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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Arm stützte, um nach den Gebirgen von Irland hinüber zu blicken, die in weiter Ferne kaum erkennbar in das rauschende Meer versanken.

Ich hatte eine schwierige Aufgabe. Man hatte sie für meine Gattin, meine Braut, meine Geliebte gehalten, und zwar gerade an dem ersten Tage unserer Fahrt, an welchem man, sich dem neuen Eindruck ihrer Schönheit hingebend, sie bewundert und sich für ihr Verhältniß zu mir interessirt hatte. Sie war von dieser Reise über das atlantische Meer, von dieser zahlreichen, gewählten und glänzenden Gesellschaft auf dem großen Schiffe enttäuscht. Sie hatte sich das Ganze anders gedacht. … Zwar hatte sie im Anfange nicht ungern bemerkt, daß sie, wie auf dem kleinen Hamburger Dampfer auf der Nordsee, der Gegenstand allgemeiner Bewunderung und Neugier war. Aber nun – – Sie war sehr unglücklich. Sie hatte Niemand mehr auf dem Schiffe, mit dem sie unbefangen verkehren durfte; sie war mehr als je in der Welt allein. Jene schüchterne Zutraulichkeit, mit der sie sich bei der Ausfahrt in die Nordsee an mich gewendet hatte, war einer vereinsamten, feindseligen Stimmung gewichen. Ich ließ alle diese Betrachtungen an mir vorüberziehen, und ich merkte ihrer ganzen Haltung an, daß ich Recht hatte. Schon regte sich mir etwas im Herzen, das der Leidenschaft nahe verwandt war.

Ich trat laut auf. Sie blieb still. Ich räusperte mich. Dennoch hörte sie mich nicht. Sollte ich sie bei Namen nennen? Zurückziehen wollte ich mich nicht – ich war unschuldig. Auch hätte ein Schmollen zwischen uns Beiden dem Geschwätz der Leute nur neue Nahrung gegeben. Plötzlich kam mir ein Gedanke.

„Haben Sie schon jenen Eisberg da draußen gesehen Fräulein Bodinus? Es ist ein seltenes Phänomen. Wohl kommen an der amerikanischen Küste öfters Eisberge vor, aber hier, an der Südwestspitze von Irland, ist, so viel die Seeleute sich erinnern, noch nie einer bemerkt worden.“

Sie schwieg noch immer, aber ihr Auge suchte den Eisberg.

„Sie finden ihn wohl nicht?“

„Ich finde Sie abscheulich.“

„Weil ich Sie auf einen Eisberg aufmerksam mache?“

„Sie behandeln mich wie ein Kind.“

„Verzeihen Sie! Das lag mir ganz fern. Der Eisberg ist Thatsache. Wollen Sie Ihre Augen ein wenig anstrengen, so sehen Sie in dieser Richtung einen glänzenden Punkt, wie einen Krystall. Ist Ihnen vielleicht mein Glas gefällig?“

„Lassen Sie mich, bitte, allein!“

„Aber Fräulein Bodinus, was habe ich Ihnen gethan?“

„Ich sagte es Ihnen schon.“

„Sie sagten, ich hätte Sie wie ein Kind behandelt, aber ich kann das nicht verstehen. Ich habe Sie beschützt, bin Ihnen behülflich gewesen. Ich bin Ihr Landsmann. Sie haben mich mit Ihrem Vertrauen beglückt. Nie bin ich Ihnen zu nahe getreten; nie hatte ich bisher auch nur einen Schatten von Mißstimmung zwischen uns aufkommen lassen, die wir doch nun einmal Reisegefährten sind.“

„Was wollen Sie denn mit Ihrem Eisberg?“

„Aber mein Fräulein, der Eisberg ist Thatsache. Bitte, überzeugen Sie sich selbst! Hier, nehmen Sie mein Glas! Eine solche Seltenheit in den Gewässern von Irland muß man auf dem festen Lande erzählen, und damit Einem die Leute glauben, muß man sie selbst gesehen haben.“

„Und wenn er zehnmal Thatsache ist, dieser Eisberg, weshalb treten Sie mit den Worten an mich heran: ‚Haben Sie den Eisberg gesehen?‘ Weshalb sagen Sie mir nicht Guten Tag?“

„Weil ich keine Antwort von Ihnen bekommen hätte.“

Sie sah sich um und blickte mir in die Augen. Dann plötzlich lachte sie hell und heiter. Und gleich darauf, als schäme sie sich ihres Lachens, stützte sie sich wieder auf und sah nach dem Eisberg.

