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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


und Vorspiegelungen des Bummelvolkes Glauben zu schenken und die Mahnungen ihrer älteren, erfahreneren Collegen: „Landgraf, werde hart!“ als einen Ausfluß allzu düsterer Weltanschauung zu belächeln, bis sie, hundertmal belogen und beschwindelt, ja, wie oben gesagt, thätlich angegriffen, nach und nach hartgesotten werden. Und dazu bietet sich ihnen gewöhnlich reichliche Gelegenheit; denn an jenen Tagen, an welchen sie amtiren, wird, als ob es sich die Landläufer nach allen Richtungen der Windrose hin telegraphirt hätten, sofort das Bureau stärker frequentirt, als an den übrigen, wo ein „Knauser“, ein „Filz“, ein „schlechter Patriot“ die Casse hütet.

Man könnte nach obiger Schilderung zu der Annahme versucht sein, als ob die Thätigkeit der Hülfsvereine auf dem Passantenbureau vorzugsweise eine negative, abweisende wäre, zumal wenn wir noch hinzufügen, daß außer den im schwarzen Buche Verzeichneten noch zahlreiche andere arbeits- und marschfähige „Reisende“ abgewiesen werden müssen, damit den wirklich Hülfsbedürftigen geholfen werden könne. Allein man wird eines Bessern belehrt werden, wenn man bedenkt, daß laut dem dreizehnten Centralberichte der deutschen Hülfsvereine in der Schweiz für 1876 in diesem Jahre 2986 Personen mit etwa 23,000 Mark unterstützt wurden, von welcher Summe wohl der dritte Theil auf durchreisende Landsleute verwendet wurde. Man sieht also, daß eine beträchtliche Anzahl von Reisenden nicht vergebens bei den Hülfsvereinen anklopft, eine Zahl, die mit jedem Jahre wächst. Denn es ist unleugbar, daß der moralische und mit ihm natürlich zugleich der finanzielle Zustand der sogenannten reisenden Arbeiterclasse sich von Jahr zu Jahr verschlimmert, daß Arbeitsscheu, Bummelei, Genußsucht weiter und weiter um sich greifen und daß alljährlich mehr und mehr Personen der Wohlthätigkeit anheimfallen.

Allzu reichliche Freiheiten in Gesetzgebung und Polizeiwesen, übereifrige Humanität in öffentlichen und privaten Verhältnissen, die besten Absichten von Staaten, Gemeinden und Privaten haben im Schooße der Arbeiterclasse schlimme Früchte gezeitigt, unter welchen Staat und Gemeinde und Wohlthätigkeitsanstalten schwer leiden, am schwersten aber die arbeitende Classe selbst. Durch die an sich sehr lobenswerte Vereinfachung des Paßwesens ist manche nützliche Einrichtung und sind namentlich die so praktischen Wander- und Arbeitsbücher fast ganz in Abgang gekommen; eine einfache Paßkarte, ein Militärdienstbüchlein, selbst ein auf bestimmte kurze Frist ausgestellter provisorischer Ausweis genügt, um Jahre lang im In- und Auslande zu reisen und – herumzulungern. Und diese provisorischen Pässe werden von manchen Consuln in ihrer Gefälligkeit und Milde auf die nichtigsten Aussagen über den wirklichen oder angeblichen Verlust der alten Papiere ausgestellt. Sagte mir doch ein Stromer, der mir einen provisorischen Paß vorzeigte, auf meine Frage, was aus dem Wanderbuche geworden sei, ganz dreist, eine Lawine habe ihm dasselbe, als er aus dem Urnerloche hervorgetreten sei, aus den Händen gerissen und ihn selbst ohne Schaden gelassen! Ein Handwerksreisender mit einem geregelten Wanderbuche und mit Zeugnissen von Meistern, bei denen er gearbeitet, ist bei uns eine seltene Erscheinung, wird aber gerade deshalb, wenn ihm die Existenzmittel ausgegangen sind, bereitwillige Unterstützung finden. Leider wird der wachsende Hang zur Stromerei gefördert durch wohlgemeinte, aber oft übel angebrachte Gemeindespenden, wie sie mancherorts in Deutschland und der Schweiz noch üblich sind. So werden einzelne Gegenden der Ostschweiz, die Ufer des Zürchersees, die March im Canton Schwyz zu einem vielbesuchten Eldorado für Bummler, und selbst die Unterstützungen der deutschen Consulate und Hülfsvereine kommen dem Vagantenthume zu Hülfe und ermöglichen z. B. die beliebte Rundreise aus Deutschland über Tirol, Venedig, Mailand, Turin und Genf zurück auf deutschen Boden.

Was soll man aber dazu sagen, daß krüppelhafte, arbeitsunfähige Personen von einzelnen Gemeindebehörden Deutschlands mit förmlichen Bettelbriefen ausgestattet und in die Fremde geschickt werden, um das deutsche Proletariat im Auslande noch zu vermehren? Rückweisung an der Grenze und Heimbeförderung auf Kosten der betreffenden Gemeindevorstände wäre wohl die wirksamste Cur für Behörden, welche ihre Unterstützungsbedürftigen durch Abschiebung auf die wohlfeilste Art loszuwerden suchen.

