Seite:Die Gartenlaube (1879) 555.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


„Gustav, Du sollst sechs Jahre dienen in der Residenz, unter den liederlichen Menschen, von denen Frau Steuerrath Martin soviel zu erzählen weiß. Du sollst mich dort vergessen, Gustav. Was willst Du dagegen thun?“

„Ich – dagegen thun, Margret? Ich kann doch dem Vater nicht widersprechen! Ich habe doch nicht dreihundert Thaler zu eigen, um mich loszukaufen!“

„So lebe wohl!“ sagte sie energisch und ging.

„Margret, Margret – könntest Du wirklich so von mir gehen?“

„Wenn es einmal sein muß, dann lieber heute als morgen,“ gab sie mit blitzendem Auge zurück.

„Aber Margret, ich denke ja gar nicht daran, Dich zu vergessen. Margret, mein liebes, theures Herz!“

Er war ihr nachgeeilt und hatte sie wieder umfaßt. Sie schluchzte heftig.

„Hältst Du mich für so schwach, so leichtsinnig, daß ich inmitten wilder Cameraden in der Residenz Dich vergessen könnte?“

„Ich weiß, daß Du brav bist, Gustav. Aber schon Mancher ist dort verdorben. Ich würde an Deiner Stelle entschieden nicht Soldat werden. Du hast doch mütterliches Vermögen. Zum Loskaufen muß Dir das der Vater herausgeben. Das haben wir unten in der Stadt oft erlebt.“

„Aber ich werde erst im October volljährig. Vorher kann ich’s nicht verlangen, und noch vor dem October muß ich zahlen oder Soldat werden.“

„Gustav, der Vater muß es hergeben. Ich weiß es. Es war bei Müller’s Anton gerade so. Der sollte auch aus dem Hause unter’s Militär, weil der Alte wieder heirathen wollte. Und der Alte mußte doch zahlen. Ich werde morgen den Amtsrichter Kern fragen und Dir schreiben. Einstweilen halte Dich tapfer – Adieu!“

„Adieu, Schatz!“ –

Margret hatte im Drange der Tagesarbeit nur dann und wann an die peinliche Eröffnung denken können, die ihr Gustav gemacht hatte. Nun aber, da sie allein auf ihrem Lager ruhte, in der dunklen, stillen Nacht, kamen alle Sorgen, die auf dem Heimweg sie gequält, wieder über sie, und die Phantasie spann sie aus, größer und schwerer, als sie je gewesen.

Es war klar, daß der alte Stephan jetzt den Schlag geführt zu haben meinte, welcher das Verhältniß seines Sohnes zu Margret ganz lösen sollte. Hohn und Spott, den er dem Sohne wegen seiner Liebe zu einer Magd nicht selten vor Zeugen hatte angedeihen lassen, hatten sich als nutzlos erwiesen. Die Entfernung Margret’s aus dem Heimathdorfe, ihre Verdingung in der Stadt, hatte gleichfalls der alte Stephan bewirkt, wie sie seither mit Bestimmtheit erfahren. Niemand wollte sie mehr im Dorfe in Dienst nehmen, Niemand sie beherbergen, und so hatte sie unter fremde Leute gehen müssen.

Allerlei Gerüchte waren dann eine Zeitlang über Margret ausgestreut worden, im Dorfe wie in der Stadt. Man hatte mit halben Worten mehr gesprochen als genug ist, um den guten Ruf eines Mädchens zu vernichten. Frau Wolf aber war energisch für die Ehre ihres Dienstboten eingetreten, und als die Gerüchte am tollsten schwirrten, war eines Sonntag Morgens nach dem Gottesdienst Margret plötzlich vor dem alten Stephan, als er aus der Kirche trat, erschienen und hatte ihm mit blitzendem Auge vor der versammelten Gemeinde gesagt. „Du sollst nicht falsch’ Zeugniß geben wider Deinen Nächsten!“ Er hatte kein Wort zu erwidern gewußt – und seither waren die Gerüchte verstummt.

