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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


In Persien gab es vor Zeiten einen sagenhaften König Namens Dschem, der einen Becher besaß, um den ihn alle Philosophen beneiden müßten; denn auf dem Grunde dieses goldenen Bechers offenbarten sich alle Geheimnisse des Himmels und der Erde. Wenn unser Dichter bei guter Laune ist, so erscheint ihm jeder Becher als der Becher Dschem’s und er sucht ihm so bald als möglich auf den Grund zu kommen, um jene Geheimnisse zu enthüllen; er scheut sich nicht vor dem „süßen Gift“.

Sie fragen vielleicht, warum der frische Trank der Reben einen so kränkenden Zunamen in Persien hat? Auch das ist eine alte Geschichte und hängt mit dem guten König Dschem zusammen. Derselbe war, wie die meisten alten und neuen Könige seit Nimrod’s Zeiten ein großer Jäger vor dem Herrn. Einstmals, als er zur Jagd reiten wollte, brachte man ihm einen Korb süßer Weintrauben; er ließ sie in einem kostbaren Kruge aufbewahren, um sie nach seiner Rückkehr zu essen. Seine Jagden dauerten lange; als er, im Palaste wieder angekommen, nach dem Kruge sah, fand er, statt der Trauben, in ihm einen gährenden Most von wundersamem Duft und Geschmack. Er schrieb auf den Krug „Gift“ und stellte ihn wieder bei Seite. Nun begab sich’s, daß eine schöne Bewohnerin des Palastes, die wegen verschmähter Liebe ihrem Leben ein Ende machen wollte, den mit „Gift“ bezeichneten Krug fand und ihn bis auf die Neige austrank. Allein, statt daran zu sterben, fiel sie in einen tiefen Schlaf und hatte so wonnige Träume, daß sie, erwachend, wieder Lust am Leben gewann, welches denn auch bald ihre Liebeswünsche erfüllte.

Das Lob dieses „süßen Giftes“ wirkt freilich bei unserem Dichter etwas ermüdend; doch er besingt ja auch die Liebe und die Schönheit, allerdings nicht ganz in abendländischer Art, denn er wünscht sich zum Beispiel die sechs Thore von Schiras, da diese Stadt durch alle sechs Thore die Schönen einläßt. Mehr anstößig, als diese Feier der Schönheit im Plural, ist das folgende Epigramm, das auf manche Vernunftehe ebenso paßt, wie auf die Pariser Halbwelt:

Die Schönen dieser Welt kann man durch Gold erlangen,
Durch Goldesreiz den Reiz der Schönheit fangen.
Sieh, wie selbst die Narcisse mit der Krone,
Durch Gold gebeugt, ihr stolzes Haupt läßt hangen!

Der Dichter preist den ganzen Bazar weiblicher Schönheiten, Rosenwangen, Rubinenmund, feine Grübchen, Augen, Hyacinthenlocken, die wie Cypressen schlanke Huldgestalt, doch ebenso oft kommt die Sprache der Empfindung zu ihrem Recht, die Sehnsucht nach Glück, die Trauer um das versagte:

Komm zurück! denn meine Seele
    Glüht nach dir in Sehnsuchtsgluthen;
Komm zurück! in Trennungsqualen
    Wird mir sonst das Herz verbluten.
Komm zurück, o süße Liebe!
    Denn so lange du mir fern,
Brennt mein Herz und aus den Augen
    Strömen bitt’re Schmerzensfluthen.

Auch die Dichtkunst selbst wird von dem Dichter gepriesen, doch er sieht sie stets nur im Zusammenhang mit der Gnade und Gunst der Herrscher; ihnen verdankt er’s, wenn sich des Liedes Perlenschnur von seinem Munde löst, und wenn der Schah unfreundlichen Gesichtes ist, da verläßt den Sänger seine Dichterkraft:

Ach! umsonst, ein schmerzgebeugter Rufer,
Rief ich sie zurück vom Oxusufer.

Dabei denkt aber Hafis durchaus nicht gering von sich selbst; er lobt sich ohne falsche Scham, und Bodenstedt theilt uns mit, daß dies zum persischen Brauch und Herkommen gehört, wie die Krone zum Baume, und dem richtigen Gefühle entspringt, daß ein Poet, der nichts Besonderes zu sagen hat, lieber schweigen soll, als Gedichte in die Welt schicken, die ihm selbst nicht gefallen.

