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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

musikalische Geschmeidigkeit der Menschenstimme fehlen möchte, daß sie jenen hohlen, unmelodischen Klang behalten würden, den man ehemals den Geisterstimmen beilegte, und in dem Kepler den Dämon seiner Mondreise sprechen läßt.

Mehr als hundert Jahre später war das Problem noch nicht gelöst, aber die Zuversicht der Physiker war darum nicht schwächer geworden. Im Juni 1761 schrieb der berühmte Mathematiker Euler, damals Professor in Berlin, in seinen zur Einführung in die Physik noch heute geschätzten „Briefen an eine deutsche Prinzessin“: „Es wäre wohl eine der wichtigsten Entdeckungen, wenn man eine Maschine bauen könnte, welche im Stande wäre, alle Klänge unserer Worte mit allen Articulationen nachzuahmen. Wenn man es je dahin bringe würde, eine solche Maschine auszuführen, und man im Stande wäre, sie durch Tasten, wie bei einer Orgel oder dem Claviere, alle Worte aussprechen zu lassen, dann dürfte wohl alle Welt mit Erstaunen zuhören, wie eine Maschine ganze Sätze oder Reden vorträgt, die man mit dem schönsten Ausdrucke begleiten könnte. Prediger und Redner, deren Stimme nicht gerade angenehm ist, könnten dann ihre Reden auf einer solche Maschine abspielen, gerade wie ein Organist Musikstücke spielt. Die Sache scheint mir nicht unmöglich.“

Euler wies in demselben Briefe zugleich den Weg, den man bei diesen Versuchen einschlagen müßte. Er erinnerte daran, daß sich an manchen Orgeln ein Register befindet, welches man die menschliche Stimme (Vox humana) nennt, weil der Zusammenklang der dabei wirkenden Pfeifen sich so anhört, als ob ein Mensch die Melodie auf ä singe. Er hatte vorher gesagt, daß der Klang der verschiedenen Vocale, wie man sich leicht durch Selbstbeobachtung überzeugen kann, hauptsächlich von der Gestalt abhängt, die man der Mundhöhle giebt, und er meinte deshalb, daß man durch verschiedene Gestaltnachahmungen in den Pfeifen ohne besondere Schwierigkeit auch die übrigen Vocale würde hervorbringen können. Die Hauptschwierigkeit erkannte er bereits in der Nachbildung der Consonanten.

Wie es in der Ordnung ist, versuchte man sich zuerst in der Nachahmung von Thierstimmen. In den siebenziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verfertigten die Gebrüder Le Droz in Chaux de Fonds zuerst für den König Ferdinand den Sechsten von Spanien einige Thierfiguren, die ihre Stimme täuschend erschallen ließen. Da war ein Schaf, welches vollkommen naturgetreu blökte, ein Hund, der einen Korb mit Früchten bewachte und, sobald eine Frucht hinweggenommen wurde, heftig zu bellen anfing und damit nicht eher nachließ, bis sie wieder an dieselbe Stelle zurückgelegt worden war, ein singender Vogel und dergleichen noch heute vielfach nachgeahmte automatische Kunstwerke, die jetzt namentlich von den Uhrmachern in Genf und Neuenburg angefertigt werden.

Im Jahre 1779 stellte die Petersburger Akademie, wahrscheinlich auf Veranlassung des inzwischen an dieselbe zurückberufenen, leider erblindeten Professor Euler, die Erforschung der Vocalbildung und die Herstellung einer Maschine, um dieselbe nachzuahmen, als akademische Preisaufgabe. Die Vocale entstehen, wie die dadurch veranlaßte und besonders die später von Chladni angestellten Vesuche ergaben, erst durch Modulation des Stimmritzentons an den Wandungen der Mundhöhle. Wenn der in der Stimmritze erzeugte, höhere oder tiefere musikalische Ton frei in diese Höhlung hinein- und ebenso frei wieder heraustreten kann, so nimmt der Klang die Färbung des Vocals a an. Wird jedoch während des Tönens die vordere Oeffnung mehr und mehr geschlossen, während die Eintrittspforte unverengert bleibt, so geht der Klang (wie man leicht an sich selbst beobachten kann) allmählich aus a in o und endlich in u über. Bleibt der Mund umgekehrt vorne offen, während der hintere Eingang stufenweise verengert wird, so entsteht die Vocalfolge a, ä, e, i. Wird der Mund hinten und vorn zugleich verenget, so entstehen die Vocale ö und ü. Ohne nun diese Bewegungen nachzuahmen, versah der Physiker Kratzenstein fünf Zungenpfeifen mit durch Probiren hergestellten, unbeweglichen, hölzernen Mundhöhlen, bei denen das Verhältniß der vorderen und hinteren Mundöffnung zu einander so regulirt war, daß durch bloßes Anblasen dieser Pfeifen die fünf Vocale entstanden, wodurch er den erwähnten akademischen Preis gewann.

