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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

war: ich Grüße euch schönes Jungfreulein! was dreiben sie in dieser Einsamkeit? kommt es inen nicht verleidet vor, so alleine zu sein! – Meine Antwort war: Ja einigemal! – So kommt er ganz nah zu mir hin und wollte mich an der Hant nemen. Ich dachte aber an die Worte, die sie mir, lieber Vater, oft Sagten, – und so ging er wieder einige schrit zurück: er fragt mich und Sagte: – haben sie keine Heiratzgedanken, einen Härr meines gleichen zur Ehe zu nemen“ etc.

Ohne Zweifel zur Belohnung für ihre Standhaftigkeit empfing sie von der Heiligen Clara selber „ein buchsenes, messing-beschlagenes Kreuz“, und zwar mit dem ausdrücklichen Wunsche derselben: „Der Gubel soll jetzt mit Eifer betrieben werden.“

Wie zur Strafe für diesen Heiligenverkehr schreibt und bringt ihr der Teufel nun gar – und zwar „in Gestalt eines schönen Jünglings“ – zärtliche Liebesbriefe, ja, einen Brief zeigte Theresia als den, „welchen ihr der Satann auf die Thürfalle gelegt hatte“. Bedenkt man nun, daß bei solchen Anfechtungen seiner Pflegebefohlenen den Herrn Pfarrer noch der Zweifel plagte, ob der häufige ekstatische Zustand derselben „vom Guten oder vom Bösen herrühre“, so dürfen wir es dem geistlichen Herrn nicht verargen, daß er sich mittelst des Exorcismus darüber Gewißheit zu verschaffen suchte.

Ueber die Art und Weise der Beschwörungsfeierlichkeit selbst hat im Jahrgang 1872, S. 854, unser Artikel „Die besessenen Knaben von Illfurth, ein neuer Beweis für die Schlechtigkeit des Teufels“ Ausführliches mitgetheilt. Hier haben wir nur noch zu bemerken, wie unmanierlich der Teufel sich bei dem so äußerst ernsthaften heiligen Beschwörungsactus oft aufführte: ungeachtet aller Anstrengung konnten die geistlichen Hochwürden auf wiederholte Anfragen oft weiter nichts aus ihm herausbringen, als die gut schwäbischen Worte: „I sag’ der’sch nit.

Ganz anders ging’s vor dem Untersuchungsrichter. Dieser ließ sich nicht erst in Weitläufigkeiten mit dem Teufel ein, sondern nahm die Jungfer Theresia gleich selbst in’s Gebet. Zwar dauerten während der ersten Zeit der Haft die außerordentlichen Erscheinungen und Krampfanfälle noch fort und sogar die Blutung trat gegen Ende des Mai wieder ein, aber um so strenger ward nun die Aufsicht und so gelang es, in der Nacht vom siebenten zum achten Juni die Wunderthäterin auf frischer That zu ertappen: mit einer im Kopfhaar verborgen gehaltenen Steck- oder Heftnadel suchte sie sich in einem scheinbar unbewachten Augenblick Stiche auf die Stirn beizubringen. Bei genauer Untersuchung der Kopfhaut fanden sich noch mehr vernarbte Stichwunden, und es blieb der nun zur Inquisitin gewordenen Wunderheiligen nichts übrig, als das Geständniß, daß sie diese und auch die Wundenmale an den Händen durch Kratzen mit den Nägeln hervorgebracht habe.

Blutung und Ekstase waren damit erklärt und hörten für immer auf; die „Besessenheit“ wurde jedoch von der Städele um so hartnäckiger festgehalten, je größere Eindrücke sie durch dieselbe auf die Klosterexorcisten von Einsiedeln, den Pfarrer Röllin und die große Masse der Dummgläubigen bewirkt hatte. Als ihr aber nachgewiesen wurde, daß der angeblich vom Teufel auf ihre Thürfalle gelegte Brief von ihrer eigenen Hand geschrieben sei, brach mit dieser Lüge die ganze lange Lügenkette auseinander und erfolgte ein Geständniß, von welchem wir – immer den damit eng verwandten Fall der Louise Lateau im Auge – das Wesentlichste mittheilen müssen.

Theresia Städele, damals sechsundzwanzig Jahre alt, aus Bohlingen (Amt Radolfzell) in Baden gebürtig, wurde von ihren armen Eltern früh zum Betteln ausgeschickt, mußte schon vom neunten Jahre an sich ihr Brod selbst verdienen, leistete kurze Zeit auf dem Karlsruher Theater Aushülfe in untergeordneter Stellung und scheint schon damals Mitglied eines „Betvereins“ gewesen zu sein und Neigung zum Klosterleben, aber auch zur Wunderthäterei gewonnen zu haben. Aus der Untersuchung ging nämlich hervor, daß schon in Karlsruhe sich die Städele mit ihrem eigenen Blute dem Teufel verschrieben habe, und zwar dafür, daß sie auf dem Theater gleich in allen Sprachen reden und mitspielen könne, ohne etwas lernen zu müssen. Nach einer Liebesgeschichte, an die sich ein regelloses Leben knüpfte, gerieth sie in die schlimmsten Hände, in die ein solches Wesen fallen konnte: um „ein gesichertes Unterkommen“ zu finden, trat sie, gegen vierzig Gulden Einzugsgeld, in das damals, von dem Vicar Rollfuß gehaltene, aber von der Regierung des Cantons Schwyz Anfangs 1848 aufgehobene Klosterinstitut „zur ewigen Anbetung“ am Steinerberge. Hier hatte sie einen wirklichen Anfall von Krämpfen, in welchen jedoch Rollfuß sofort „Besessenheit“ erkannte, eine Entdeckung, die er der Klostervorsteherin mit den Worten verkündete: „Wenn dieses Kind in diesem Leiden ist, so kann dies uns noch Glück bringen.“