Platen und die Plateniden haben also dem persischen Geschmack gehuldigt, wenn sie sich selbst stolze Ruhmessäulen erbauten, wie dies auch schon Horaz gethan hat, welcher Denkmäler, dauernder als Erz, errichtet zu haben glaubt und mit erhabenem Scheitel die Gestirne berühren will. Das Malerzeichen, welches Hafis öfter unten an seinen dichterischen Bildern anbringt, ist in der That lesbar genug:

Wer in Gesang und Melodie
Hafisens Kunst erreichen will,
Der gleicht der armen Schwalbe, die
Dem Adler sich vergleichen will.

Kann man es vielen unserer neueren Dichter, die nicht in Schiras wohnen, übel nehmen, wenn sie sich auch für unsterblich halten? Die Lappländer glauben ja sogar, daß die Seehunde unsterblich sind, und jener Glaube mancher Poeten ist um so unschädlicher, als er von Niemandem getheilt wird.

Hafis selbst ist bei seiner Genußfreudigkeit und Ruhmredigkeit immer ein würdiger Mann und schlägt bisweilen auch Töne an, die zu Herzen gehen. Das Schicksal hat ihm einen Sohn geraubt, und er giebt dem Vaterschmerze Ausdruck in einem kleineren und einem größeren Gedicht, welche zu den Perlen der Sammlung gehören. Hafis, am Grabe seines Sohnes, klagt:

Nun alle Rosen weckt des Lenzes Hauch,
Warum, verlor’ne Rose, dich nicht auch?
Wie eine Frühlingswolke, holder Knabe,
Wein’ ich um dich, bis du erstehst vom Grabe.

Das größere Gedicht aber beim Begräbnisse seines Sohnes lautet:

Es klagt die Nachtigall, weil eine Rose brach;
Der alte Vater weint dem todten Sohne nach.
Mein eig’nes Herzblut ist versiecht mit seinem Blut;
Mein Hoffen, all’ mein Glück verschlang die Schicksalsfluth.
Mein Licht, mein Trost und Stab! wie hat die Todesnacht,
Die dich so leicht mir nahm, mein Herz so schwer gemacht!
Helft, Freunde, mir! zu schwer ist mir des Schmerzes Last;
Gern dem Verlor’nen selbst folgt’ ich zur letzten Rast.
Ach, warum traf der Neid des hohen Himmelslichts
Mein Licht auf Erden so, zu leuchten ihm in’s Nichts?
Ich ließ ihn unvermählt, und nun steh’ ich allein;
O Hafis, leichten Sinns schufst du dir schwere Pein.

Es sind dies Klänge einfacher und rührender Empfindung; dieses Gedicht zeigt Ihnen außerdem, mit wie anmuthigem und harmonischem Gange die Bodenstedt’sche Muse einherwandelt und wie leicht und bequem sie die fremde Gewandung trägt. Es giebt Uebersetzungen, denen man die Qual des Ringens mit dem Urtexte anmerkt. Dies ist hier nirgends der Fall. Gleichwohl schließt sich Bodenstedt mit Treue dem Originale an, während Daumer mehr die Firma von Hafis wählte und über einige Motive desselben freie dichterische Variationen componirte.

Sie werden, verehrte Freundin, gewiß mit Vergnügen Hafis in Ihre Bibliothek neben Mirza-Schaffy stellen; Beide predigen mit erhobenem Zeigefinger neue Lebensweisheit, die nicht allzu viel schweres Gepäck hat, nicht so tiefsinnig ist, wie die Weisheit des Brahmanen, aber sich zur fröhlichen Genossin eignet, wo man leichtgeschürzt bequeme Lebenspfade wandelt.




Eine Harzer Bade-Erinnerung.
Von Hermann Oelschläger.
(Schluß.)


Die beiden Officiere nahmen ziemlich geräuschvoll an einem kleinen Tische Platz, und der Eine von ihnen – natürlich derjenige, welcher schon nicht mehr ganz nüchtern war, heischte vom Kellner lärmend einen Trunk.

„Kellnär – zwei Seidel!“

Und dann, als sie getrunken hatten, gab der Nämliche, der den Trunk bestellt hatte, sein Glas nicht etwa dem Kellner zurück, wie es andere, gewöhnliche Menschenkinder zu thun pflegen, sondern er schleuderte es kurzweg auf den Bahnkörper nebenan, daß es an den Schienen in tausend Stücke zersprang.

„Kellnär – noch zwei Seidel!“

Und dann warf er sein geleertes Glas abermals auf die Schienen und zwar mit dem nämlichen Erfolge.

Die Unruhe der Philister und ihrer Frauen und Töchter stieg bis zu einem bedenklichen Grade.

„Bleibste sitzen!“ sagte aber der Dosendreher zu seiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_473.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)