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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


des durch den Druck erhitzten Gases der Cylinder geöffnet. Man sah eine Anzahl von Tröpfchen flüssigen Stickstoffs sich bilden. Nach diesem gelungenen Versuche kam auch das Wasserstoffgas an die Reihe, und ihm als dem dünnsten und leichtesten aller Körper wurde ein noch stärkerer Druck (zweihundertundachtzig Atmosphären) zu Theil. Es bildete beim Ausströmen einen Nebel, dessen Kälte die anwesenden Gelehrten auf dreihundert Grad schätzten.

Obwohl nun Sauerstoff und Stickstoff, jeder für sich in eine Flüssigkeit verwandelt worden waren, blieb es doch nicht ohne Interesse, in einem dritten Experimente auch ihre Mischung, die atmosphärische Luft, zu einer Flüssigkeit zu verdichten. Vorher sorgsam getrocknet und von Kohlensäure befreit, entströmte sie dem Apparate als ein dünner Flüssigkeitsstrahl, vergleichbar demjenigen der mit Parfüms gefüllten Refraicheure. Der Traum der alten griechischen Philosophen von der Verwandlung des einen ihrer Elemente in das andere, die Verdichtung der Luft zu einer wasserähnlichen Flüssigkeit war hiermit erfüllt, freilich in anderer Weise, als sie es gemeint haben.

Es ließ sich erwarten, daß man bei den denkwürdigen Erfolgen des December 1877 sich nicht beruhigen würde. Schon am 11. Januar 1878 konnte Pictet an den berühmten Chemiker Dumas in Paris telegraphisch melden, daß er jenen dünnsten aller Stoffe, welchen Dumas trotz dessen seiner chemischen Eigenschaften halber vor vierzig Jahren ein gasförmiges Metall genannt hatte, daß er das einem Drucke von sechshundertundfünfzig Atmosphären ausgesetzte Wasserstoffgas als stahlblaue Flüssigkeit seinem Apparate entströmen gesehen habe. Ja dem Flüssigkeitsstrahle folgte ein Hagel fester Stücke, und die Gegenwart ähnlicher fester Körperchen ermittelte Pictet auch in einem mit elektrischem Lichte beleuchteten Strahle flüssigen Sauerstoffs, indem er ihn durch eine besondere optische Vorrichtung genau betrachtete. So ist also bald nach dem ersten Anlauf, mit der unsere Zeit charakterisirenden Schnelligkeit, das letzte Ziel auf diesem Wege erreicht worden, die Verdichtung der Luftarten zu festen Massen, mit denen Immermann’s Münchhausen einst „Luftschlösser“ bauen wollte.

Carus Sterne.



Aus dem Papierkorbe eines Achtundvierzigers.
1. Die Letzten vom Regiment.

Die Geschichte des Jahres 1848! Noch ist wohl der Mann mit dem weltüberschauenden Blicke nicht geboren worden, der alle Ereignisse, alle inneren Zusammenhänge dieser so wandelbaren und gewaltigen Epoche ohne jedes Vorurtheil und jede parteiische Befangenheit der Nachwelt vorzuführen vermöchte, und geleite er uns auch nur auf die hervorragendsten Schauplätze, wo ihre Schlachten geschlagen und ihre Entscheidungen bewirkt worden sind. Mehr und mehr aber tritt jetzt an die noch lebenden Augenzeugen jener Tage die Verpflichtung heran, dem zukünftigen Meister sein Werk zu erleichtern durch Aufzeichnung und Schilderung dessen, was sie damals im Strudel großer Bewegungen erlebt und mit ihren eigenen Augen gesehen haben. Die Uebertreibungen geräuschvollen und uneingeschränkten Lobes für alle revolutionären Vorgänge jener kurzen Sturmzeit sind allmählich verstummt. Statt dessen aber macht ein anderes Uebel, ein offenbares Unrecht sich breit.

Fort und fort und erst ganz neuerdings wieder bemächtigen sogenannte „conservative“ Federn sich dieses historischen Gebiets mit einer Manier vornehmen Absprechens, um die Ideen des Volksrechts und der Freiheit dafür verantwortlich zu machen, daß sie auch ihre Kinderjahre gehabt und nicht gleich im Zustande voller Reife zur Welt gekommen sind. Und doch liegt nun fast ein Menschenalter zwischen dem Heute und jener Periode. Ohne Haß und Parteileidenschaft kann jeder denkende Patriot vom gesicherten Boden aus auf jene März- und Sommertage zurückblicken, die einen so schweren und tiefen Ernst hinter vielfach unreif erscheinendem Spiele bargen, in denen neben noch unabgeklärt gährenden Bewegungen unzweifelhaft große Gedanken des Volksgeistes zu endlichem Durchbruch kamen, aus denen nicht mehr und nicht weniger als Alles entsprossen und zur Entfaltung gekommen ist, was unsere Nation seitdem auf mächtigem Leidens- und Siegeswege errungen hat.

