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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


zu erhalten – so schlecht waren die Wege. Der König erzürnte sich darüber gewaltig; seine Flüche verhallten im Toben eines hereingebrochenen Gewitters. Die Hände gefaltet, saß der Markgraf still neben dem aufgeregten Könige.

„Herr Vetter,“ redete ihn dieser in seiner derb-natürlichen Weise an, „was macht Ihr ältester Sohn so lange auf Universitäten?“ Erbprinz Friedrich befand sich damals auf der wegen ihrer calvinistischen Richtung vielbesuchten Universität Genf. – „Lassen Sie ihn doch heimkommen! Ich will ihm meine älteste Tochter zur Frau geben.“

Der darob nicht wenig geschmeichelte Vater glaubte in dem ihm vom Könige übermachten Portrait der Prinzessin eine stille und gute Landesmutter zu erblicken. Mit Entsetzen mußte er aber die Wahrnehmung machen, daß die fürstliche Schwiegertochter das Gegentheil von Dem war, was er erwartet hatte. Sie war in seinen Augen ein Weltkind, weil sie Reisen, Musik, Komödien, Ballets, überhaupt kostspielige Feste liebte, und – was bei dem Markgrafen dies Alles überwog – sie war eine Philosophin, Verehrerin und Freundin Voltaire’s, in welchem er den Antichrist zu erblicken glaubte. Im Disputiren ließ sie einen Altdorfer Professor weit hinter sich zurück. Daß sie die Musen und Künste, die Cultur in diesem von denselben bisher gemiedenen Winkel deutscher Erde einführte – für diese Würdigung freilich war sein Gesichtskreis zu eng. Nach ihres Schwiegervaters Tode, der 1735 erfolgte, ging die Markgräfin an die Vollendung und Verschönerung des Lustschlosses Eremitage, das sie von ihrem Gemahle bei seinem Regierungsantritte zum Geschenke erhalten hatte. Dieser auf den Raum einer Viertelquadratmeile hingezauberte Mikrokosmus war ein Product ihres phantasiereichen, weitausstrebenden Geistes. Daß es ein Mikrokosmus war und blieb, davon ist die Schuld dem Schicksale beizumessen, das sie nach ihrer geistiger Beschaffenheit zu großen Dingen, zur Trägerin der vier Kronen der britischen Monarchie bestimmt hatte. Die Vorsehung, oder vielmehr die österreichische Politik, hatte später ihre Gedanken geändert und der Fürstin eine Krone auf das Haupt gesetzt, deren Glanz nicht wie der von Großbritanniens Krone über die Meere dahin strahlte, eine Krone, welche die großen Pläne, die der Fürstin im Gedanken an ihre einstige Bestimmung sich erzeugt hatten, auf ein reell sehr eng begrenztes Gebiet einschränken mußte.

Der Hügel, auf welchem das Lustschloß liegt, ist von drei Seiten vom rothen Maine umflossen. Im Jahre 1715 war der Ort noch ganz mit Wald bedeckt. Markgraf Georg Wilhelm hatte das Vorderteil des Hauptgebäudes, das ein geschlossenes Viereck bildet und aus scheinbar unzugehauenen Sandsteinblöcken aufgeführt ist, zu einem Jagdschlößchen bestimmt, den Wald in einen Garten umwandeln lassen und dem Ganzen den Namen „Eremitage“ beigelegt. Der Name rührte von mehreren im Walde zerstreut liegenden Eremitenhäusern her, die der Fürst mit einer ausgesuchten kleinen Gesellschaft beiderlei Geschlechts bewohnte. Hier gerirte man sich „A l'Eremite“. Alles, was an den Glanz der Welt hätte erinnern können, war streng ausgeschieden; das Hofkleid wurde mit einem Eremitenkleide von braunem Zeuge vertauscht; ein Strohhut, ein Flaschenkürbis und ein Stab bildeten den übrigen einsiedlerischen Schmuck. Die Lebensweise vollendete den Einsiedler; man speiste mit hölzernen Löffeln aus braunirdenem Geschirr. Die Freuden der Gesellschaft durften beide Geschlechter nur zu bestimmten Stunden genießen. Der Fürst gab das Zeichen dazu mit einer Glocke, die auf dem Thürmchen seines Eremitenhauses angebracht war.

Ihren im achtzehnten Jahrhunderte weitverbreiteten Ruf verdankt die Eremitage zumeist der Markgräfin Sophie Wilhelmine, des großen Friedrich's Lieblingsschwester. Sie schien hierher geführt zu sein, um mit ihrer sittlichen Reinheit und ihrem geistiger Nimbus diesen Ort zu entsühnen, um ihn von den Spuren eines Verbrechens zu reinigen. Dasselbe enthüllt die tiefe Verworfenheit eines Weibes, das den heiligen Namen einer Mutter geschändet hatte – einer Mutter, die aus verletzter Eitelkeit die Lebensblüthe ihres Kindes brach.

