Gefärbte Vögel
Auf der letzten großartigen Vogelausstellung in Berlin im Herbst 1877 fesselten unter mancherlei anderen interessanten Erscheinungen vorzugsweise eine Anzahl Canarienvögel, welche Herr A. F. Wiener aus London gesandt hatte, die Blicke der Kenner wie der Neulinge. Dieselben zeigte sich von allen uns bisher bekannten Canarien durchaus verschieden; weder das matte Weißlichgelb noch das kräftige Hochgelb, weder das schwärzliche Grüngrau noch die Isabellfarbe, welche wir bisher an den Canarienvögeln gesehen, weder die schlichte Gestalt des deutschen Vogels, die schlanke hochschulterige der holländischen Rasse oder die carrikirte des „Parisers“ oder „Trompeters“ mit Jabot und Epaulettes hatten diese Fremdlinge aufzuweisen, noch den wundervollen Gesang unseres Harzer Hausfreundes ließen sie hören – und trotzdem füllte sich der Raum vor ihnen immer mehr mit herandrängenden Beschauern.
Das Fesselnde in der Erscheinung dieser Vögel liegt zunächst in ihrer Färbung, die vom feurigen Dunkelgelb bis zum tiefen Orangeroth wechselt und dabei an den Exemplaren, welche nicht einfarbig sind, durch überaus gleichmäßige Abzeichen ausgeschmückt ist, sodaß der eine Vogel bei rein orangegelbem Körper eine schwarzgrüne Kappe und ebensolche Flügel, ein anderer eine breite dunkle Brille, ebenfalls mit Flügelzeichnung, und, ein dritter nur dieses oder jenes Abzeichen allein hat, während ein vierter am ganzen Körper gleichmäßig eidechsenähnlich geschuppt [564] ist und über die Stirn bis zum Hinterkopf ein breites schön- und reingelbes Band trägt. Das Staunen der Bewunderer dieser Fremdlinge aber erreicht den höchsten Grad, wenn sie vernehmen, daß die Färbung solcher lebenden Vögel eine willkürlich durch Menschenhand hervorgebrachte ist. Diese Canarien werden in England nämlich einerseits durch sorgfältigste Zuchtwahl, Ausstich, wie es in der Züchtersprache heißt, andrerseits aber durch Fütterung mit rothem Cayennepfeffer erzielt.
Blicken wir im alltäglichen Leben um uns her, so bemerken wir wohl, daß der Mensch einen tiefeingreifenden Einfluß auf die ihn umgebenden, in seiner Gewalt, beziehentlich Pflege befindlichen lebenden Geschöpfe auszuüben vermag. Auch der Gleichgültige würde mit Staunen erfüllt werden, wenn plötzlich rings um ihn her alle Hausthiere und Nutzpflanzen in den ursprünglichen Naturzustand zurückgekehrt wären. Kaum würden wir glauben, wenn man uns dann das Gemüse und die Obstbäume des Gartens und das Getreide der Felder in der Ursprünglichkeit zeigte, daß wir in ihnen wirklich die Urahnen der gegenwärtigen Arten vor uns hätten. Immerfort aber gehen noch vor unseren dafür freilich wenig geöffneten Augen derartige Verwandlungen vor sich, die man eigentlich geradezu als naturgeschichtliche Wunder bezeichnen könnte – wenn sie nicht eben zu alltäglich wären.
Hier, in den rothen Canarienvögeln, haben wir nun eine ganz besonders günstige Gelegenheit zu anregenden Versuchen und Beobachtungen vor uns. Es ist von der Wissenschaft längst festgestellt und von der Erfahrung bestätigt worden, daß der Einfluß der Nahrung sich auf die körperliche wie auf die geistige Entwickelung des Menschen geltend macht. Diese Thatsache nach allen ihren Erscheinungen hin weiter zu verfolgen, fehlt mir hier die Gelegenheit; ich überlasse dies ebenso interessante wie wichtige Thema einer dazu mehr berufenen Feder. In der Thierwelt aber vermag ich doch recht beachtenswerte Beispiele in dieser Hinsicht aufzustellen. Man hat beobachtet, daß manche rein weiße Wasservögel, Enten, Möven, u. dergl. m., wenn sie zeitweise ausschließlich Fische fressen, eine rosenrothe Gefiederfärbung annehmen. Manche Vogelarten verlieren in der Gefangenschaft ihre schönen lebhaften Farben, und mit Recht führt man diese Erscheinung darauf zurück, daß ihnen gewisse Bestandtheile der Nahrung, welche sie im Freien finden und die man noch nicht kennt, in den Käfigen fehlen.