Stehen sie denn nicht heute verwirklicht vor uns, die Hauptideale jener Märztage: ein einiges, im Innern freies, nach außen starkes Deutschland unter der schirmenden Führung eines preußischen Heldenkönigs? Flattert das deutsche Banner nicht auf dem Münster von Straßburg, schützt nicht die deutsche Flotte, ein eiserner Gürtel, die Gestade der Nord- und der Ostsee? Wahrlich, eine Zeit, welche die Saat gestreut und den Keim gepflanzt hat für so gewaltige Errungenschaften, die im harten Zusammenstoße mit früheren Mächten zuerst muthig den Kampf zur Verwirklichung des heute erreichten Zieles geführt, eine solche Zeit sollte wohl eines lebhaften Interesses bei dem jetzigen Geschlechte gewiß sein, dem die Früchte der heißen Arbeit von 1848 endlich in den Schooß gefallen sind. Und so mögen denn die nachfolgenden kleinen Skizzen sich an das Licht des Tages wagen, Niemandem zu Liebe und Niemandem zu Leide, nur ein Spiegelbild dessen, was der Schreiber gesehen. –

Durch die Märzunruhen war in Berlin der Würfel gefallen. Das Ungeheure ist gewagt worden. Zu den Waffen hat der von Natur und Beruf so friedliche deutsche Bürger gegriffen, zu den Waffen der Empörung, aber erst nach langen, langen Jahren des Harrens, der langathmigsten Geduld des „beschränkten Unterthanenverstandes“. Fast erschreckt blickt er nun auf die eigene That, deren weltgeschichtliche Bedeutung er ja in diesem Augenblicke fiebernder Erregung noch nicht zu überschauen vermag. Zu den Waffen hat er gegriffen gegen das verhaßte System politischer und religiöser Bevormundung, wie es in den sogenannten vormärzlichen Tagen, im Widerspruche mit den Forderungen der Zeit und der Bildung des Volkes, gewaltsam sich aufrecht erhalten hatte. Und lagen auch diese Motive nicht überall klar entwickelt vor dem Bewußtsein, sie wirkten instinctartig, mit der Nothwendigkeit und Folgerichtigkeit des „Unbewußten“. In Bezug auf das, was zunächst erreicht werden sollte, bewegte nur ein Gefühl und ein Gedanke die ungeheueren, sonst durch Bildungstufe und Lebensstellung weit getrennten Massen: Kampf auf Tod und Leben mit der bewaffneten Militärmacht, die zum Schutze des Staates gegen äußere Feinde von dem steuerzahlenden Bürger erhalten wurde und die nun, ihrem Berufe zuwider, als Träger und Stütze eines veralteten und erstarrten, allgemein verhaßten absolutistischen Regierungssystems sich zwischen Thron und Bürgerthum zu drängen schien.

Das war unzweifelhaft die Stimmung des neu anbrechenden Tages, wie sie seit den Märztagen für die nicht nach entlegenen Gründen forschende, sondern nur aus den unmittelbar vorliegenden Thatsachen schließende Logik des Volkes mit voller Bestimmtheit sich herausgebildet hatte. Standen nicht in der verhängnißvollen Mittagsstunde des 18. März die Truppen vor dem königlichen Schlosse, wie eine unnahbare und eisige Schranke, zwischen den Bürgern und ihrem König, eng als eiserner Gürtel um die Hohenzollernburg geschmiedet? Und als über diese Eisbarre hinweg vom Balcon des Schlosses herab den auf dem Schloßplatze versammelten Bürgermassen königliche Zusagen gemacht wurden für eine Neugestaltung der Dinge, vom Balcon herab aus hohem Munde vielverheißende Worte des Friedens und der Versöhnung erklangen, als nun die unendliche Freude in tausend und aber tausend Bürgerherzen zu stürmischem Jubelruf sich hingerissen sah, dieser Jubelruf in gewaltigen Wellen jenen weiten Raum von der Stechbahn bis zu dem ehernen Kurfürsten, von der ehrwürdigen Burg bis nach dem Petri-Platze hin durchwogte – war es Zufall, war es Verhängniß, war es „unseliges Mißverständniß“, daß gerade in diesem feierlich erhabenen Augenblick jene eiserne Mauer sich vorwärts schob mitten in die waffenlose, von Begeisterung, Liebe und Freude erglühende Volksmenge? Daß wiehernde Rosse vorwärts stampften, daß geschwungene Säbel zu wuchtigem Schlage ausholten, daß endlich jene ominösen „zwei Schüsse“ erdröhnten, der dunkle Punkt, das ungelöste Räthsel in dem Vorspiel der Märztragödie? – Unseliges Mißverständniß, verderbenschwangerer Zufall! Den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_082.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)