Seite:Die Gartenlaube (1878) 431.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

dem Schuster Hans Sachs, dessen Freund und Lehrer er war und mit dem zusammen er für die volksthümliche Aufnahme der Reformation und die Verbreitung der Buchdruckerkunst als eines Culturmittels wirkte.

Einen anderen geschichtlichen Namen hat sich der Barbier Olivier le Daim gemacht, der erste Barbier des adelsfeindlichen und henkerslustigen Königs Ludwig des Elften von Frankreich, sein Kammerdiener, Vertrauter, Rathgeber und allmächtiger Günstling bis zum Tode. Im Jahre 1474 schenkte ihm der König den Adelsbrief, wodurch Olivier seinen Namen le Mauvais in den le Daim (Damhirsch) verwandelte; dann fielen ihm die Güter des hingerichteten Grafen von Meulan zu, dessen Namen er sich damit anmaßte. Einige Jahre später erhielt er auch den Wald von Senart und wurde vom König als sein Gesandter an die Prinzessin von Burgund nach Gent geschickt.[1] Kaum war Ludwig der Elfte todt, als es ihm an den Kragen ging; er wurde „wegen verschiedener großen Verbrechen“ am 24. Mai 1484 gehenkt.

Wie Christian der Zweite von Dänemark einige Jahrzehnte später den ländergierigen und mit dem armen Volke kokettirenden Ludwig den Elften von Frankreich nachahmte, so hielt er sich auch als vertrautesten Günstling einen Barbier, den verschmitzten Slaghoek. Christian hatte eine holländische Aepfelhökerstochter, die schöne Düveke, zur Geliebten; deren Mutter und ihr Oheim, nämlich Slaghoek, waren es nun, die seinen Ministerrath und das geheime Cabinet bildeten, um seiner blutdürstigen Grausamkeit und Gewaltthätigkeit schändlichen Beirath zu leisten.

In edelster Art hebt sich im sechszehnten Jahrhundert gegen diese höfischen Günstlinge der französische Wundarzt Ambrosius Paré ab, ein berühmtes Beispiel von unermüdlicher Lernbegierde und Ausdauer. Ein armer Barbierssohn, wurde er selber aus Liebe zur chirurgischen Kunst Lehrling eines Barbiers. Darauf ging er nach Paris, um zu studiren, wohei er immer noch sein Brod mit Zähneausziehen, Bartschneiden und Aderlassen verdiente. Endlich kam er als Assistent in’s Krankenhaus Hôtel-Dieu und wurde bald der erste Operateur daselbst. Als Feldscherer ging er zur Armee, um als der berühmte Reformator der Chirurgie zurückzukehren, denn er verwandte die Hülfsmittel seines feurigen und eigenartigen Geistes auf Verbesserungen der Wundarzneikunst und wissenschaftliches Vorgehen bei den Operationen. Bis dahin waren die Wundärzte die Quäler ihrer Opfer; durch Paré wurden sie ihre Schützer und Retter. Um die Blutung aus Schußwunden zu stillen, griff man damals zu dem barbarischen Mittel, sie mit kochendem Oele zu verbinden. Die Wunden brannte man mit glühendem Eisen aus, die Amputationen machte man mit rothglühendem Messer. Paré verwarf bald alle diese herkömmlichen Mittel und behandelte die Verwundeten durch milde, erweichende Verbandmittel auf die glücklichste Weise; ebenso erfand er die Arterienunterbindung, welche nun an die Stelle der Glüheisen trat. Die Armee segnete ihn, der König dankte ihm und ernannte ihn zum Leibwundarzte trotz der Lästerungen, welche die Pariser Aerzte gegen den Neuerer schleuderten, der ohne jede Kenntniß von Latein und Griechisch war. Drei französischen Königen diente er als Leibwundarzt, er selbst aber nannte sich nicht anders, denn erster Barbier des Königs Heinrich des Zweiten und Karl des Neunten. Den Rest seines Lebens verbrachte er, hochgeehrt, mit Studien und im Wohlthun, sowie in Beschreibung seiner chirurgischen Erfahrungen in achtundzwanzig Büchern. Als die Bartholomäusnacht beschlossen war, schickte vor Einbruch derselben Karl der Neunte nach Paré, dem Protestanten, und befahl ihm, während der Nacht im Palast zu bleiben und denselben ja nicht zu verlassen, „da es unvernünftig sei, daß Jemand, der so viele Menschen das Leben gerettet, selbst niedergemetzelt werden solle.“ Auf solche Weise entkam Paré den Schrecken der Blutnacht, welche der König bekanntlich selbst in Scene gesetzt hatte.

In England ging aus der Barbierstube der berühmte Theologe Jeremy Taylor im 17. Jahrhundert hervor, einer der glänzendsten Kanzelredner der englischen Kirche, ein Muster an tugendhaftem Lebenswandel, Bischof von Down und Connor, Mitglied des irischen Geheimen Raths und Kanzler der Universität Dublin. Ebenso ein Jahrhundert später der Romanschriftsteller Tobias Smollet, der als Heilgehülfe nach London kam, mit einem von ihm verfaßten Trauerspiel in der Tasche. Erst da er als Wundarzt keine ihm passende Stellung finden konnte, warf er sich mit seiner reichen, wenn auch nicht durchgebildeten Phantasie der Literatur in die Arme.

