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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Landschaftshaus, später Fürstenhaus genannt, zur Wohnung; die Mutter widersprach, er aber blieb fest bei seinem Entschlusse, und Mutter und Regierung mußten sich fügen.

Doch Ehrgeiz und Eigenwille waren es nicht allein, die ihn erfüllten. Ihn drängte es, wie die lästigen Fesseln der Hofetiquette, so überhaupt in Leben und Kunst die Fesseln engherzigen, pedantischen Zwanges, die veralteten Formen zu brechen, neue Bahnen zu öffnen, tüchtiges Neues an die Stelle des Alten zu setzen. So empfing er wie seine Mutter mit freundlichem Wohlwollen den Pädagogen Basedow, welcher im Jahre 1774 Weimar besuchte und „durch Ahnung von der Wohlfahrt, die durch Karl August’s Gewissenhaftigkeit und Geschäftigkeit werde fortgesetzt und vermehrt werden, herzlich erfreut wurde“. So begrüßte er mit voller Sympathie den genialen Sturm und Drang, welcher vom Rheine her, das junge, feurige Dichtergenie Goethe’s an der Spitze, eine neue Zeit ankündigte, und noch vor seiner Volljährigkeit wurde ihm Gelegenheit, den rasch berühmt gewordenen jungen Doctor Goethe persönlich kennen zu lernen. Vom Herbste 1774 bis zum Sommer 1775 führte der Prinz jene Reise nach Frankreich aus, welche für ihn so äußerst bildend werden sollte und ihn überdies mit seiner nachherigen Gemahlin, der Prinzessin Louise von Hessen-Darmstadt bekannt machte, deren „männlicher, guter, wahrer und entschiedener Charakter“ ihn gewann. Auf dieser Reise war es, wo er in Frankfurt unter Vermittlung von Knebel’s die erste persönliche Zusammenkunft mit dem Verfasser des „Götz“, des „Werther“, des „Clavigo“ hatte, und trotz des übermüthigen Angriffs, welchen Goethe erst kurz vorher in seiner Farce „Götter, Helden und Wieland“ auf den verehrten Erzieher des jungen Fürsten schonungslos derb ausgeführt hatte, war vom ersten Augenblick an Karl August von Goethe, Goethe von Karl August gewonnen. Zwei universelle geniale Naturen hatten sich erkannt, sich gefunden, gefunden für immer.

Die letztwillige Verfügung des verstorbenen Vaters Ernst August Constantin hatte auf das vollendete achtzehnte Lebensjahr des Erbprinzen den Zeitpunkt festgesetzt, wo für ihn bei dem kaiserlichen Hofe die Volljährigkeitserklärung erbeten werden sollte, welche Karl August nöthig hatte, um selbst die Regierung seines Landes führen zu können. Dieser Zeitpunkt nahte mit dem 3. September 1775 heran; vom Kaiser wurde die Mündigkeit des Erbprinzen ertheilt; am 3. September erfolgte sein Regierungsantritt, und wenige Wochen später, am 3. October, seine Vermählung mit Louise. Bei der Durchreise des neuvermählten Paares durch Frankfurt und dem Wiedersehen Goethe’s wiederholte der junge Fürst die Einladung desselben nach Weimar, und gegen den Wunsch und Rath seines Vaters folgte Goethe der Einladung. Am 17. October hielten Karl August und Louise ihren festlichen Einzug in Weimar, und schon am 7. November traf daselbst Goethe ein. Von diesem Tage datirt das innige, treue Freundschaftsverhältniß, welches zwischen Dichter und Fürst über fünfzig Jahre bis zum letzten Athemzuge des Herzogs fortbestand, – ein Freundschaftsverhältniß so wahrer, herzlicher Natur, daß noch nach vierunddreißig Jahren der Herzog seinem Freunde als Dank für dessen Glückwunsch zu seinem Geburtstage, 3. September 1809, erwiderte: „wenn Du thätig, froh und wohl bist, so lange ich noch mit Dir gute Tage erleben kann, so wird mir mein Dasein höchst schätzbar bleiben;“ – ein Freundschaftsverhältniß selbst über den Tod hinaus, denn Karl August ordnete letztwillig an, daß Goethe dereinst in der Fürstengruft neben ihm ruhen sollte. Von jenem Tage datirt aber auch der Einfluß, welchen der geniale Dichter nicht nur während der köstlichen, lustigen Tage der „Genieperiode“, – in denen er so oft Tisch und Schlafzimmer, die Borkenhütte im Parke, mitunter selbst die Streu, und alle Studien, Abenteuer und Reisen mit dem Freunde theilte, – sondern während des ganzen Lebens des Herzogs auf diesen übte, indem er ihn einestheils körperlich zu stärken, anderntheils zur Anschauung der Natur hinzuleiten, ihn in seiner Neigung zu wissenschaftlichen Forschungen, in der Erkenntniß und Bethätigung alles Tüchtigen und Wahren zu befestigen suchte.

