Seite:Die Gartenlaube (1878) 574.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

der kaum zweijährigen Periode seiner vormärzlichen Existenz nicht weniger als sechsmal den Verlagsort wechseln mußte und endlich auch aus dem liberaler regierten Braunschweig hinausgehetzt werden sollte, als plötzlich der große Umschwung von 1848 heraufzog und auch dieser nach Freiheit dürstenden Schöpfung die Erlösung brachte. Nun konnte der hartgeprüfte Herausgeber sein Journal mit einem Male nach Leipzig herübernehmen, es wurde in eine Wochenschrift verwandelt, stellte sich sofort auf die entschiedenste Seite der Volksbewegung, und aus seinen Spalten brausten alsbald die heißen Gedankenströme jener wunderbaren Tage. Gewiß, wir sehen da von unseren heutigen Gesichtspunkten aus viel hochwogenden politischen Dilettantismus, aber er war von einer Innigkeit des Glaubens, einer Energie selbstloser und hingebender Begeisterung getragen wie sie der ordnungsmäßige Verlauf correcter Alltagszeiten nicht zu erzeugen vermag. Durch den Ruf und die Bedeutung des „Leuchtthurms“ wurde Keil’s Geschäftshaus damals auch ein reger Mittelpunkt der namhaftesten demokratischen Schriftsteller Deutschlands und des Auslandes, und diese Besuche wurden besonders zahlreich, als vom Herbste 1848 ab überall die Niederlagen der Volkssache erfolgten und ihre Vertheidiger, auf die Hülfe der Gesinnungsgenossen angewiesen, als Flüchtlinge in Verbannung und Elend wandern mußten. Was Keil hier persönlich geleistet und zur Rettung vieler dieser Schwerverfolgten gethan hat, darüber ist von ihm selber meistens nur karger Bescheid gegeben. Personen aber, welche ihm nahe standen, wußten gar viel von der Erfindungsgabe und der unverdrossenen Opferwilligkeit zu erzählen, die er bei diesen oft sehr merkwürdige Rettungen bewährte. Und doch hing fortwährend das Schwert der Untersuchungen und Preßprocesse über seinem eigenen Haupte, bis er endlich im April 1852 Weib und Kinder und das bereits in Blüthe gekommene, aber einzig und allein auf seiner Arbeitskraft ruhende Geschäft verlassen mußte, um neun Monate als Staatsverbrecher in Hubertusburg hinter Schloß und Riegel zu sitzen. Sein „Leuchtthurm“ freilich machte ihm schon damals keine Sorge mehr. Schon 1851 hatte sich derselbe wiederum von Leipzig weg auf die alte Wanderschaft begeben und hier endlich nach mühseligem Umherschleppen den mit aller Wucht geführten Keulenschlägen erliegen müssen. Mit seiner ganzen Haltung und der seines beliebten keck-satirischen Beiblattes, das erst „Die Laterne“, sodann „Reichsbremse“, nachher „Spitzkugeln“, „Wespen“ und zuletzt „Schildwacht“ hieß, war das Blatt unter den durchaus veränderten Strömungen und Verhältnissen ganz unmöglich geworden. Aber mit der Erwürgung des Werkes waren die siegreiche Feinde nicht zufrieden gestellt, nach dem verhaßten Manne selber streckten sie ihre Hände aus. Jene Anklage, von welcher ihn ein Jahr vorher die Geschworenen frei gesprochen hatten, war von Neuem vor das inzwischen wieder eingesetzte Beamtengericht gebracht worden und dieses hatte denn auch die Verurtheilung ausgesprochen.


Mit Keil’s Wanderung in das Gefängniß schließt die erste, wiederum achtjährige Periode seines selbstständigen Wirkens. Solche Geschichten wie die obigen sind leicht erzählt, selbst so furchtbare Worte, wie Auseinanderreißung einer Familie, ganze oder theilweise Zerstörung blühender Unternehmungen ohne viele Mühe niedergeschrieben. Was aber der Betroffene sammt den Seinigen bei solchen Erlebnissen gelitten und durchgemacht hat, das würde sich in wenigen Sätzen nicht erzählen lassen. Ein erhebender Trost war ihm in der treuen Liebe der jungen Gattin geblieben, die ihm in all seinem Kampfe verständnißvoll und unverzagt zur Seite gestanden hatte, ihn jetzt auch bis an das Thor des Gefängnisses geleitete und sich mit den Kindern während der Haftzeit in dem benachbarten Dorfe niederließ, um hülfreich in seiner Nähe zu sein. Vom Gefängnisse aus überwachte er die Redaction des seit 1851 bei ihm erscheinenden, bereits durch ihn in zweiundzwanzigtausend Exemplaren verbreiteten „Dorfbarbier“ und leitete überhaupt durch schriftlichen Verkehr sein Geschäft, so gut es gehen wollte, um wenigstens den Untergang fern zu halten. Was später von einer durch Freunde ihm damals gewährten Geldunterstützung erzählt wurde, ist reine Erfindung. Er selbst hat wiederholt in Freundeskreisen gesagt und auch in einem vor mir liegenden Briefe geschrieben „Daran ist kein wahres Wort, ich habe niemals eine Pfennig Capital geborgt und bin auch niemals von dritter Seite unterstützt worden.“

