Seite:Die Gartenlaube (1876) 232.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

des Blutes; es ist dabei die Zahl der eisenhaltigen Blutkörperchen manchmal auf die Hälfte, ja auf ein Dritttheil reducirt. Von diesen Körperchen rührt die bekannte rothe Farbe des Blutes her, sowie das lebensfrische Colorit der Haut. Bleichsüchtige Blondinen haben eine wachsweiße Haut, während schwarzhaarige ein mehr schmutzig graues, etwas in’s Gelbliche stechendes Colorit zeigen. Am deutlichsten kann man dies an den Ohren sehen, und von den sichtbaren Schleimhäuten ist es namentlich das Zahnfleisch, auf welchem sich die Bleichsucht abspiegelt. Die Wangen sind weniger maßgebend; es giebt rothwangige Mädchen mit Bleichsucht und blaßwangige ohne Bleichsucht.

Der genannte Blutfehler bildet sich bei einer unzureichenden Nahrung, bei einem Speisezettel, auf welchem die Fleischspeisen vergeblich gesucht werden. Da aber, wie bekannt, die Bleichsucht besonders häufig in Städten vorkommt und dort sogar bis in die höchsten Stände hinaufreicht, so wird sich vielleicht Dieser oder Jener zu der Frage veranlaßt sehen, ob denn bei dieser Krankheit wirklich der Mangel an Fleischnahrung im Spiele sei, denn im Allgemeinen nimmt man doch an, daß in Städten mehr Fleisch gegessen werde als auf dem Lande. Wer aber das Leben kennt, der weiß gar wohl, daß in manchen „vornehmen“ Häusern die Beefsteaks oft aussehen wie – Kartoffeln; daß ferner, wenn wirklich einmal Fleisch auf den Tisch kommt, dasselbe häufig in ungesunden, schwer verdaulichen und namentlich überwürzten Gerichten erscheint, und daß endlich in den Quantitäten und in der Eintheilung der Mahlzeiten oft nicht die geringste Rücksicht genommen wird auf die Gesundheit.

Nachdem man, wie bereits angegeben wurde, den Eisenmangel im Blute als das Wesen der Krankheit erkannt hatte, suchte man diesen Mangel auszugleichen durch eisenhaltige Arzneien. Ueber die Wirkungsweise dieser Mittel entwickelten sich im Verlaufe der Zeit ganz verschiedene Ansichten. Die Einen behaupten, das Eisen heile die Bleichsucht, indem es in’s Blut übergehe, während Andere versichern, das Eisen greife gar nicht in den Stoffwechsel ein, sondern wirke blos als ein wohlthätiges Reizmittel für die Verdauung. Exacte physiologische Versuche haben nun dargethan, daß nur ein ganz kleiner Theil der Eisenpräparate sich mit dem Eiweiß im Speisebrei zu einer Verbindung vereint, welche zum Uebergang in’s Blut befähigt ist; bei weitem der größte Theil passirt als Schwefeleisen nutzlos den Darm. Eine noch größere Schattenseite solcher Eisencuren zeigte sich darin, daß von den vielen Stahlpulvern, Stahltropfen, Stahlwässern nicht ein einziges sich als „wohlthätiges Reizmittel“ des Magens bewährte, daß im Gegentheile bei länger fortgesetztem Gebrauche – und dieser ist ja in einer so langsam verlaufenden Krankheit immer nöthig – regelmäßig Verdauungsstörungen auftreten. Zuerst kommt ein Gefühl von Schwere in der Magengrube, dann folgt Aufstoßen von übelriechenden Gasen und zuletzt eine gänzliche Niederlage des Appetits.

Wo ist unter solchen Umständen das Heil für Bleichsüchtige zu suchen? Gehe einmal, anstatt immer nur der lateinischen zuzulaufen, in die deutsche Küche! Dort wirst Du unter Anderem auch diejenigen Heilmittel finden, welche Eisen in einer leicht verdaulichen Form enthalten und zudem noch vortrefflich munden. Diese Heilmittel heißen: Beefsteak, englischer Braten, Soupe à la reine etc. Alles Fleisch, welches eine rothe Faser hat, ist als eisenreich bekannt; ferner ist durch die Praxis mehr als genügend constatirt, daß dieses Eisenpräparat noch nie jene Störungen in der Verdauung verursacht hat, welche oben geschildert sind. Darf man sich also wundern, wenn in neuester Zeit immer mehr Aerzte ihren derartigen Patienten keine Recepte mehr verschreiben, sondern – Speisezettel? Es genügt aber nicht, den Kranken die zuträglichen Speisen einfach zu nennen; man muß ihnen auch noch Vorschriften für die Zubereitung geben, weil die meisten der landesüblichen Kocharten Speisen liefern, die für solche Zwecke nichts taugen. Man denke nur an das allbekannte Rindfleisch au naturel und an die alltäglichen Braten; in beiden Gerichten sind die Eiweißkörperchen hart geronnen; beide haben Saft und Kraft in die Saucen ausgeschwitzt; beide sind somit schwerverdaulich gemacht und ihres Nährwerthes beraubt worden. Unter solchen Umständen wird uns gestattet sein, aus dem Munde des Arztes ein wenig den Kochkünstler vernehmen zu lassen. Nimm zu dem für solche Kranke bestimmten Braten kein anderes Stück Fleisch als Filet! Das Filet hat die zarteste Faser und, was hier auch nicht unwichtig ist, den geringsten Fettgehalt. Ein Portion darf nicht schwerer sein als achtzig Gramm. Das faserquer abgeschnittene Stück muß zu einem förmlichen Wurstteige zerhackt werden. Nachdem dieser genügend gesalzen und gepfeffert ist, wird daraus ein fingerdicker Kuchen geformt. Du darfst jetzt aber weder an’s Braten noch an’s Kochen denken. Der Fleischkuchen muß roh verspeist werden; rohes Fleisch ist dreimal leichter zu verdauen als gekochtes. Damit die Speise aber auch munde, müssen darüber zwei Schnitte einer frischen (das heißt weißen, nicht mumienartig gebräunten) Salzsardelle gekreuzt werden; in jedes der vier Felder kommt eine Kaper. (Im Vorbeigehen sei bemerkt, daß diese vortreffliche Speise auch häufiger auf den Tisch der Gesunden kommen sollte; für diesen Fall darf sie dadurch noch etwas pikanter gemacht werden, daß man in dem Teller, in welchem man das Gericht serviren will, noch einen Eßlöffel voll Weinessig und einen Theelöffel voll feinstes Olivenöl, sogenanntes Jungfernöl, verrührt.)