So schwindet namentlich die Schönheit rother Vögel in allen Schattirungen nur zu bald, und ein Beispiel, welches man unschwer vor Augen haben kann, gewährt der allbekannte Hänfling, indem sein schönes Roth an Brust und Stirn sich nach der ersten Mauser regelmäßig verliert; ebenso bleicht die Färbung bei den Kreuzschnäbeln, dem Karmingimpel, Papstfink und Anderen. Kürzlich hat man nun beobachtet, daß manche dieser Vögel, wenn ihnen frische zarte Schößlinge von Kiefern oder anderen Nadelhölzern längere Zeit hindurch zur Fütterung geboten worden, in dem Federwechsel oder der Mauser das schöne Roth wieder erlangten. Im Gegensatze dazu zeigt es sich, daß manche andere Vögel, wenn ihnen gewisse Nahrungsstoffe fehlen oder unpassendes oder auch wohl geeignetes, doch immer gleiches Futter ohne Abwechselung geraume Frist hindurch gegeben wird, immer dunkler, bis zuletzt ganz schwarz sich färben so z. B. die Reisvögel, Tigerfinken, manche Weber. Die Einflüsse der Züchtigung im Allgemeinen wirken indessen dahin, daß das Gefieder immer hellfarbener wird; dies sehen wir bei den Haustauben, dem Canarienvogel, Reisvogel u. a. Leider sind bisher derartige Erscheinungen noch keineswegs ausreichend aufgeklärt oder gar in ihren Ursachen ergründet worden. Die meisten Züchter, selbst wenn sie eifrig und verständnißvoll ihre Thiere behandeln, haben doch leider keineswegs Geduld und Geschick genug dazu, anhaltend zu beobachten, alle Ergebnisse aufzuzeichnen und zu veröffentlichen. Daher sehen wir auf den betreffenden Gebieten wohl reiche, herrliche Erfolge vor uns, aber nur zu spärlich finden wir das Material zur Erklärung der Vorgänge.
So steht es namentlich auch mit der Zucht der Farbencanarien in England. Man zieht dort diese Vögel mit größter Sorgfalt und streng nach den Gesetzen der Durchzucht; man erzielt also aus dem so und so gefärbten und gezeichneten Männchen mit grünen Weibchen die ganz bestimmt so und so ausfallenden Jungen; man erreicht dieses Ergebniß mit ganz gleicher Sicherheit, wie das der entsprechenden Tauben- oder Hühnerrassen. Der Züchter kennt seine Brutvögel ganz genau; er weiß, daß ein betreffendes Männchen „Farbe im Blute hat“ und daß es dem entsprechende Nachzucht erzeugen wird. Er vermag auch stets zu ermessen, welche Wirkung die Kreuzung hervorbringen kann. Dann, vor dem Beginn der Mauser oder des Federwechsels, füttert er die zarten jungen Vögel mit dem Gemisch von feingepulvertem Cayennepfeffer und aufgeweichtem Weißbrod, und durch die Aufnahme des intensivem Farbstoffs in’s Blut, durch die Ablagerung desselben in dem sich neubildenden Gefieder, wird die beabsichtigte Färbung hervorgebracht. Mit diesem Erfolge aber ist für ihn der Vorgang auch völlig abgeschlossen.
Der geniale Zeichner unseres heutigen Bildes hat uns eine Gruppe jener künstlich gezüchteten englischen Canarien in freilich farbloser Darstellung vor’s Auge geführt. Der werthvollste unter den Norwichvögeln ist der Clear yellow Norwich rein- und dunkelfarbig, in seinem tieforangegelben oder richtiger postrothen Kleide das schönste Bild aller mit Pfefferfütterung gezüchteten Canarien. Um ihn tadellos zu erlangen, bedarf es länger anhaltender Zucht bei außerordentlich aufmerksamer Pflege. Der Clead buff Norwich, ein rein- und hellgelber Norwichvogel, ist ebenso, jedoch ohne den tiefen, kräftigen Pfefferfarbenton, mehr goldig gefärbt. Dann folgt der Evenly marked buff ebenfalls ein Norwichvogel mit ungemein gleichmäßigen Abzeichen, und zwar je einem dunkelbraunen Augenfleck und Schwalbenzeichnung an den Flügeln, während die großen Schwungfedern reinweiß und nur zartgelb gesäumt sind. Ihm fast ganz gleich ist der Grey crested buff, nur fehlt ihm der Augenstreif und dafür hat er eine große, schöne, tief über’s Auge hängende dunkle Haube. Der Crested buff Norwich ist ebenso zierlich gehäubt, jedoch am ganzen Körper rein- und tieforangegelb. Diesen Norwichcanarien, welche in ihren schönen, durchaus regelmäßigen Zeichnungen das ergiebigste Material zur Züchtung der pfefferrothen Vögel bieten, stehen noch eine große Mannigfaltigkeit anderer verschiedenartiger Varietäten gegenüber. In der Yorkshire-Rasse wiederholen sich die erwähnten Farbenzeichnungen, nur sind die Vögel kleiner, schlanker, zierlicher und durchgängig von etwas hellerer Schattirung. Auch sie werden mit oder ohne Cayennepfeffer-Fütterung gezüchtet; im ersteren Falle zeigt sich das Vögelchen als Yorkshire clear yellow, Cayenne fed hellorangegelb, im letzteren Falle als Yorkshire clear buff, also reinhellgelb, und dies letztere hat mit der bekannten Brüsseler Rasse so große Aehnlichkeit, daß es auf der Berliner Ausstellung keineswegs als absonderlicher Vogel angesehen und deshalb nicht verkauft wurde, während nach allen übrigen reges Verlangen sich äußerte.
