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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

treffend und wahr gezeichnet ist, wie mir und meiner seligen Louise zu Muthe war, als wir uns zum ersten Male sahen, und wie wir uns oft nachher bekannt haben. Es war keine verliebte Sentimentalität, sondern ein bestimmtes, klares Bewußtsein, was gleichzeitig im Lichtblicke ihre und meine Augen mit Freudenthränen netzte. Gott, was Alles liegt nun zwischen jenem ersten Anblick, wo ich sie fand, und diesem, wo ich ihren Verlust beweine! Weiß wohl, solche sympathische Gefühle sind die schönen Gefühle der ersten jugendlichen Liebe, sind nur einmal da und kommen nachher in dieser Reinheit nicht wieder. Aber gern denke ich daran zurück und möchte wohl mal jene Stelle im Schiller wieder lesen, habe sie aber nicht finden können.“

Bischof Eylert, an den der König diese Worte richtete, suchte in den Werken des Dichters die bezeichnete Stelle, welche er in der Braut von Messina in den bekannten Versen fand:

„–     –     –     –     –     –     –     Als ich
Die Augen wandte, stand sie mir zur Seite,
Und dunkel mächtig, wunderbar ergriff
Im tiefsten Inneren mich ihre Nähe.
Nicht ihres Lächelns holder Zauber war’s,
Die Reize nicht, die auf der Wange schweben,
Selbst nicht der Glanz der göttlichen Gestalt –
Es war ihr tiefstes und geheimstes Leben,
Was mich ergriff mit heiliger Gewalt,
Wie Zaubers Kräfte unbegreiflich weben. –
Die Seelen schienen ohne Worteslaut
Sich ohne Mittel, geistig zu berühren,
Als sich mein Athem mischte mit dem ihren;
Fremd war sie mir und innig doch vertraut,
Und klar auf einmal fühlt’ ich’s in mir werden:
Die ist es, oder keine sonst auf Erden.

„Ja, ja,“ bemerkte der König, nachdem er die herrlichen Verse gehört hatte. „Das ist die Stelle, die ich meinte; sehr schön! Macht aber jetzt einen anderen Eindruck. Die Rosen sind abgefallen, die Dornen übrig geblieben. In der Ehe selbst noch mehr gefunden als in der Poesie. Diese ist mir jetzt zu süßlich. Darf mich dem nicht hingeben. Macht mich weich und paßt nicht zu dem, was mir in böser, schwerer Zeit obliegt.“

Gleichzeitig mit dem Kronprinzen fühlte sich der jüngere Bruder desselben, Prinz Louis, zu der schönen Schwester der unvergleichlichen Louise hingezogen. Beide Paare feierten am 24. April 1793 in Darmstadt ihre Doppelverlobung, wogegen die Vermählung wegen des Krieges mit dem republikanischen Frankreich erst am 24. December desselben Jahres in Berlin erfolgte. Vom ersten Tage an war die Ehe, an der die Politik keinen Antheil hatte, die glücklichste, obgleich die Neuvermählten mit manchen Widerwärtigkeiten zu kämpfen hatten. Damals herrschte noch am Hofe ihres Vaters, Friedrich Wilhelm’s des Zweiten, die berüchtigte Gräfin Lichtenau, die preußische „Dubarry“, mit ihrem schamlosen Anhang charakterloser Männer und liederlicher Frauen. Man konnte sich in der That keine größeren Gegensätze denken, als den einfachen häuslichen, sittenstrengen, deutsch gesinnten Kronprinzen und den sinnlichen, verschwenderischen, französischen Moden und Galanterien huldigenden König. In einer Zeit, wo die Tugend verspottet wurde, die eheliche Treue lächerlich erschien, gab das junge fürstliche Ehepaar ein leuchtendes Beispiel der reinsten Liebe und Häuslichkeit. Beide vermieden, so weit dies ihnen nur möglich war, jede Berührung mit diesen unsauberen Elementen und bewahrten sich wenigstens im vertrauten Umgange den ihnen eigenen schlichten, keuschen Sinn. Während in den höheren Ständen Mann und Frau sich gegenseitig mit dem kalten „Sie“ anredeten, begrüßten sie einander mit dem alten vertraulichen „Du“, was förmlich Sensation erregte.

„Wie ich höre,“ bemerkte eines Tages der König mißfällig seinem Sohne, „nennst Du die Kronprinzessin Du.“

„Geschieht mit guten Gründen,“ entgegnete dieser, indem er scherzend die Erklärung hinzufügte: „Mit dem ‚Du‘ weiß man immer, woran man ist, dagegen bei dem ‚Sie‘ ist immer das Bedenken, ob es mit einem großen ‚S‘ gesprochen wird, oder mit einem kleinen.“

Trotz aller Vorstellungen der gestrengen Frau Oberhofmeisterin kümmerte sich der Kronprinz wenig oder gar nicht um die Etiquette, welche ihm vorschrieb, sich, wenn er seine Gemahlin sehen wollte, bei ihr vorher anmelden zu lassen. Zum Schein fügte er sich zwar, als aber eines Tages die würdige Dame mit feierlicher Miene in das Zimmer trat, um den ihr angekündigten Besuch des Kronprinzen in aller Form anzumelden, fand sie ihn bereits an der Seite seiner Louise sitzen, indem er rasch durch eine andere Thür unbemerkt ihr zuvorgekommen war.