Die zweite für Bleichsüchtige geeignete Fleischgattung, das Hammelfleisch, darf nur in der Form von Coteletten auf den Tisch kommen, welche auf dem Roste à l’anglaise gebraten wurden. – Auch manches Wildpret ist für solche Curzwecke sehr geeignet, z. B. fast alles Haarwild, und vom Federwild die Schnepfen, Wildenten, Wildtauben. Bei diesen herrlichen Tröstern für betrübte Bleichsüchtige muß aber entschieden gewarnt werden vor dem allgemein üblichen Beizen. Die Mägen der Bleichsüchtigen vertragen nur frischen (ungebeizten) Braten, zu welchem bekanntlich nur junges, zartes Fleisch verwendbar ist. Auch die Jus (Bratensaucen) taugen hier nichts, einestheils wegen der vielen Würzen, anderntheils wegen ihres großen Gehaltes an Fett und leimigen Substanzen.

Von den Suppen für Bleichsüchtige ist nur jene Art zu empfehlen, die zur Grundlage eine fettarme, aber dennoch kräftige Fleischbrühe hat und anstatt der sonst so gebräuchlichen Einlagen aus der Reihe der Stärkemehlstoffe (Reis, Sago, Tapioca) eine solche aus dem Thierreiche. Obenan steht die weltberühmte Soupe à la reine, welche bekanntlich zerhackten Geflügelbraten zur Einlage hat.

Der Peccoe- und der Souchongthee enthält immer eine gewisse Menge Eisen und Mangan, nach Liebig ungefähr ebenso viel wie eine schwache Stahlquelle. Deshalb darf auch solcher Thee auf den Speisezettel der Bleichsüchtigen gesetzt werden; er eignet sich ganz besonders als Beigabe zu kaltem Fleischbraten. Der Thee für Bleichsüchtige darf nicht länger als fünf Minuten aufgegossen werden, da er sonst zu viel Tannin aufnimmt, welcher Stoff, wenigstens in größeren Quantitäten, die Verdauung der Eiweißkörper zu stören vermag. Zweitens darf solcher Thee nicht zu stark sein; ein Thee, zu welchem mehr als zwei Gramm Blätter auf zweihundert Gramm Wasser genommen wurde, ist für solche nervöse Kostgängerinnen zu aufregend. Endlich muß man nicht vergessen, daß vieles Kochwasser hart, kalkreich ist und deshalb zum Theesieden nichts taugt; man verwende also destillirtes Wasser aus der Apotheke!

Bevor wir nun zur Aufstellung des vollständigen Speisezettels übergehen, wollen wir noch, damit ja keine Irrthümer geschehen können, über einige andere Nahrungs- und Genußmittel zu Gericht sitzen, welche mitunter den Bleichsüchtigen gedankenlos gestattet werden. Alles Fleisch mit weißer Faser, also namentlich das Kalbfleisch paßt hier nicht; es hat einen viel zu geringen Gehalt an Eisen und einen viel zu großen an Leimstoff. Das Schweinefleisch muß schon wegen seines Fettreichthums gestrichen werden. Die Eier werden im gewöhnlichen Leben selten richtig beurtheilt; Wenige wissen, daß dieselben in ihrem Fettgehalt nicht weit hinter dem Mastochsenfleische stehen. Die Milch enthält allerdings auch viel Eiweißkörper, dabei aber wieder soviel Fett, daß Milchcuren eher geeignet sind, ein reichliches Fettpolster zu schaffen als besseres Blut. Und viele Bleichsüchtige sind schon ohnedem wegen eines allzugroßen Körperumfangs ein Bischen in Verlegenheit. Gemüse sind, mit Ausnahme allenfalls des eisenreichen Spinats, als nutzloser Ballast zu bezeichnen; Bleichsüchtige können bei ihren schwachen Magen keine Dinge brauchen, welche fast ohne allen Nährwerth sind und zudem noch gerne Blähungen verursachen. Es gab eine Zeit,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_232.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)