Mittellos kam er nach verbüßter Haft in sein Haus und zu den treuen Gehülfen seines Comptoirs zurück, aber dennoch kam er nicht leer. Seine Gesinnung war unerschüttert, sein Muth nicht gebeugt, den unbestrittenen Ruf eines Ehrenmannes hatte er durch die in jenem Preßprocesse zugleich über ihn verhängte Aberkennung der bürgerliche Ehrenrechte in den Augen seiner Mitbürger nicht verloren. Zudem aber brachte er auch einen Gedanken mit, der ihn beflügelte und seit Monaten seine ganze Seele erfüllte. Innere und äußere Stürme hatten seit Jahren ohne Unterlaß sein Leben durchtost. Erst in der stillen Abgeschiedenheit hinter den Eisengittern hatte er wieder einmal Ruhe und Sammlung gefunden zu mancher wissenschaftlichen Lectüre, sowie zu freier Ausschau in die Welt der Thatsachen; es regte die alte schöpferische Kraft ihre Schwingen, es machte von Neuem in ihm sich geltend, was ein oberflächliches Urtheil immer nur als den besonderen „Glücksstern“ Keil’s gedeutet hat und was doch nur aus ihm selber, aus einer ganz besonderen Gabe seiner Eigenthümlichkeit sich hergeleitet hat: aus der starken Fühlung, dem eigenen lebhaften Zusammenhange mit dem edleren Verlangen, den besseren Geschmacksrichtungen und berechtigten Anforderungen der jeweiligen Zeitperiode und ihres lesenden Publicums. Blickte er zurück, so fand er ein Hauptziel der vormärzlichen Bewegungen erreicht: politisches Bewußtsein, Freisinn und bürgerliches Selbstgefühl waren sichtlich in den weitesten Kreisen geweckt. Die Revolution aber hatte naturgemäß die Fluth der politischen Discussionen entfesselt und diese waren auf der niedergeworfenen liberalen Seite allmählich in hochtönende Phrasenhaftigkeit ausgeartet. Das gebeugte, in seinen ersten Hoffnungen so bitter getäuschte Volk war in der Schule dieser traurigen Erfahrungen müde geworden der fruchtlosen Debatten und Declamationen, die Tag für Tag an den Ohren und Augen vorübergesaust, die Journalpresse freier Richtung stand in der Gefahr, für lange Zeit ihre Macht zu verlieren oder an reactionäre Einflüsse abzutreten, wenn sie nicht auch der Sehnsucht des Publicums nach positiver Ausfüllung und Begründung seiner neu gewonnenen Ueberzeugungen, dem erwachten Durste nach substantieller Geistesnahrung und aufrichtender Erfrischung der Gemüther entgegenkam.

Das hatte Keil schon draußen längst mit seinem feinen Verständniß des deutschen Volksgeistes erkannt, und aus dieser Erwägung wuchs in der Einsamkeit des Gefängnisses der Entschluß zu der Großthat seines Lebens, zur Gründung des Blattes hervor, dem er vor der am 1. Januar 1853 erfolgten Ausgabe der ersten Nummer mit Absicht den unscheinbaren Namen „Die Gartenlaube“ gab.

Wohlfeile Unterhaltungsblätter hatte es auch bisher schon gegeben, und es wunderte sich kaum Jemand darüber, solche für niedere Bildungsschichten bestimmte Organe ihren Lesern nur magere Abfälle von den Tischen der Literatur in den nachlässigsten Formen bieten zu sehen. Nun tauchte mit einem Male der Gedanke auf, daß der gerade entgegengesetzte Weg allein der richtige sei, daß gerade das Beste und Nützlichste, das Edelste und Schönste des literarischen und künstlerischen Schaffens unmittelbar aus seinen Quellen in alles Volk zu leuchten habe, allen Classen des Volkes in gefällig-eleganter Ausstattung und zu so billigem Preise dargeboten werde müsse, daß selbst dem Aermsten ein Bildungsmittel nicht verschlossen sei, welches gleichzeitig auch dem Reichsten Genuß und Belehrung schaffen soll. Das waren die Grundsätze, denen, geschäftlich und literarisch, das erste im Original hier vor uns liegende Programm der „Gartenlaube“ entfloß, wie es der Urheber in seiner Gefängnißzelle ausgearbeitet und in einer Abendstunde beim Scheine einer Cigarre niedergekritzelt hatte, da die Hausordnung schon von acht Uhr ab das Brennen von Licht verbot.

Der Plan war gemacht, aber der Ausführung stellte sich nach der Heimkehr zunächst mancherlei Jammer kleiner und großer Schwierigkeiten entgegen. So hatte z. B. die erwähnte Aberkennung der Ehrenrechte für Keil die unangenehme Folge, daß er auf einer Zeitschrift nicht mehr als verantwortlicher Redacteur sich nennen durfte. Er mußte daher eine geeignete Persönlichkeit suchen, welche ihren Namen hergab, und er fand deren zwei in seinen alten Freunden Stolle und Diezmann, die denn auch die „Gartenlaube“ zehn Jahre hindurch gezeichnet haben, ohne jemals an der wirklichen Redaction betheiligt zu sein, welche allein in den Händen Keil’s lag.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_574.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)