Diese Verkündigung fiel als Same auf einen nur allzu empfänglichen und sattsam vorbereiteten Boden, und so sehen wir nun die Städele im Studium religiöser Heuchelei am Steinerberge die Vorschule durchmachen, um dann in Einsiedeln die hohe Schule zu besuchen und in Wenzingen in die Praxis überzugehen, die im Zuchthause ihren Abschluß fand. – Wir lassen sie nun so weit thunlich mit ihren eigenen, den Untersuchungsacten entnommenen Worten reden.

„Am Steinerberg“, sagte sie, „wurden über das Essen aus dem Buche Allerheiligen geistliche Lesungen gehalten; in diesem las ich auch die Geschichte des Hl. Franciscus, wie er, vom Satan geplagt, sich dadurch eine große Heiligkeit erworben habe. Ich dachte, ich wollte es auch so machen, um zu dieser Heiligkeit zu gelangen. Die Besessenheit machte (ich) dann zuerst in Steinen – dann in Einsiedeln – und dann in Menzingen nach. Da ich an Krämpfen im Steinerbergkloster anfänglich gelitten, brauchte (ich) diese, als solche vorübergewesen, und ahmte die Bewegungen nach, daß die Herren es wirklich geglaubt.“ Dazu fügt sie die prächtige Erläuterung: „Ich gab vor nicht beten, nicht essen, nicht in der Kirche sein und nicht communiciren zu können. Schon in Einsiedeln gab ich solches den Patres Athanasius, Franz und Stephan vor. Dort habe (ich) auch von einer Agatha, die ebenfalls unter Behandlung obiger Herren gestanden, vernommen, daß die Patres hieran am besten erkennen, daß man besessen sei.“ So zeigte sich denn die Städele auch diesen Stifts-Teufelsbeschwörern gewachsen; war sie doch als bereits „Besessene“ vom Steinerberg im Voraus den gläubigen Patres empfohlen! Zudem besaß, wie die Acten ebenfalls ergeben, die Städele recht hübsche Kenntnisse in der Literatur über dämonische und ekstatische Zustände.

Was nun die Blutung betrifft, auf welche die Städele zuerst durch die Legende vom heiligen Franz von Assisi im Steinerbergkloster gebracht worden, so benutzte sie die Gelegenheit schon in Einsiedeln, die Teufelsbeschwörung durch den Dämon benachrichtigen zu lassen, daß sie später die Wundmale bekommen werde. „Ich dachte“, sagte sie im Verhör, „wenn ich die Wundmale des Heilands habe, werden die Leute sagen, wenn eins so etwas Außerordentliches an sich trage, sei’s gewiß in ein Kloster bestimmt; da in der Welt draußen so etwas nicht bestehen könne, sondern nur in einem Kloster zum Vorschein komme.“ – „Die Absicht (der Städele) war übrigens, die Blutung erst im Gubelkloster zu bewerkstelligen. Da ich aber arm bin, dachte (ich), ich wolle sie früher eintreten lassen, ich werde dann eher Almosen erhalten, um auf den Gubel kommen zu können.“ – „Als ich nach Menzingen gekommen, setzte (ich) mein früheres Thun fort und zwar, weil ich anfänglich keine Hoffnung hatte, vom Pfarrer versorgt zu werden.“ – „Als ich mich im Pfarrhof untergebracht befand, gab ich vor, daß der frühere Zustand, wie in Einsiedeln, wiederkehre.“ – Und nun gestand sie, welche Reihe von Betrügereien sie anwandte, um den Pfarrer und dessen Köchin, die Kathri, im Glauben an ihre Besessenheit zu bestärken; sogar die Briefe des Pfarrers las sie heimlich, um deren Inhalt zu vorgeblichen Ekstasen zu benutzen.

Das Geständniß war so vollständig, daß das Criminalgericht am ersten August 1849 die Theresia Städele wegen des Criminalverbrechens des Betruges mittelst künstlich erregten Blutschwitzens sowie mittelst simulirter Besessenheit zur Ausstellung auf der Schandbank, dreißig Ruthenhieben, dreijähriger Zuchthausstrafe etc. verurheilte.

Wie verführerisch damals das Beispiel der Städele zu werden drohte und wie gerechtfertigt das energische Einschreiten der Behörde war, dafür sprach die Thatsache, daß derselbe Pfarrer Röllin bereits von einer zweiten Stigmatisirten sprach, einer Anastasia Meyer im Gubelkloster, die jedoch im Augenblicke, wo die Städele in Haft genommen wurde, ihr Heil in der Flucht suchte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_356.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2021)