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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Erde vergraben. Und hier allerdings weisen die merkwürdigen nach Tausenden zählenden Funde, Gefäße aller Art aus Terracotta, Waffen und Geräthe aus Stein und Bronze, aus Elfenbein und Knochen, Schmucksachen aus Silber, Gold und Elektron (einer Legirung von Silber und Gold) u. dergl. m., auf die vorhistorischen Zeiten, auf Zeiten hin, die weit vor derjenigen Culturperiode liegen müssen, welche uns aus den Gesängen Homer’s entgegentritt. Die bis jetzt angestellten Vergleiche dieser vorhistorischen Fundstücke mit andern führen uns auf eine uralte, theils von der See her durch die Phönicier, theils auch vom asiatischen Hinterlande her stark beeinflußte Cultur. Ihre Zeitgrenzen lassen sich freilich nicht genau bestimmen. Jedenfalls aber ist diese Cultur, deren Verzierungsweise als eine ausgebildete Linearornamentik erscheint, dem späteren gleichfalls von Vorderasien und Assyrien her wirkenden Einflüssen einer jüngeren, anders gearteten und höher entwickelten Cultur gewichen. Jene ältere vorhistorische Periode muß aus Gründen, welche die Untersuchung herausgestellt hat, als eine weit vor der Zeit der homerischen Gesänge liegende angesehen werden, da in diesen, besonders in den darin enthaltenen Kunstschilderungen, ein bereits auf jüngere assyrische Einflüsse zurückführender Standpunkt zu Tage tritt. Somit kann nicht daran gedacht werden, nur einen einzigen jener Schliemann’schen Funde in gesammter Weise als irgend einen der bei Homer beschriebenen Gegenstände, das heißt also gleichsam als bestätigende Illustration der homerischen Beschreibung erkennen zu wollen. Der Werth all dieser troischen Objecte liegt vielmehr, wie bereits angedeutet worden ist, in der Mehrung unserer Erkenntniß auf dem Gebiete der vorhistorischen Cultur; für diese sind die Schliemann’schen Funde ein noch oft zu benutzendes und als solches in hohem Grade werthvolles Vergleichungsmaterial.

Ob aber nicht dennoch in der Tiefe des Hügels Hissarlik jenes alte Ilion oder Troja gefunden ist, an welchem seit urältester Zeit die homerische Sage haftete, das konnte bisher weder verneint, noch auch mit Sicherheit bejaht werden. Aus der „Ilias“ Homer’s selber läßt sich, so Vieles auch im Einzelnen für den Hügel Hissarlik spricht, kein fester und unverrückbarer Punkt in der Gegend feststellen.

Erwägt man aber unter Anderem, daß auf dem Hügel seit dem siebenten Jahrhundert vor Christi Geburt unzweifelhaft eine Niederlassung mit dem alten Namen Ilion bestand, und erwägt man ferner, daß an einem Orte, wo sichtlich eine oder mehrere Stadtanlagen in alter Zeit vorhanden waren, auch trotz der Zerstörung und Ueberfluthung durch nachfolgende Völkerschaften der Name der alten Stätte so leicht nicht verloren zu gehen pflegt, so erscheint es viel weniger wahrscheinlich, daß die äolischen Colonisten im siebenten Jahrhundert vor Christo sich beliebig den Namen Ilion für ihre neue Stadt aus den homerischen Gesängen wählten, als daß sie dabei an eine vorhandene Tradition des Ortes anknüpften, die ihnen eben diesen Namen überlieferte. Was aber die schon im Alterthume geäußerten Zweifel betrifft, nach denen die Stätte des alten Ilion dreiviertel Meilen weiter landeinwärts anzusetzen sei, so ist dagegen zu bemerken, daß sich diese Ansicht nur auf die in topographischer Hinsicht durchaus nicht zuverlässige Dichtung Homer’s berufen kann. Wie man die Sache auch betrachten mag, es giebt vor der Hand keine stichhaltigen Gründe, die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung des alten homerischen Troja durch Schliemann zu bestreiten.

