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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

der, als in stiller, einsamer Nacht scheinend, mehr als Anderes zu denken gab, und auch hier sind einige ganz anmuthige Entdeckungen gelungen, auf welche im Nachstehenden aufmerksam gemacht werden soll.

Betrachten wir den Vollmond, so wird er den Meisten wie ein pausbäckiges Gesicht vorkommen, das, je nach der Stunde, in welcher sie aus dem Wirthshause heimgehen, gerade oder schief steht. Die Sternkundigen halten die dunklen Flecken, welche auf diesem Gesichte Augen, Mund und Nase andeuten, für Berge oder Thäler des Erdtrabanten. Das Volk, das kein Fernrohr, aber ebenfalls Wissensdrang und zur Befriedigung desselben eine flinke und fruchtbare Phantasie hatte, nennt sie den Mann im Monde und weiß auch, wie der Mann in den Mond gekommen ist. Stimmen die Ansichten, die es in dieser Hinsicht hat, nicht in allen Stücken überein, so doch darin, daß er ein armer Verbannter ist, der einen dummen Streich begangen hat, und das wollen wir uns von den verschiedenen Sagensammlungen, da es zwar Zweifeln unterliegen möchte, aber sich ganz hübsch anhört, im Folgenden zunächst einmal erzählen lassen.

Zu Waltensburg in Graubünden erklärt man sich die Sache so: Ein Senne wurde von einer armen Frau um etwas Milch angegangen. Er schlug es ihr mit harten Worten ab, und darauf verwünschte sie ihn in den kältesten Ort auf der Welt. Durch diesen Fluch kam er in den Mond, wo es beiläufig auch nach der Meinung der Astronomen sehr kalt werden kann, und dort sieht man ihn bei Vollmond, noch immer in seinem Eimer herumrührend, sitzen.

In der Gegend von Derendingen in Schwaben erzählt man, wie Meier berichtet, den Kindern die Geschichte anders. Hier heißt es: Ein Weingärtner arbeitete des Sonntags in seinem „Wingert“, beschnitt die Reben, band, wie das Gebrauch, die abgeschnittenen Schößlinge in ein Bündel zusammen, legte es oben auf seine Butte und ging damit nach Hause. Nach Anderen stahl er dieses „Rebebüschele“ in einem fremden Weinberge. Als der Mann nun wegen seiner Entheiligung des Sonntags oder wegen seines Diebstahls zur Verantwortung gezogen wurde, leugnete er, verschwor sich hoch und theuer, daß er unschuldig sei, und sagte: „Haun ih’s dann, so komm i in Maun.“ (Hab’ ich’s gethan, so will ich in den Mond kommen.) Für diesen Frevel ist er denn auch richtig nach seinem Tode in den Mond gekommen, wo er zur Strafe geschmolzenes Eisen essen muß. Wenn daher Jemand am Sonntage „schafft“, so ruft man ihm zu: „Gieb Acht, sonst mußt Du auch noch einmal in den Mond.“ Die Mutter aber sagt zu ihrem Kinde, wenn der Vollmond aufgeht: „Guk au den Ma im Maun mit sell Rebebüschele!“ und warnt es dann mit der Geschichte des unglücklichen Winzers vor aller Sonntagsentheiligung.

In anderen schwäbischen Orten hat der Mann Sonntags im Walde Holz gestohlen und es in seiner „Kräbe“ (Tragkorb) nach Hause geschafft. Im Schwarzwalde endlich, in der Gegend von Calw und Liebenzell, schnitt er sich Sonntags, wo die Jäger und Feldhüter nicht im Walde sind, ein Büschel Besenreiser und trug es auf dem Rücken heim. Da begegnete ihm zwischen den Bäumen ein Mann; der war der liebe Gott; der stellte ihn zur Rede, fragte ihn, ob er nicht wisse, wie das dritte Gebot laute, und sagte, daß er ihn bestrafen müsse, doch solle er sich wählen dürfen, ob er lieber in den Mond oder in die Sonne verwünscht sein wolle. Darauf versetzte der Dieb: „Wenn es denn sein muß, so will ich lieber im Monde erfrieren als in der Sonne verbrennen,“ und so ist er denn, mit seinem Bündel Reisig auf dem Rücken, wie man deutlich erkennen kann, in den Mond versetzt worden. Nach Einigen war der liebe Gott aber noch milder, indem er dem „Besenmännle“, damit es bei der großen Kälte auf dem Monde nicht erfriere, das Bündel Holz auf dem Rücken anzündete, das heute noch brennt und niemals erlöschen wird.