Um dieselbe Zeit nahm auch der Wiener Hofrath von Kempelen diese Versuche auf und bestrebte sich, indem er Vorrichtungen zur Erzeugung der Consonanten erdachte, eine wirkliche Sprechmaschine herzustellen. Er pflegte zu sagen, daß er zu diesem Zwecke die Mundöffnungen der Thiere studirt habe, in deren Stimme bestimmte Consonante vorherrschen, und daß er das b den Schafen und das m den Kühen abgelernt habe. Sein größter Fortschritt war, daß er mit den Pfeifen einen wirklichen, beweglichen Mund nebst einer Nase verband. Im Uebrigen machte seine Maschine im Sprechen fast dieselben langsamen Fortschritte, wie ein kleines Kind. Zuerst gelang es ihr nur, so einfache und leichte Worte mechanisch nachzubilden, wie sie die ganz kleinen Kinder hervorbringen, nämlich: Mama, Papa, Aula, Lama und ähnliche. Durch höchst anerkennenswerthe Bemühungen, die ihm leider nicht so viel Ruhm eintrugen, wie sein auf einer bloßen geschickten Täuschung beruhender Schachspieler, kam Kempelen allmählich immer weiter. Seine Versuche richteten sich, wie gesagt, zunächst auf eine Analyse der Consonanten. Er hatte wohl erkannt, daß dieselben nur Geräusche sind, welche den Vocallaut, so zu sagen, umkleiden, wenn derselbe nämlich auf seinem Wege Hindernissen, Vorsprüngen etc. begegnet, oder sich durch schmale Spalten, längere Röhren etc. hinausdrängen muß. Das m kam gleich zu Anfang ausgezeichnet schön aus der Kunstnase, dagegen machte das durch plötzliche Oeffnung des Mundes hervorgebrachte b und p anfangs Schwierigkeiten, und das Maschinenkind nannte seinen Vater ursprünglich mit der größten Hartnäckigkeit „Pha–Pha“, wie es den alle Vocale stark aspirirte. Dem entspreched kam das h bei jedem plötzlichen Luftstoß sehr deutlich aus den Vocalpfeifen, und es mußte sogar alle Sorgfalt darauf verwendet werden, daß es nicht an unrechter Stelle auftrat.

Die Consonanten, welche durch Verengerung der Lippen und Hindernisse im vordern Mundtheile gebildet werden, wie w, f, s, j, sch und ähnliche, ließen sich deutlich nachbilden, und selbst das r, welches einzelnen kleine Kindern so viele Schwierigkeiten bereitet, wurde mit große Virtuosität hervorgebracht. Dagegen begegnete die Nachbildung derjenigen Consonanten, welche kurz nach einander Verengerung und plötzliche Erweiterung der vordern oder hinteren Mundtheile erfordern, wie d, t, g, k, den größten Schwierigkeiten. Schließlich brachte Kempelen eine Maschine zu Stande, deren in einem drei Fuß langen Kasten enthaltenen und von einem mit der Hand bewegten Blasebalge angeblasene Pfeifewerke mittelst einer Claviatur, deren Tasten den Buchstaben entsprachen, gespielt werden konnte, und welche auf Verlangen einfache Worte und Sätze ungefähr mit der Stimme eines zwölfjährigen Mädchens nachsprach. Am besten gab die Maschine lateinische Worte wieder, excellirte aber auch in kurzen französischen Phrasen, wie z. B.: Vous êtes mon ami oder Venez avec moi à Paris! etc., wobei der fremde Accent zuweilen überraschend treu gelang. Ueberhaupt erklang die Sprache oft so täuschend menschlich aus dem Kasten, daß viele Personen, denen die Maschine gezeigt wurde, mit Unrecht eine Täuschung, wie bei dem Schachspieler, argwöhnten und die Meisten unwillkürlich das Gesicht der Maschine zuwenden mußten, sobald sie ihr Geplauder begann.

Gleichwohl versagten die Fähigkeiten der Maschine einzelnen Worten gegenüber gänzlich; andere verlangten eine so sorgfältige Behandlung des Blasebalges, der Tasten und sogar der Pfeifenmundstücke mit der Hand, daß kein Anderer als der Erfinder selbst sie hervorbringen konnte, und endlich gab er alle weitere Vervollkommnungsversuche mißmuthig auf. Seine Maschine ist später durch die Physiker Willis in Cambridge und Posch in Berlin vereinfacht worden, und auch der englische Physiker Wheatstone hat den Versuch, durch bewegliche Zungenpfeifen die menschliche Sprache nachzuahmen, noch einmal aufgenommen. Wheatstone’s Maschine sprach geläufig lateinisch, italienisch und französisch, aber das Deutsche wurde ihr sehr schwer, und bei einzelnen Buchstaben mußte, gerade wie bei der Kempelen’schen Maschine, die Hand nachhelfen, um den Laut glücklich zur Welt zu bringen.

Alle diese Versuche sind weit übertroffen worden durch die von dem Wiener Mechaniker Faber vor circa dreißig Jahren angefertigte Sprechmaschine, die, in dem Körper einer meschlichen Figur verborgen, allgemeine Bewunderung erregte, da sie ebensowohl leise flüstern wie laut und ausdrucksvoll sprechen, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_170.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)