Als die schönsten unter Allen erschienen eigentlich die Lizards oder eidechsenartig gestreiften Canarien, wie schon erwähnt mit reingelber Kopfplatte und an Mantel, Brust und Bauch hübsch gestreift oder richtiger geschuppt. Sie werden in verschiedenen Schattirungen gezüchtet, als Golden spangeled Lizard, also Gold-Lizard oder eidechsenartig gestreifter Canarienvogel mit gelbem Ton, und Silver spangeled Lizard, also Silber-Lizard oder derselbe mit weißgelbem Grundton. Unter den zahlreichen übrigen Farbenvarietäten sind dann die zimmtbraunen Canarien, ebenfalls in mehreren Schattirungen, als Buff Cinnamon, also ein hellbräunlich-zimmtfarbener Vogel, als Jonque Cinnamon ein rein isabellbräunlichgelber Vogel, u. a. m. interessant. Das größte Aufsehen unter ihnen allen erregte aber der Manchester Coppy, ein Riesencanarienvogel von Manchester- oder Lancashire-Rasse. Er hatte reichlich die doppelte Größe eines Harzer Canarienvogels, war im ganzen Gefieder einförmig goldgelb, an den Flügel- und Schwanzspitzen reinweiß. Seine zierliche Haube erstreckte sich nicht weit, nur bis an die Augen hinab. Im Ganzen ähnelte er einem recht großen „Trompeter“, doch hatte er weder Jabot noch Epaulettes. Seine Züchtung ist aber eine ganz besondere Specialität, und deshalb steht er auch im entsprechenden Preise; während die übrigen zwischen 27 bis 32 Mark schwanken, sollte er mit 212 Mark bezahlt werden. Es würde zu weit führen, wollte ich hier auch noch andere in England in großer Mannigfaltigkeit gezüchtete Canarien schildern, welche sich lediglich durch die Gestalt von den unserigen unterscheiden. Schon der große Coppy ist kein eigentlicher Farbenvogel mehr, und noch viel weniger sind dies die Scotch fancy canaries und die Vögel von belgischer und holländischer Rasse, welche dort als wahrhafte
[565][566] Thiercarricaturen mit Buckel und zur Erde herabhängendem Kopf gezogen werden. Die Kunst, welche sie hervorruft, steht freilich, wenn ich so sagen darf, an Geschicklichkeit noch beträchtlich über der Farbenzüchtung, nimmer aber an Streben nach dem Schönen und Vollkommenen, welches doch, abgesehen von der Rücksicht auf den Nutzen das Hauptziel eines jeden Thier- und Pflanzenzüchters sein soll.
Ein tadellos pfefferfarbener Canarienvogel ist in der That eine allerliebste Erscheinung - und es liegt wohl ein ganz besonderer Reiz darin, diese künstliche Züchtung nachzuahmen. Daher brachte ich ein Männchen der reinen dunkel orangegelben Norwichrace mit mehreren Weibchen der schlicht gelben gemeinen deutschen zusammen. Zu meiner Verwunderung fraßen die letzteren bald eifriger von dem vorgesetzten Pfeffergemisch als das Männchen, ohne daß durch die doch so plötzlich bewirkte Futterveränderung ein übler Einfluß hervorgebracht wurde. Krankheitshalber mußte ich in jenem Sommer für längere Zeit mein Heim und desgleichen die Vögel verlassen, und unter fremder, wenn schon aufmerksamer Pflege war das Männchen doch eingegangen. Der weitere Verlauf des Versuchs ergab zur Genüge, wie schwer überhaupt Erfolge zu erzielen sind. Die alten Weibchen in meiner Vogelstube hatten in Folge der Pfefferfütterung zwar eine auffallend dunkler gelbe Färbung erlangt, zwei flügge gewordene Junge aber zeigten sich nur wenig gelb und nahmen auch bei reichlichem Pfeffergenuß während der Mauser keine kräftigere Färbung an. Die rationelle Zucht in England hüllt die jungen Vögel während des Federwechsels in Baumwolle oder Watte, sodaß das zarte hervorsprießende Gefieder unter Luft- und Lichtabschluß sich zur vollkommenen Ausbildung entwickelt. Zu derartigen mehr oder minder künstlichen Hülfsmitteln mochte ich aber nicht greifen, weil dieselben denn doch zu sehr an Thierquälerei streifen.