von Stuttgart aus in’s Werk gesetzt worden, in welcher der herzogliche Hof die Anwesenheit des Großfürsten von Rußland auf der Solitüde festlich beging (17. September 1782), war es bekanntlich Christophine, durch deren Hand seine gesammte Correspondenz mit dem Elternhause ging. Viel mag sie in dieser Zeit zu vermitteln, durchzukämpfen und auszugleichen gehabt haben, und das immer mehr wachsende und sich befestigende Verständniß der Eltern für die hohen Aufgaben des Sohnes ist gewiß zu einem nicht geringen Theile das Verdienst der treuen Christophine.

Als Schiller Mannheim verlassen und sich nach Bauerbach bei Meiningen zu der Frau von Wolzogen begeben hatte, da bahnte sich auch in dem Leben seiner Schwester eine unerwartete Wendung an, welche für ihre ganze Zukunft entscheidend wurde. Schiller war in Meiningen mit dem Bibliothekar Reinwald, der sich auch als Dichter, namentlich auf dem Gebiete des Humors und der Satire, einen Namen gemacht hatte, bekannt und nach kurzer Zeit sehr vertraut geworden. Reinwald gehörte zu den Ersten, welche den Genius Schiller’s erkannten. Er schrieb am 7. December 1782 in sein Tagebuch: „Heute schloß er mir sein Herz auf, der junge Mann – Schiller – der so früh schon die Schule des Lebens durchgemacht, und ich habe ihn würdig befunden, mein Freund zu heißen. Ich glaube nicht, daß ich mein Vertrauen einem Unwürdigen geschenkt habe, es müßte denn Alles mich trügen. Es wohnt ein außerordentlicher Geist in ihm, und ich glaube, Deutschland wird einst seinen Namen mit Stolz nennen. Ich habe die Funken gesehen, die diese vom Schicksale umdüsterten Augen sprühen, und den reichen Geist erkannt, den sie ahnen lassen.“

Durch einen Zufall lernte Reinwald einen Brief Christophinens an ihren Bruder kennen, und dieses Schreiben wurde die Veranlassung zu einer eifrigen Correspondenz zwischen ihm und der Schwester seines Freundes. In den obenerwähnten „Notizen über meine Familie“ theilt Christophine hierüber mit: „Einst wiederholte mein Bruder Reinwald’s Besuch, aber dieser war über Land gegangen, und er wartete lange auf Reinwald’s Zimmer bis gegen Abend, und endlich zog er seine Brieftasche heraus und las die darin enthaltenen Briefe; unter diesen war auch einer von mir, in dem ich ihm im Auftrage der Eltern schreiben mußte, daß er auch mehr achtsam auf seine Wäsche sein sollte und dergleichen. – Als Reinwald immer noch nicht kam, so ging er verdrießlich fort und ließ seine Brieftasche liegen – endlich kam Reinwald, und seine Hausleute sagten ihm, daß der Herr von Bauerbach lange auf ihn gewartet hätte. Er fand denn also auch die Brieftasche und las die darin enthaltenen Briefe. Wahrscheinlich mochten die Grundsätze der Sparsamkeit, die mein Brief enthielt, ihn bewogen haben, an mich zu schreiben, genug, ich erhielt einen Brief von ihm, wo er mir die Geschichte erzählte und zugleich versicherte, daß er meinem Bruder schon auch dergleichen bemerkt hätte, daß dieser aber jetzt sehr beschäftigt sei, weil er von Göschen sehr gedrängt würde, den Don Carlos zu vollenden, so würde er auch uns nicht viel schreiben können. Er aber könnte uns immer Nachricht geben; mein lieber Vater trug mir auf, Reinwald wieder zu schreiben und ihn zu bitten, fernerhin mit gutem Rathe seinen Sohn zu unterstützen – und so entstand denn ein Briefwechsel, worin immer mein Bruder der Hauptgegenstand war.“

Nachdem Reinwald im Jahre 1784 einen Besuch auf der Solitüde gemacht und sich beim Abschiede die Erlaubniß ausgebeten hatte, die Familie Schiller noch einmal besuchen und den Briefwechsel mit Christophinen fortsetzen zu dürfen, kam er das folgende Jahr wieder und hielt um die Hand des geliebten Mädchens an. „Das war nun freilich eine ernste Frage,“ schreibt Christophine hierüber; „als Freund schätzte ich Reinwald um seiner Rechtschaffenheit und Kenntnisse willen, allein in näherer Verbindung, bei der spärlichen Einnahme, die er als wahrheitsliebender Mann uns redlich gestand, war doch Vieles zu bedenken; auch meine Eltern zu verlassen, den schönen Ort und so Vieles, was ich nachher nie wieder fand.“

Aus Christophinens ganzer Auffassung ihres Verhältnisses zu Reinwald geht klar hervor, daß sie mehr mit dem Verstande oder sagen wir lieber: mit dem Gewissen als mit dem Herzen wählte, indem sie, die Neunundzwanzigjährige, dem zwanzig Jahre älteren Manne (Reinwald wurde am 11. August 1737 zu Wasungen bei Meiningen als der Sohn des dortigen Amtmanns geboren) die Hand reichte. Schiller, obwohl er dem braven Reinwald in inniger Freundschaft und aufrichtiger Hochschätzung zugethan war, konnte den Bund zwischen dem zu hypochondrischen Launen geneigten, kränklichen Manne und seiner lebensfrohen Schwester nicht ohne Besorgniß sich schließen sehen und äußerte sich auch in diesem Sinne gegen die Eltern und Christophinen selbst. Auch die alte Frau Schiller war nicht für die Heirath. Christophine, aber wußte klar, was sie that. Wie ihr ganzes Wesen auf einem durchaus religiösen Grunde ruhte, so ließ sie sich auch bei der Wahl des Gatten von rein religiösen Motiven leiten. Sie war des Glaubens, „daß der Mensch dem lieben Gotte eine besondere Leistung als Beitrag zum Weltganzen schuldig sei, und daß des Menschen Ehre, wie seine Glückseligkeit darin bestehe, zu erkennen und zu erfüllen, was Gott von ihm Besonderes geleistet haben wolle.“ Und in diesem Glauben opferte sie ihr Herz ihrem Gewissen und wurde

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_330.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)