Ein ergiebiges Feld für ihre Thätigkeit finden die Hülfsvereine in der oft entsetzlichen Armuth und dem bleichen Elende deutscher Arbeiterfamilien in der Schweiz. Erkrankt Vater oder Mutter, oder wird die Arbeitskraft der Eltern durch Krankheiten der Kinder in Anspruch genommen und dem Erwerbe entzogen, so sind die seltenen und geringen Ersparnisse bald aufgezehrt, die nöthigsten Hausgeräthe verpfändet oder verkauft, und es bleibt neben der vielbewährten Wohlthätigkeit schweizerischer Anstalten und Privaten als einziger Rettungsanker der Hülfsverein der Landsleute, der freilich nach Kräften die Noth zu lindern sucht, aber nicht immer so ausgiebig und nachdrücklich helfen kann, wie er selbst es wünscht. Und doch verwendeten die deutschen Hülfsvereine in der Schweiz im Jahre 1876 auf Krankenpflege, auf Linderung von Familiennoth und auf Verpflegung von Wittwen und Waisen gegen 15,000 Mark. Am bedauernswerthesten ist das Loos solcher Wittwen deutscher Männer, welche geborene Schweizerinnen sind und es natürlich nicht über sich gewinnen können, ihr Vaterland zu verlassen, um der Heimath des Mannes, wo ihnen Sprache, Volk, Sitten und Gebräuche, kurz Alles fremd ist, zur Last zu fallen. Welches Loos würde die Arme zumal in einer Dorfgemeinde erwarten! Zwar steuern einzelne Gemeinden und Kreisverbände in dankenswerther Weise zum Unterhalte solcher Wittwen und ihrer Waisen bei, aber es könnte hierin ungleich mehr geschehen, nicht zur Erleichterung der Hülfsvereine, sondern zur Verbesserung des Looses der unglücklichen Verwaisten. Die jüngste Erfahrungen lassen uns hoffen, daß die deutschen Gemeinden, welche verarmte Angehörige in der Fremde haben, ihr Herz dem Elende derselben mehr und mehr öffnen werden. Solche Gaben aus der Heimath ermuthigen Alle, die am patriotischen Liebeswerke der Hülfsvereine mitwirken, und kräftigen bei Glücklichen und Unglücklichen die Liebe zum theuren Vaterlande, das seiner Kinder auch in der Ferne nicht vergißt.

F. E.



Die Sonne als geographischer Kupferstecher.

„Es ist eine der erstaunenswürdigsten Entdeckungen unserer Zeit. Mit dem Effect auf Chlor-Silber hat es nichts gemein; hier bringt Licht Licht hervor, ein Bleichproceß, wie ein Gitter nach Monaten sich auf einer rosenroth unecht gefärbten Gardine abbildet. Man sieht bei Daguerre nur sechszig bis siebenzig Bilder in Rahmen unter Glas, meist auf Metall, einige weniger gute auf Papier und auf Glasplatten gebildet, alle dem feinsten Stahlstich ähnlich, von bräunlich grauem Biesterton, die Luft immer etwas traurig und verwischt. Die schärfsten Abstufungen der Hellschatten, die Verschiedenheit des Seine-Wassers unter den Brücken, oder in der Mitte des Flusses, die Oberfläche des feuchten Gesteins, des Gemäuers, hat eine Wahrheit, die kein Kupferstich erreicht. Der generelle Ton zart, fein, aber als braungrau etwas traurig. – Arago hat jetzt das Geheimniß von Daguerre erhalten und hat in zehn Minuten ein vollendetes Bild unter seinen Augen entstehen sehen. Das Bild zeigte einen fernen Blitzableiter, denn Arago mit bloßen Augen nicht gesehen hatte. Welch ein Vortheil für Architekten, den ganzen Säulengang von Baalbek oder den Krimskrams einer gothischen Kirche in zehn Minuten in Perspective auf dem Bilde mitzunehmen!“

Dies schrieb Alexander von Humboldt am 25. Februar 1839 an Carus in Dresden, als er in Paris Daguerre’s Erfindung kennen gelernt hatte. Seitdem sind noch nicht vier Jahrzehnte vorüber gegangen, und die Photographie hat die Daguerreotypie längst überholt und wird in mannigfachen Processen ausgeübt. Man kennt unter andern die Photolithographie, die Photozinkographie, den photographischen Silberproceß, den Pigmentproceß, die eingebrannte Photographie aus Glas und Porcellan; endlich nennen wir noch die Heliographie. Alle diese Processe und Verfahrungsarten werden insgesammt im Dienste der mannigfachsten Künste und Wissenschaften angewandt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_834.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2019)