„Ich freue mich, daß Sie den störenden, unangenehmen Zwischenfall von der heiteren Seite ansehen, liebes Fräulein,“ sagte ich. „Er verdient auch keine andere Behandlung. Denn erstens ist er ein dummer und täppischer Zufall, und zweitens ist Mr. Bateman noch dümmer als er. Auch habe ich den Leuten mittgetheilt, daß Sie längst, und zwar in Deutschland, verlobt sind.“

Kaum hatte ich geendet, als sie heftig aufstand, rasch nach dem Hinterdeck des Schiffes ging und mich einfach stehen ließ. Da stand ich und stampfte mit dem Fuße.

Als ich in meinem Groll mit dem Operngucker den Eisberg suchte, war auch er verschwunden. –

(Fortsetzung folgt.)



Die „Drei Mohren“ zu Augsburg.

Mit Abbildung.

In der Mitte der Stadt Augsburg erweitern sich die gedrängten Häuserreihen der Altstadt plötzlich, und eine große breite Straße zieht sich vom Rathhause bis zur Ulrichskirche hinaus. Ein Blick auf die stattlichen Gebäude links und rechts genügt, den Wanderer darüber zu belehren, daß dieselben ihr Entstehen nicht der modernen Speculation zu verdanken haben, sondern einer fernen Zeit entstammen, in welcher derartige auch heute noch vollbürtige Bauten das Product einer Wohlhabenheit waren, wie eine solche sich nur in den blühendsten deutschen Städten bemerkbar machte. Es sind dies fast durchgehends alte Häuser, deren jedes seine eigene Geschichte hat. Glanz und Größe, Noth und Bedrängniß, Lust und Trauer der Stadt selbst zog an diesen alten Häusern vorüber und ging theilweise durch ihre Räume; es waren meist edle vornehme Geschlechter oder hochangesehene wohlhabende Bürger, welche sie inne hatten, und zum Theil befinden sich auch die Nachkommen derselben noch heute im Besitze dieser ehrwürdigen Heimstätten. Von ihnen allen nimmt den ersten Rang das Fuggerhaus mit seinen prächtigen Fresken ein. Große Wandgemälde erzählen von der Macht, dem Reichthum und der ruhmvollen Vergangenheit Derer, die darinnen seit Jahrhunderten gewohnt und gewirkt haben; gehört doch der Name des Geschlechtes der Fugger längst der Geschichte an. Die „Gartenlaube“ hat dem Fuggerhause und seinen Bewohnern schon in ihrem Jahrgange 1874 (Nr. 37) ein Denkmal in Wort und Bild gesetzt. Heute wollen wir von einem anderen weltberühmten Hause Augsburgs sprechen.

Es ist dies der Gasthof „Zu den drei Mohren“. Als altes Haus präsentirt sich derselbe heute allerdings nicht; seine Bestimmung bedingt einen öfteren Toilettenwechsel, und ein solcher ward eben vollzogen.

Das Jahr, in welchem das gedachte Haus erbaut wurde, ist uns nicht bekannt; die Chronik erwähnt es zuerst, indem sie erzählt, daß Anno 1511 ein Patricier aus dem berühmten Geschlechte der Herwart’s - von welchen ein Epigone heute als General im Dienste des Reiches steht - ein „prächtiges Haus“ am Weinmarkt gekauft habe. Am Weinmarkt zu wohnen, war zu jener Zeit keine Kleinigkeit, und nur ganz wohlhabende Leute vermochten dies. Hans Herwart gehörte aber auch zu diesen, ja er war womöglich noch reicher als sein Nachbar, der Fugger, denn er bezahlte damals schon eintausendsechshundertsechszehn Gulden jährliche Steuern. Am Weinmarkt fanden auch alle größeren Festlichkeiten statt: sogar Belehnungen, Huldigungen, Fürstenversammlungen und Turniere wurden dort abgehalten.

Die vornehmsten Gäste nahmen Wohnung in den Fugger’schen Gebäuden und als das „prächtige“ Herwart’sche Haus in den Besitz der Fugger übergegangen war, wurde es fast ausschließlich zur Beherbergung solcher hohen Besuche benutzt. Kaiser Karl der Fünfte hielt sich zu verschiedenen Malen bei Jakob und später bei dessen Neffen Anton Fugger auf, welchem er in Folge wiederholter finanzieller Gefälligkeiten sehr zugethan war. Die Sage, Anton Fugger habe einmal bei einer solchen Gelegenheit den Schuldschein des Kaisers in einem Feuer von Zimmtholz und zwar in Gegenwart des ganzen Hofes verbrannt, (s. Jahrgang 1874, Nr. 13) erscheint in einer nüchternen Version sogar glaubwürdig. Sicher ist, daß Karl der Fünfte dem Hause Fugger große Summen schuldete; ebenso sicher ist, daß Anton Fugger,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_352.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2023)