Bei allen diesen Versuchen, den Herzensbund des jungen Paares zu brechen, hatte sich Gustav, wie Margret freudig anerkannte, tapfer und treu gehalten; aber sie an seiner Stelle würde, wie sie meinte, doch noch anders gehandelt haben; sie hätte, auf eine einzige der väterlichen Spottreden hin, unbedingt das Vaterhaus verlassen und hätte irgendwo in der weiten Welt ihr Brod gesucht. Ihr Sinn und Muth war in harter Lebenserfahrung gestählt worden. Ihr einziges Glück war ihre Liebe, und sie hielt zäh und stolz daran, wie der Krieger an seiner Fahne. Sie war entschlossen, dieselbe gegen Jeden zu vertheidigen, der sie ihr zu entreißen versuchte, bis zu ihrem letzten Athemzuge; sie hatte die feste Absicht, auch die neueste, gefährlichste Intrigue des alten Stephan zu durchkreuzen. Denn hinter den sechs Jahren Garnisonsdienst ahnte Margret nicht nur die Gefahr der Verlockung und der Verwilderung für Gustav, sondern auch diejenige einer langjährigen Einsamkeit für sein und ihr Herz. Der alte Stephan wollte offenbar Zeit gewinnen, um das Töchterchen des reichen Stoppelbauern aus dem nächsten Dorfe heranwachsen zu lassen. Die beiden Alten hatte sich öffentlich verschworen, daß ihre Kinder ein Paar werden sollten. Das war der Hauptplan, der hinter der Soldatenspielerei steckte. Und wer konnte sagen, ob der Alte seinen Willen nicht durchsetzte, wenn Gustav einmal in der Residenz war?

Aber wie sollte sie, die arme Margret, den Plan durchkreuzen? Wer wollte den Alten zwingen, das Geld zum Freikauf des Sohnes aus dem Muttererbe herzugeben, wer klagen? Und wenn selbst geklagt wurde – bis zum October war der Proceß keinesfalls zu Ende. Aber bis dahin mußte die Summe beschafft werden oder Gustav mußte dienen.

Das waren die Sorgen, welche den Schlaf von Margret’s Lager scheuchten.

King’s Schritte waren längst verhallt, und eine halbe Stunde mindestens mußte seitdem verflossen sein. Da schien auch ihrer endlich der Schlaf sich erbarmen zu wollen. Länger und ruhiger ging ihr Athem. Ihr Auge war geschlossen und das Bewußtsein der Wirklichkeit begann sie zu verlassen.

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.

Nr. 42. Im Schwarzwald.

Skizze von Dr. G. von Seydlitz.

II. (Schluß.)


Nach den allgemeinen Bemerkungen über Land und Leute im vorigen Artikel sei es uns gestattet, den Leser zu einigen Punkten des Schwarzwaldes zu führen, welche in ganz besonderem Maße dessen eigenthümliche Schönheiten zeigen. Wir folgen in der Auswahl dem trefflichen Künstler, aus dessen reicher Skizzenmappe das in voriger Nummer gebrachte Gruppenbild stammt, und beginnen mit einem Glanzpunkte des nördlichen württembergischen Schwarzwaldes, der großartigen und malerischen Ruine Zavelstein über dem kleinsten Städtchen Württembergs gleichen Namens.

Wer von Stuttgart oder Pforzheim aus mit der Bahn das an Naturschönheiten so reiche Nagoldthal aufsucht, welches unter Anderem die von Uhland besungenen, sehr malerischen Ruinen des Klosters Hirsau birgt, der erreicht bald hinter Calw die Station Teinach am Einfluß der Teinach in die Nagold, und von da in 25 Minuten mit dem Omnibus Bad Teinach, das „königliche Bad“ genannt, obwohl es längst dem bekannten Stuttgarter Verleger C. Hoffmann gehört. Das Bad liegt am Zusammenstoß zweier anmuthiger Bachthäler, und zwar geradezu überraschend schön und so anheimelnd, daß es stets zum Bleiben verlockt, um so mehr, als die Unterkunft in den ausgedehnten Räumen des Badehôtels eine recht behagliche ist. Die Gegend bietet eine Menge reizender Spaziergänge, deren dankbarster eben nach der 237 Meter höher liegenden Ruine Zavelstein führt. Burgfeste Zavelstein, 1692 durch Melac in Trümmer gelegt, war 1367 die Zuflucht des Grafen Eberhard des Greiners, als die Schlegelbrüder den von Uhland besungenen Ueberfall auf ihn im „Wildbad“ machten. Da das in alten Urkunden Taginach genannte Bad damals den Namen „Wildbad“ führte, so verlegen Manche den Ueberfall überhaupt hierher, statt nach dem viele Stunden über Berg und Thal entfernten eigentlichen Wildbad. Teinach war außerdem damals und später ein sehr hoch angesehenes Bad, und erst der Dreißigjährige Krieg stürzte es von seiner Höhe. Später hob es sich durch seinen natürlichen Werth und hat besonders in diesem Jahrhundert einen Aufschwung genommen, wie er im Hinblick

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_555.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)