Ein heidnischer Zug ist in derjenigen Form der Sage, wo der Mann nicht deshalb in den Mond verbannt wird, weil er am Sonntage, sondern weil er im Mondscheine gearbeitet hatte, und dies ist offenbar die ältere Gestalt aller Geschichten vom Mondmanne. Alles Arbeiten bei Mondschein ist zu meiden, namentlich darf man dann nicht spinnen; denn, wie man in der Oberpfalz meint, hält das auf diese Art gewonnene Garn nicht und eine schwäbische Sage bei Meier berichtet zur Warnung Folgendes:

Eine Frau in Brackenheim, die sich mit Spinnen ernährte, war so fleißig, daß sie oft Nächte lang vor der Kunkel saß, und so sparsam, daß sie bei Vollmond kein Licht ansteckte. Da trat aber einmal mit dem Schlage Zwölf ein Mann zu ihr in die Stube, der brachte ihr einen ganzen Arm voll Spindeln und sagte: „Wenn Du die nicht in dieser Nacht vollspinnst, so ist’s aus mit Dir; denn dann hol’ ich Dich.“ Da kriegte die Frau eine große Angst, aber schlau, wie die Weiber sind, kam sie auf den klugen Einfall, daß sie die Spindeln ja nur einmal zu überspinnen brauche, und so wurde sie mit ihrer Aufgabe noch vor Tagesanbruch fertig. Der Mann, welcher der Teufel war, kam wirklich wieder, fand die Spindeln voll, nahm sie stillschweigend und ging fort. Die Frau aber hat niemals wieder im Mondschein gesponnen.

Kehren wir zu unserem Mondmanne zurück, so begegnen wir ihm auch in norddeutschen Sagen häufig. Im Havellande erzählt man, wie Kuhn uns mittheilt: Es war einmal ein Mann, der bekam am Weihnachtsabend Appetit auf Grünkohl, und weil er selber keinen im Garten hatte, ging er auf das Beet seines Nachbarn und holte sich welchen. Da ritt, als er seinen Korb eben voll hatte, der heilige Christ auf seinem Schimmel vorbei; der sagte zu ihm: „Weil Du am heiligen Abend gestohlen hast, so sollst Du gleich mit Deinem Korbe voll Kohl im Monde sitzen.“ Auf der Stelle saß er darin und ist bis auf den heutigen Tag dort geblieben. Im Paderbornschen hat der Mondmann nicht gestohlen, wohl aber, wie Kuhn sich von einem dortigen Schäfer belehren ließ, am Ostertage den Leuten, die zur Kirche wollten mit einer „Gaffel“ Dornen den Weg durch sein Feldthor versperrt. In Ostendorf an der Lippe trägt er einen Wachholderbusch – weshalb, das sagt Kuhn, meine Quelle auch hier und im Nächstfolgenden, uns nicht. In der Gegend von Wittingen ist der Mann in den Mond verbannt, weil er am grünen Donnerstag Besen gebunden, in Deilinghofen, weil er am Sonntage gemäht hat.

Wieder anders wird die Sache in der Grafschaft Limburg und zu Hemer an Westphalen erzählt. Dort heißt es: „Der Mann im Monde ist Einer, der am Ostermorgen Holz gestohlen hat, weil er dachte, unser Herr Christus wäre nun gekreuzigt und todt. Zur Strafe muß er im Monde sein und Schleifholz tragen.“ In Hemer aber lautet die Geschichte: „Es war einmal ein Mann, der wollte am stillen Freitage sein Feld einzäunen und hatte einen Haufen Dorngesträuch an der Gabel; da kriegte ihn unser Herrgott zu fassen und setzte ihn so, wie er ging und stand, in den Mond.“

Alle diese Erklärungen des Mondmännchens laufen, wie man sieht, auf die Bestrafung der Entheiligung oder Störung von Feiertagen hinaus, tragen also einen christlichen Charakter. Heidnischen Ursprungs dagegen sind wieder die nachstehenden beiden, von denen die erste aus dem Siegenschen, die andere aus Schmallenberg in Westphalen stammt. Ein junger Mann hat einmal des Nachts zu seinem Mädchen in’s Fenster steigen wollen. Da hat aber der Mond so hell geschienen, daß der Bursche gedacht hat: Du willst ihn doch mit einer Dornwelle verfinstern. Wie er aber so gestopft hat, ist er zuletzt darin hängen geblieben. – Ein Säufer hat einmal dem Monde, als er betrunken aus dem Wirthshause auf die Straße trat – vermuthlich weil er ihm das schiefe Gesicht des seligen Herrn von Mühler machte – mit einer Dornwelle gedroht, und der Mond hat das übel genommen und den Mann mitsammt seiner Dornwelle zu sich hinaufgezogen, wo er noch immer sitzt.

Nach einigen Erzählungen hat der Mond nicht blos diesen einen Bewohner, sondern es befindet sich darin außer einem Manne, der Dornen an einer Gabel trägt, auch eine Frau, die an der „Kirne“ (Butterfaß) steht und buttert. „Das sind,“ erzählt man zu Hemer, „ein Paar Eheleute gewesen, die den Sonntag nicht heilig gehalten haben. Der Mann hat während der Kirche sein Feld mit Dornen umzäunt, die Frau aber hat Butter gekirnt. Da hat sie unser Herrgott damit bestraft, daß sie dies (ein Anklang an die Sage vom ewigen Juden, vom fliegenden Holländer und vom wilden Jäger) in alle Zukunft hin thun sollten, jedoch nach ihrer Wahl entweder in der Sonne oder im Monde. Sie haben aber – man vergleiche damit die verwandte schwäbische Geschichte vom Verbannten im Monde, die oben mitgetheilt wurde – bei sich gedacht, in der Sonne möchte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_807.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)