„Sehen Sie, liebe Voß,“ rief er der erstarrten Oberhofmeisterin zu, „meine Frau und ich, wir sehen und sprechen uns unangemeldet, so oft wir wollen und wünschen. Es ist das, denke ich, in guter christlicher Ordnung. Sie aber sind eine charmante Oberhofmeisterin und sollen von nun an ‚dame d’étiquette‘ heißen.“

Aus diesem Grunde zogen auch beide ein stilles Leben in ländlicher Umgebung der geräuschvollen, aber lästigen Pracht des Hofes vor. Der König hatte seiner schönen Schwiegertochter, deren Tugend er wohl zu würdigen wußte und die er selbst nur „die Fürstin der Fürstinnen“ nannte, zu ihrem Geburtstage das Lustschloß „Oranienburg“ geschenkt, dessen Name an die erste Gemahlin des großen Kurfürsten, an die edle, fromme Namens- und Geistesschwester Louise von Oranien erinnerte.

Bei dieser Gelegenheit fragte der gutmüthige Monarch die Kronprinzessin, ob sie sonst noch einen Wunsch habe, worauf sie erwiderte: „Nur noch eine Hand voll Gold, um mit den Armen von Berlin mein Glück zu theilen.“ Als er dagegen lächelnd bemerkte, wie groß sich das Geburtstagskind wohl diese Hand voll Gold denke, gab sie die treffende Antwort: „Gerade so groß, wie das Herz meines guten Königs.“

In dem freundlichen Oranienburg verlebte Louise mit ihrem Gatten schöne, heitere Tage in ländlicher Abgeschiedenheit. Zum großen Verdrusse der Oberhofmeisterin ging es am kronprinzlichen Hofe so einfach und ungenirt zu, daß sie mehr als einmal schauderte. Die hohen Herrschaften machten sogar einmal eine Lustfahrt nicht in der sechsspännigen Staatsequipage mit obligaten Dienern und Lakaien, sondern auf einem – gemeinen Leiterwagen. Das war zu arg, und keine Macht der Erde, weder die freundliche Einladung des Gebieters, noch das liebenswürdige Zureden der hohen Herrin, konnten die „dame d’étiquette“ bewegen, den ominösen Leiterwagen zu besteigen.

Leider wurden die schönen Tage von Oranienburg durch den Aufstand in Polen gestört, zu dessen Bekämpfung der Kronprinz mit seinem Regiment in’s Feld zog, wo er bei dem Sturm auf Wola mit gewohnter Tapferkeit kämpfte. Damals äußerte die zurückgebliebene Louise: „Ich zittere vor jeder Gefahr, der sich mein Mann aussetzt, aber ich sehe ein, daß der Kronprinz, als der Erste nach dem König auf dem Throne, auch der Erste nach ihm im Felde sein muß.“

Aber auch sonst fehlte es dem jungen Ehepaar nicht an ernsten Prüfungen, welche besonders Louise’s Liebe zu bestehen hatte und aus denen ihr reines Herz wie lauteres Gold hervorging. Nach den vor Kurzem erst erschienenen Erinnerungen der eben genannten Oberhofmeisterin, der Gräfin Voß, wurde der geniale Prinz Louis Ferdinand, ein naher Verwandter des königlichen Hauses, von glühender Leidenschaft für die schöne Fürstin ergriffen. Mit Hülfe ihrer jüngeren, unerfahrenen Schwester suchte der Prinz sich der edlen Frau zu nähern und das reine unschuldsvolle Familienleben durch seine stürmische Neigung zu stören. Aber Louise fand die beste Stütze in ihrer Tugend und in ihrem streng sittlichen Gatten den treuesten Freund, der sie vor jeder Versuchung beschützte und im Augenblicke der Gefahr, wo sich fremde Einflüsse zwischen ihm und ihr eindrängten und den ehelichen Frieden bedrohten, durch seine Güte, Wahrhaftigkeit und Festigkeit die störenden Elemente für immer bannte.

Das Glück des hohen Paares wurde durch die Geburt des ersten Sohnes, des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm des Vierten gekrönt, nachdem die junge Mutter zuvor in Folge eines Falles von der kleinen Treppe des Palais von einer todten Tochter entbunden worden war. Mehr als je fühlten jetzt Beide nach solchen Ereignissen den Wunsch nach Zurückgezogenheit. Selbst das stille Oranienburg erschien ihnen nicht ländlich genug, das Schloß noch zu prächtig und die Umgebung noch zu geräuschvoll. Aus diesem Grunde kaufte der Kronprinz für dreißigtausend Thaler das Landgut Paretz in der Nähe von Potsdam, und ließ sich daselbst nach seinen eigenen Angaben ein bescheidenes Haus bauen, wie es sich „für einen armen Gutsbesitzer“ schickt. Hier führte die glückliche Familie ein idyllisches Dasein, besonders Louise, welche die Natur über Alles liebte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_006.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2024)