Was endlich die Funde in Mykene betrifft, den märchenhaft reichen Inhalt der in dieser uralten Residenz des Agamemnon von Schliemann entdeckten Königsgräber (der bloße Metallwerth wird auf 30,000 Mark geschätzt), so habe diese Herrlichkeiten aus grauer Vorzeit nicht blos das Staunen der Welt, die Verwunderung der Beschauer erregt, sondern auch die gelehrten Kreise in die lebhafteste Bewegung versetzt und zu den umfassendsten Untersuchungen und Erörterungen der Philologen, Archäologen und Kunstforscher Anlaß gegeben. Der Streit drehte sich auch hier um den künstlerischen und technischen Charakter der Gegenstände, sowie nun die Bestimmung der Culturperiode, der sie entsprossen sind. Das Richtige nach diesen Seiten hin scheint Professor Köhler, der Director des archäologischen Reichsinstituts in Athen, in einem jüngst erschienenen Aufsatze getroffen zu haben, es würde jedoch unmöglich sein, allen diesen noch fortwährend im Flusse befindlichen Untersuchungen hier folgen zu wollen, da mit allgemeineren Andeutungen und ohne genaues Eingehen auf die vielfältigen Specialitäten ein irgend klares Bild solcher wissenschaftlichen Vorgänge nicht zu gewinnen ist. Wer aber Weiteres über die Entdeckungen selber lesen und namentlich eine Ansicht der betreffenden Funde erlangen will, den verweisen wir auf das in ganz vortrefflicher Ausstattung (bei Brockhaus in Leipzig) kürzlich erschienene Werk Schliemann’s über Mykene, das neben zahlreichen Plänen und Ansichten der Gegend über siebenhundert ausgezeichnete Abbildungen der hervorragendsten Fundobjecte enthält.

Mag also auch in Bezug auf die Erklärung und Deutung der von Schliemann errungenen Resultate noch der Streit wogen, jedenfalls steht so viel fest: unser Schatzgräber aus den classischen Gefilden des Alterthums hat sich nicht nur durch seinen merkwürdigen Lebenslauf, durch die hohe Richtung seines Denkens und Thuns, durch Talent, Charakterenergie und begeisterte Hingebung an seine Zwecke als ein außerordentlicher Mensch bewährt, sein schweres, kampf- und sorgenreiches Mühen hat auch bereits herrliche Früchte zu Tage gefördert, die bleibend der fortschreitenden Erkenntniß zu Gute kommen und zur Lichtung des tiefen Dunkels beitragen, das so vielfach noch über der Vergangenheit unseres Geschlechts gebreitet liegt. Möge dem kühnen Forscher, den wir Deutsche mit Stolz den Unsern nennen, bei der jetzigen Wiederaufnahme seiner Thätigkeit von Neuem die Gunst eines guten Geschickes lenken, und möge er noch viele Jahre hindurch in heiterer und glücklicher Zufriedenheit der Ergebnisse seiner heißen Anstrengungen sich freuen können!

Sch.



Stubenvogel-Zucht.
Von Dr. Karl Ruß.

Unsere Hausthiere verdanken ihre Veredelung fast ausnahmslos einer auf wissenschaftlichem Grunde ruhenden und zugleich praktisch ausgebildeten Züchtung; solche Zucht hat theils absichtlich, größtentheils freilich zufällig, die unzähligen Varietäten geschaffen, nach welchen man die verschiedenen Hausthiere in Racen oder sogar in Arten zu scheiden pflegt. So finden wir z. B. die Haustaube in einer staunenswerthen Mannigfaltigkeit der Formen, von der blauen Feldtaube, welche der Stammmutter Felsentaube noch nahezu gleicht, bis zur Pfautaube mit ihrem aufrecht gerichteten Schwanze, vom winzigen Mövchen mit Cravatte und Halskrause bis zur kolossalen hochbeinigen Hühnertaube oder zur Bagdette mit fleischigen Wülsten um die Augen und dem raubvogelähnlich gebogenen Schnabel.

Zu derartigen Betrachtungen giebt besonders der Canarienvogel Anlaß. Seine staunenswerthe Verbreitung und Einbürgerung bei Reich und Arm, seine an’s Wunderbare grenzende Verwandlung in Gestalt, Farbe und Gesang sind in der „Gartenlaube“ bereits früher (Nr. 5, 1877 und Nr. 34 des laufenden Jahrgangs) geschildert worden. Ein kleiner australischer Papagei, der Wellensittich, welcher freilich erst seit wenigen Jahrzehnten als Stubenvogel bei uns bekannt ist, hat bereits eine nahezu ebenso große Verbreitung wie der goldgelbe Hausfreund erlangt und wird alljährlich in einer Anzahl von vielen tausend Köpfen gezüchtet.

Neben jenen Beiden sind es die sogenannten Prachtfinken, manche Widafinken und Webervögel, einige andere Finkenarten, namentlich aber auch Papageien, sodann eine beträchtliche Zahl insectenfressender Vögel, Drosseln, Staare, Bülbüls etc., besonders auch die einheimischen edlen Sänger sowie verwandte Kerbthier- und Körnerfresser, welche als Sing- und Schmuckvögel allgemeiner Beliebtheit sich erfreuen und von denen schon recht viele Arten mit Glück gezüchtet werden. Prachtfinken und kleine Papageien beherbergt in manchen Gegenden und namentlich in den großen Städten fast jede Häuslichkeit. Der kleine Amarantvogel, der Zebrafink und das Goldbrüstchen sind es im Allgemeinen zuerst, welche den Liebhaber fesseln, und mit denen auch wohl fast

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_715.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2019)