Seite:Die Gartenlaube (1878) 482.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

noch durch das Sonnenmikroskop ihrer Phantasie vergrößert auf die Leinwand werfen: er ist der Hauptheld in Hamerling’s „Ahasver“, in den Dramen von Gutzkow, Wilbrandt, Greif und Costa; Sallet hat ihm ein Gedicht geweiht, und jetzt folgt Jensen seinem Beispiel. Er beginnt mit einem Portrait des Tyrannen:

Ein graues Antlitz, jung und alt zugleich,
Nicht krank und nicht gesund, auch unschön nicht,
Doch schlaff die Lippe und das Auge müd’
Verschleiert; lang, nach Weiberart, das Haar
Mit Gold bestäubt, in wehendem Gelock
Den Nacken rührend, d’ran sich, tief durchdacht,
Kunstvoller Faltenwurf des Purpurs schließt.

Im Ganzen erinnert das Gedicht an den „Tod des Tiberius“ von Geibel; es könnte ebenso gut der Tod Nero’s heißen: doch Jensen läßt Nero und Seneca zugleich sterben, die beiden größten Männer Roms! Nero schlitzt zuerst dem Philosophen die Adern auf und stößt sich dann selbst den Dolch in’s Herz. Das ist eine historische Licenz, welche den Tod Nero’s doch in eine falsche Beleuchtung rückt. Der Tod des Tiberius in dem Geibel’schen Gedicht verträgt das Licht von Klio’s Fackel. „Columbus“ wird in einem größeren Balladencyklus verherrlicht. „Kaiser Heinrich der Siebente“ ist eine Ballade mit einer scharf für den Culturkampf zurechtgeschliffenen Tendenz; „Der Henker von Pesth“ erscheint in der grellen Beleuchtung wie die Erzählungen von Jókai, welche ihre Helden bisweilen in dieser Sphäre der Ausgestoßenen suchen. Ein Jugendidyll ist „Mnemosyne“: das Leben der Kindheit, die Spiele am Strande, die Fahrten durch’s Meer, die Erinnerung an die Liebe der Mutter bilden den Inhalt dieser nicht immer tadellosen, aber oft graziös sich einschmeichelnden Distichen.

Die epigrammatischen Sprüche und Einfälle fehlen auch in dieser Sammlung nicht. Sie sehen daraus, verehrte Freundin, unsere Zeit ist etwas altklug und liebt es, ihre Lebensweisheit an den Mann zu bringen. Unsere Dichter setzen sich alle gern auf den Divan des Brahmanen und lassen Weisheitsperlen durch ihre Hände gleiten. Jensen hat gute Gedanken; es sind mehr leichtgeflügelte Gnomen als Epigramme, doch bisweilen gelingt ihm auch ein Wurf des Bilderwitzes:

Nichts seltsamer, als wenn ein Mann
Wahrnimmt, daß sein Gewand zerfetzt.
Und einen neuen Rock sich dann
In seine alten Knöpfe setzt.

Der letzte Sonettenkranz ist ein Kranz von Betrachtungen über das Vaterland und den Tod für dasselbe: durch einige Mißklänge des Zweifels hindurch führt er zu einem harmonischen Schlußaccord.

Sie sehen, verehrte Freundin, Sie haben auf dem deutschen Parnaß die Wahl unter den verschiedenartigsten Charakterköpfen; Sie können den einen oder den anderen zu Ihrem Liebling erklären. Einige Gesichter sind uns sympathisch, andere nicht; so ist’s im Leben, in der Liebe, in der Poesie. Sympathie ist das Weltgeheimniß; sie liegt aller Kritik zu Grunde, mag sie noch so vornehm ihr Gesicht in ästhetische Runzeln legen. Wir wissen dies, verehrte Freundin, und darum gönnen wir Anderen gern den Genuß dessen, was uns widerstrebt, und freuen uns des Wahlspruches: leben und leben lassen!




Eine übertausendjährige Stiftung.

Die Ufer des Sees prangten in der Lichterpracht der festlichen Illumination. Vom Curhaus und anderen Gebäuden der Stadt, die dem Gestade entlang sich in schönem Bogen hinziehen, strahlten in den Wellen Lichtsäulen und bunte Lampenreihen in endlos gebrochenen flimmernden Linien wider, und von dunklen Booten auf der Mitte des Sees prasselte ein Feuerwerk auf, das die rings am Ufer wogende Menschenmenge doppelt entzückte durch die Wirkung all der Kunststücke von „treibendem und stillem Funken- und Flammenfeuer“ in der Luft und der herrlichen Täuschung des Widerscheins im Wasserspiegel. Wenn auch ein Regenschauer der Herrlichkeit noch vor ihrem Ende ein Ziel steckte, so war doch in allem Volke die festliche Stimmung gesichert und hielt unter Dach und Fach bei Trunk und Tanz aus bis zum Schluß.

Welches Ereigniß hatte alle Herzen der Stadt zu einer so gemeinsamen Freude zu erheben vermocht? Man feierte – es war 1875 – einen geschichtlichen Festtag der so echt deutschen Heimathsliebe: Salzungen, die sachsen-meiningische Landstadt, hat ein Zeugniß aufzuweisen, daß der Ort und das Salzwerk, welches dem Ort den Namen gegeben, schon über elfhundert Jahre bestehen.

Folgendermaßen sieht, photographisch verkleinert, dieses Zeugniß aus:

Das königliche Archiv zu Marburg besitzt diese, am 5. Januar 775 auf der Reichspfalz Crecy ausgestellte Urkunde, in welcher „Karl, von Gottes Gnaden König der Franken und Longobarden“, dem Stifte Hersfeld („Haereulfisfeldi“) „um seines Seelenheiles willen“ den Zehnten an seinem Reichsgute Salzungen („Salsunga super fluuium Uuisera“) an Aeckern und Obstanlagen, Wässern und Wasserleitungen und an den Stätten, die zur Salzbereitung errichtet sind, als Schenkung vermachte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_482.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)