Im 18. Jahrhundert sind überhaupt Barbiere mit besonderem Glück gesegnet gewesen. L’Estocq war eines Baders Sohn und gelernter Barbier an Celle. Jung ging er nach Petersburg, welches damals durch Peter den Großen eine starke Lockung für abenteuerliche Geister geworden war. L’Estocq kam in der That in die Dienste des Czaren, wurde Leibwundarzt desselben und sein Vertrauter. Später nahm er eine gleiche Stellung bei der Großfürstin Elisabeth ein, und als ihr Günstling leitete er die Verschwörung, welche 1741 diese Prinzessin zur Kaiserin machte. Er stieg dafür zum Wirklichen Geheimen Rath, ersten Leibarzt und Director aller medicinischen Anstalten und zum Grafen empor, entging aber auch nicht dem Wechsel des Glücks, den die meisten der gleichzeitigen russischen Günstlinge erfuhren. Jahrelang lebte er in der Verbannung, aller Ehrenstellen verlustig erklärt, bis Peter der Dritte ihn zurückrief und ihm die alten Aemter zurückgab.

Auch der berühmte Erfinder der Spinnmaschine, Richard Arkwright, war ursprünglich Barbier; er hatte niemals einen Schulunterricht genossen. In Bolton bewohnte er einen Keller, über dem er ein Schild anbringen ließ mit der Aufschrift: „Kommt zum unterirdischem Barbier! Er rasirt für einen Penny.“ Später lockte er sich Kundschaft mit der Schildtafel an: „Sauberes Rasiren für einen halben Penny.“ Dann legte er sich auf die Perrückenmacherei und hausirte erfolgreich mit Haarfärbemitteln. Ueber der Liebhaberei, Maschinen, namentlich auch das Perpetuum mobile zu erfinden, verarmte er wieder; es glückte ihm jedoch, das Modell einer Spinnmaschine herzustellen und nach vielen Elend und vergeblichen Anstrengungen einen Mann zu finden, der mit ihm ein Theilhabergeschäft auf Grund der Spinnmaschine einging. Im Jahre 1769, gerade als Watt die Dampfmaschine erfand, errichtete Arkwright eine Baumwollenfabrik in Nottingham, die mit Pferden betrieben wurde. Jahrelang blieb es damit nur bei Versuchen, ja, der aufgehetzte Pöbel zerstörte ihm seine Fabrik, und sein Patent wurde durch seine Feinde gerichtlich umgestoßen.

„Jetzt haben wir den alten Barbier endlich todt gemacht!“ riefen sie darauf schadenfroh hinter ihm her.

„Thut nichts,“ entgegnete er ihnen kühn; „ich habe noch ein Rasirmesser übrig, um Euch Alle zu barbiren.“

In der That, bald gründete er neue und große Fabriken und wurde durch seine Spinnmaschine ein reicher Mann, der Gründer eines neuen Fabriksystems in England. Im fünfzigsten Jahre lernte er erst ordentlich lesen und schreiben. Er starb als High-Sheriff der Grafschaft Derbyshire und nachdem er von Georg dem Dritten zum Ritter ernannt worden war.

Mit Fug und Recht kann man auch Schiller’s Vater zu den Barbieren rechnen. Im Militärdienst hießen dieselben, wie bekannt, Feldscherer, und als solcher hatte Johann Kaspar Schiller sich von den Oesterreichern anwerben lassen. Nach ausgedienter Zeit 1749 kam er nach Marbach am Neckar und ließ sich daselbst seiner Schwester zu Gefallen und aus Liebe zu Dorte Kodweis, der Bäckerstochter, als Wundarzt nieder. In Ludwigsburg legte er deswegen am 11. Juli das vorschriftsmäßige Examen ab, welches nach der württembergischen Barbier- und Baderordnung vor verordneten Medicis und, „zwey bei der fürstlichen Cantzley beaydigten Chirurgis“ stattzufinden hatte und bei welchem insonderheit darauf gesehen wurde, „wie ein Subjectum beschaffen, und daß solches nicht nur respondendo bastant, sondern auch in den Handgriffen wohl erfahren und berichtet seye,“ mit dem ausdrücklichen Beding, „daß wenn ein solcher Examinandus nicht fundamental und bastant erfunden, derselbe, er seye alsdann von Jahren, oder er habe gewandert so lang er immer wolle, er habe schon ein Weib (so einer oder der andere gleichwohl auf sein Abentheuer nehmen mag), auch wenig oder viel Kinder, als ein Meister keineswegs admittirt, sondern fortgewiesen oder zu practiciren mit nichten gestattet werden solle“.

Schiller blieb aber nicht mehr lange bei diesem Beruf. Schon 1753 trat er in die württembergische Armee als Fourier

  1. Hier spielte er die traurige Rolle, welche Gustav von Meyern in dem romantischen Zeitbilde „Teuerdank’s Brautfahrt“ (Jahrgang 1877, S. 630 u. 644 der „Gartenlaube“) so ergötzlich geschildert hat. D. R.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_431.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2016)