Christiane Sophie Wilhelmine, die einzige Tochter des Markgrafen Georg Wilhelm, war bis zum zwölften Jahre am Hofe ihrer Tante, der Königin von Polen, erzogen worden. Sie ward bewundert wegen ihrer Schönheit, verehrt und geliebt um ihrer Sanftmuth und Sittsamkeit willen. Desto mehr wurde sie von ihrer Mutter gehaßt, einer geborenen Prinzessin von Weißenfels. Die Markgräfin Wilhelmine schildert sie als eine Frau, die noch in späten Jahren ihre körperlichen Reize sich erhalten hatte. Die Tochter, jünger in ihrer Erscheinung, reizvoller, frischer, drohte sie zu verdunkeln – und darum beschloß sie, ihr eigenes Fleisch und Blut zu verderben. Die Feder sträubt sich, die dunkle That zu berichten, zu der ein Kammerherr von Wobeser die Hand lieh.

Die Markgräfin Wilhelmine erzählt in ihren Memoiren die Geschichte, und wenn diesen Aufzeichnungen auch nicht überall stricte Glaubwürdigkeit beizumessen sein möchte, so ist diese dunkle Seite aus den Annalen des Hoflebens des achtzehnten Jahrhunderts doch noch nicht widerlegt worden. Nach denselben wäre von Wobeser von der Mutter gedungen worden, die Tochter zu Falle zu bringen. Für seine Bemühungen um die Gunst der Prinzessin erntete er jedoch nur deren Geringschätzung und Verachtung. Die Mutter griff zu einem gewaltsamen Mittel. Sie ließ den Kammerherrn im Schlafzimmer der Prinzessin sich verbergen – die Folgen blieben nicht aus. Unter dem Vorwande einer Krankheit entfernte die Mutter die Tochter vom Hofe. Als die Zeit der Entbindung nahete, begab sich die Mutter mit ihr nach der Eremitage. Die Prinzessin gab zwei Knaben das Leben. Nicht achtend die Bitten und Vorstellungen der Anwesenden, nahm die unnatürliche Großmutter die Neugeborenen, trug sie im Schlosse umher und ergoß sich in Verwünschungen gegen das schamlose Geschöpf, das sich ihre Tochter nannte. Die Kinder starben an der zarten Behandlung durch die Großmutter bald nach der Geburt. Den Vater der Prinzessin traf die Unglücksnachricht auf der Jagd.

Die Prinzessin wurde auf die Plassenburg gefangen gesetzt, aber nach dem Tode ihres Vaters von dem Nachfolger desselben, dem Schwiegervater der Markgräfin Wilhelmine, aus ihrer Haft befreit. Sie lebte bis zu ihrem Lebensende in einem unscheinbaren Hause zu Culmbach, das noch heute das Prinzessinhaus heißt. Aber auch an der Mutter sollte sich die strafende Gerechtigkeit erweisen, wenn auch diese Strafe lange nicht der Größe des Verbrechens entsprechend war. Die Markgräfin-Wittwe, welcher Erlangen als Wittwensitz angewiesen worden war, faßte hier eine rasende Neigung zu ihrem Hofcavalier, dem mährischen Grafen Hoditz; sie verheirathete sich später mit ihm. Er verließ sie, nachdem er sie durch seine Verschwendungssucht ihres ganzen Vermögens beraubt hatte, sodaß sie in Wien auf die Mildthätigkeit des Adels angewiesen war. Das war in der Eremitage geschehen – damals, als der von der Zeit ergraute Sandstein des Schloßgebäudes noch licht war und die Gemächer von ihrem Schmucke noch neu erglänzten.

Den Mittelpunkt der Vorderfront des Wohngebäudes bildet ein mit grau und rothem Fichtelbergischem Marmor bekleideter Saal von ziemlicher Größe. Betrat man ihn vom Hofe aus, dessen Viereck von allen Seiten Gebäude einschlossen und in dessen Mitte ein Springbrunnen beständige Kühle verbreitete, so lagen rechts die Zimmer der Markgräfin, links die ihres Gemahls. Die letzten noch sichtbaren Reste ihrer einstigen Pracht sind die noch gut erhaltenen Deckengemälde; die historischen, dem Alterthum entnommenen Gegenstände behandeln antike, heroische Tugenden. Ueber dem Eingange in diesen Saal prangt in Stein gehauen das brandenburgische Wappen, und im Innern begegnet man überall den Zeichen des brandenburgischen, später preußischen rothen Adlerordens. Das erste Zimmer rechts vom Saale ist mit gelbem Damast und Lambris von schwarzem und gelbem Marmor bekleidet. Die silbernen Borden, von denen die Markgräfin spricht, sind nicht mehr zu entdecken. Vielleicht sind sie im Laufe der Zeit vergoldet worden. Das nächste Gemach ist mit Brocat in Blau und Gold ausgeschlagen. Die Ausstattung des dritten, kleinern Eckgemaches ist japanisch und ein Geschenk Friedrich’s des Großen. Es hatte eine hübsche Summe Geldes gekostet und war nach Versicherung des Gebers das einzige, das nach Europa gekommen war. Der Grund der Tapete ist von gekerbtem Golde; die Figuren sind in Basrelief mit chinesischer Sauberkeit und Genauigkeit ausgeführt.

Von da tritt man in das Musikzimmer von weißem Marmor mit grünen Feldern, aus welchen in erhabener Vergoldung die Embleme der Musik hervortreten. Unter dem Kamine üben die frischen, pikanten Züge eines lebensgroßen weiblichen Portraits auf das Auge nicht geringe Anziehungskraft. Es ist das Bildniß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_249.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)