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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Da klang mir aus dem Neckarthale
Des frohen Sanges Wiederhall,
Das Hoch bei schäumendem Pokale

20
Und der gekreuzten Schläger Schall ...

Und jetzt ... nur Trauerlieder schwingen
Mit schwarzem Flug sich durch die Luft.
Noch einmal blitzen blanke Klingen:
Der Freunde Gruß an off’ner Gruft.

25
Jetzt bringt mir Wehmuth jede Wonne,

Die schmerzlich das Geschick verklagt;
Mich mahnt der heit’re Blick der Sonne
An Alles nur, was Dir versagt.
Mein Gram umflort, was einst Dir theuer,

30
Seitdem Dein liebes Auge brach,

Aus dem der Jugend Muth und Feuer,
Der edeln Seele Zauber sprach.

Für alles Große, Gute, Schöne
War Dein begeistert Herz erglüht:

35
Es zog die Harmonie der Töne

Hell durch Dein innerstes Gemüth.
Doch ach, die selbstgeschaff’nen Lieder,
Sie regten ihre Fitt’ge kaum,
Da rollt die Scholle dumpf hernieder

40
Auf eines künft’gen Lorbers Traum.


O, Alles, wächst dem Licht entgegen
Selbst Deines Grabes Zier gedeiht!
Die junge Esche muß sich regen,
Bis sie dem Marmor Schatten leiht;

45
Die Cedern selbst zu dunkler Fülle

Entfalten sich von Jahr zu Jahr ...
Starr ruhst Du in der Leichenhülle;
Dahin, dahin auf immerdar!

So ist von mir ein Freund geschieden,

50
Der fest an meinen Stern geglaubt!

Du fandest allzufrüh den Frieden,
Den scheidend Du mir selbst geraubt.
Um Deine Jugend ward ich ärmer,
Die mir ein doppelt Leben gab! ..

55
Der Abend sinkt .. ein Dämm’rungsschwärmer

Umschwebt mit müdem Flug Dein Grab.

 Rudolf Gottschall.


Deutsche Künstler in Rom.
Von Ernst Eckstein.

Seit Jahrhunderten ist Rom das Mekka unserer begeisterten Kunstjünger. Politische und sociale Wandlungen haben hieran so wenig geändert, wie ästhetische und philosophische. Die Kluft zwischen der Gegenwart und dem Zeitalter Goethe’s ist eine ebenso riesige, wie die zwischen dem alten kirchenstaatlichen Regiment und dem nationalen Königthum Humbert’s und Victor Emanuel’s; die rein ästhetische Welt- und Lebensbetrachtung ist seit jenen Tagen immer entschiedener zurückgewichen, genau so, wie die Grenzen des ehemaligen Patrimonium Petri: aber der Zauber, den die ewige Stadt auf Alles ausübt, was da künstlerisch denkt und empfindet, ist derselbe geblieben, und noch heute darf man kühnlich behaupten, daß es keinen Punkt der bewohnten Erde giebt, wo sich das wahrhaft schöpferische Talent so wohl, so glücklich, so im Vollgenusse seiner geistigen und gemüthlichen Kräfte fühlt, wie in Rom. Tausend begeisterte Künstlerherzen haben diese Wahrheit in allen Gauen verkündet, sodaß schon der bloße Name Rom genügt, um die Herzen der Schönheitsfreunde höher schlagen zu lassen – sei es im schwärmerischen Glück der Erinnerung, sei es in jener unwiderstehlichen Sehnsucht, die den Grafen Platen zu dem Ausspruch vermochte: „Ich muß nach Italien, und wenn ich mich dahin betteln sollte.“

Zwei Momente sind es vorzugsweise, die den Aufenthalt in Rom für den productiven Künstler so begehrenswerth machen. Einmal, wie selbstverständlich, die ungeheure Fülle von Meisterwerken aus allen Perioden der Plastik, der Malerei und der Architektur; dann aber – und es will mir fast scheinen, als ob dieser zweite Punkt in seiner Art fast ebenso wichtig wäre, wie der erste – die eigenthümliche Physiognomie des Lebens, die harmonische Gestaltung aller Existenzverhältnisse, die ruhevolle, zwischen olympischer Heiterkeit und leiser Elegie vibrirende Stimmung, die hier wie ein undefinirbares Etwas die ganze Atmosphäre durchgeistigt. Nur die wunderbare Vereinigung dieser beiden Momente erklärt die souveraine Stellung Roms vor allen anderen Städten Europas. Die Gemäldesammlungen von Madrid und Florenz sind den römischen Gallerien weit überlegen; das Leben und Treiben des Alterthums tritt uns am Golfe Neapels, in Pompeji und dem reichgefüllten Nationalmuseum ungleich anschaulicher vor die Seele, als in Rom; auch an landschaftlichem Reiz steht die Siebenhügelstadt hinter Florenz und Neapel zurück: und doch vermag keine dieser Städte als Künstleraufenthalt mit der unvergleichlichen Königin am Tiberstrande zu wetteifern.

Das Leben in Rom ist ein im schönsten und tiefsten Sinne des Wortes behagliches, anregend ohne aufregend, reich ohne erdrückend zu sein. Der Blick wendet sich hier von dem fiebernden Ringen um irdische Glücksgüter, von dem rastlosen Kampf des Jahrhunderts hinweg; er weilt einerseits auf jener großartigen Trümmerwelt, die ihm die Richtigkeit alles Irdischen und hiermit die praktische Weisheit eines vernunftgemäßen Lebensgenusses predigt; andererseits aber mustert er mit unsäglichem Wohlgefühl die unermeßlichen Schätze, die das Gemüth aus den Regionen der Vergänglichkeit wieder emporheben in das Reich der unvergänglichen Schönheit. Das Bewußtsein dieser künstlerischen Fülle, die uns von allen Seiten zum stillen Genusse ladet, verbunden mit der Herauslösung unseres Ichs aus den prosaischen Interessen des Zeitalters, übt zu Anfang einen wahrhaft berauschenden Einfluß aus. In gewissem Sinne glaubt man erst jetzt zu leben; das befremdliche Distichon August’s von Platen:

„Zeit nur und Jugend verlor ich in Deutschland; Lebenserquickung
Reichte zu spät Welschland meinem ermüdeten Geist ...“

wird uns mit einem Male als Ausdruck dieser Stimmung verständlich. In der That haben fast alle künstlerisch veranlagten Menschen in ähnlicher Weise die Uebersiedelung nach Rom als ein Glück, als eine Gnade des Himmels gefeiert. So ruft Goethe in seiner siebenten Elegie:

„O, wie fühl’ ich in Rom mich so froh, gedenk ich der Zeiten,
     Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,
Trübe der Himmel und schwer auf meinen Scheitel sich senkte,
     Farb- und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag,
Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes
     Düstere Wege zu spähn, still in Betrachtung versank!
Nun umleuchtet der Glanz des helleren Aethers die Stirne:
     Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.
Sternhell glänzet die Nacht; sie klingt von weichen Gesängen,
     Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag.
Welche Seligkeit ward mir Sterblichem! Träum’ ich? Empfänget
     Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_531.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)