Die Empfänglichkeit des Herzogs hierfür zeigte sich schon in seiner äußern Erscheinung. Während gemäß der zwangvollen französischen Hofetiquette, in welcher er erzogen war, bisher ein starr gestickter Rock und eine ebensolche Weste, seidene Strümpfe mit abgestumpften Schuhen und großen silbernen Schnallen, ein großer Federhut auf dem hohen, wohl gekräuselten Toupet, und ein Degen mit vielen Bandschleifen sein Costüm gebildet hatte, nahm er nun das Werthercostüm seines Freundes: den blauen Frack mit gelben Metallknöpfen, Lederhosen und Stulpenstiefeln an. Unglaublich groß aber sind, um mit Wieland’s Worten zu reden, die Verdienste, welche Goethe um den Herzog in dessen erster Regierungszeit gehabt, die Selbstverleugnung und Aufopferung, mit welcher er sich ihm gewidmet und Edles und Großes, das in dem fürstlichen Jüngling noch schlummerte, hervorgerufen und zur Entwickelung gebracht hat. Ihn, den Dichterfreund, welcher zunächst nur als Gast am Weimarischen Hofe weilte, dort festzuhalten, ihm auch in seinem Ministerrathe den Platz an seiner Seite zu geben, war der Wunsch Karl August’s, und weder der Neid und die Kabalen, welche die Ernennung des Frankfurter Rechtsanwalts zum Mitgliede des Geheimen Conseils zu verhindern suchten, noch auch die Bedenken des Geheimen Raths von Fritsch konnten ihn von der Verwirklichung dieses Herzenswunsches abhalten. Wohl nicht mit Unrecht bezweifelte der erfahrene, strenge von Fritsch für jene Zeit die Tauglichkeit des jungen Rechtsanwalts und Dichters „einem dergleichen beträchtlichen Posten“, ja er ging soweit, geradezu zu sagen: „das Collegium müsse durch die Placirung des Dr. Goethe in selbigem in den Augen des Publici gar sehr heruntergesetzt werden“; er machte ferner auf „die Rechte anderer langgedienter Diener“ aufmerksam und bat sogar um seine eigene Dienstentlassung, da er „in einem Collegio, dessen Mitglied Dr. Goethe anjetzt werden solle, länger nicht sitzen könne“. Aber alles dies konnte den willensstarken Fürsten, welcher sich seinem Freunde mit aller Wärme und Begeisterung angeschlossen, von der energischen Ausführung seines Planes nicht abhalten. Von Beaulieu-Marconnay hat in seinem trefflichen Buche „Anna Amalia, Karl August und der Minister von Fritsch“ (1874) den denkwürdigen Brief des Herzogs an von Fritsch, in welchem der Erste seinen festen Entschluß erklärte, vollständig wieder gegeben. Ich kann daraus hier nur wenige Stellen einschalten.

„Wäre“ schrieb im Mai 1776 der noch nicht neunzehnjährige Fürst an seinen Minister, „wäre der Dr. Goethe ein Mann eines zweideutigen Charakters, würde ein jeder Ihren Entschluß billigen, Goethe aber ist rechtschaffen, von einem außerordentlich guten und fühlbaren Herzen; nicht allein ich, sondern einsichtsvolle Männer wünschen mir Glück, diesen Mann zu besitzen. Sein Kopf und Genie ist bekannt etc. Einen Mann von Genie nicht an dem Orte gebrauchen, wo er seine außerordentlichen Talente gebrauchen kann, heißt denselben mißbrauchen etc. Die Welt urtheilt nach Vorurtheilen, ich aber, und jeder der seine Pflicht thun will, arbeitet nicht um Ruhm zu erlangen, sondern um sich vor Gott und seinem eigenen Gewissen rechtfertigen zu können und suchet auch ohne den Beifall der Welt zu handeln etc. Wie sehr muß es mich befremden, daß Sie, statt sich ein Vergnügen daraus zu machen, einen jungen, fähigen Mann, wie mehrbenannter Dr. Goethe ist, durch Ihre, in einem zweiundzwanzigjährigen treuen Dienst erlangte Erfahrung zu bilden, lieber meinen Dienst verlassen, und auf eine, sowohl für den Dr. Goethe, als, ich kann es nicht leugnen, für mich beleidigende Art; denn es ist als wäre es Ihnen schimpflich, mit demselben in einem Collegio zu sitzen, welchen ich doch, wie es Ihnen bekannt, als meinen Freund ansehe, und welcher nie Gelegenheit gegeben hat, daß man denselben verachte, sondern aller rechtschaffenen Leute Liebe verdient. – Hier haben Sie mit aller möglichen Aufrichtigkeit, was ich über Ihren Entschluß denke. Sie sind Herr und Meister, zu thun, was Sie wollen; ich hielte es für eine Ungerechtigkeit, es sei wer es wollte, in so wichtigen Vorfallenheiten seines Lebens einzuschränken; aber wie sehr wünsche ich, Sie bedächten Sich anders.“

Diesmal intervenirte die Herzogin Amalie bei dem Minister; er blieb, und Karl August berief seinen Freund Goethe – „wegen seiner uns genugsam bekannten Eigenschaften, seines wahren Attachements zu uns und unsern daher fließenden Zutrauens und Gewißheit“ am 11. Juni 1776 als Geheimen Legationsrath in sein „Geheimes Consilium“.

(Schluss folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_603.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)