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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


daß es über den Arbeitszwang, über die Zulässigkeit der Einzelhaft, über das Institut der vorläufigen Entlassung und über die Trennung jugendlicher Gefangener von den erwachsenen einige allgemeine Verfügungen erließ. Die Lücken sind in den Particular-Gesetzgebungen nur spärlich ausgefüllt.

Vor Allem entbehren wir in Deutschland gesetzlicher Bestimmungen über die Haftform, sodaß eine bunte Musterkarte der verschiedensten Strafvollzugsarten, von der Zellenhaft an bis herab zu den dürftigsten Einrichtungen in manchen Polizei- und Untersuchungsgefängnis, vorhanden ist. Es fehlt an gesetzlichen Bestimmungen über eine durchgreifende Beaufsichtigung der Gefängnisse, über das Beschwerderecht der Gefangenen, darüber, ob für sie mündlicher und brieflicher Verkehr mit Verwandten und Freunden, ob Selbstverpflegung und Tragen eigener Kleider, ob Bewegung in freier Luft zulässig ist, ob den Sträflingen eine Aussicht auf Lohnvergütung für ihre Arbeiten zusteht, ob Gottesdienst und Schulunterricht stattzufinden hat etc.

Es ist hier nicht der Ort, auf alle diese Einzelheiten einzugehen. Verfasser wird sich im Nachfolgenden darauf beschränken, den Leser auf dem Wege einer kurzen Geschichte der Strafhaft zu derjenigen allgemeinen Form des Haftwesens hinzuführen, welche nach Erwägung aller Umstände als die relativ vollkommenste erscheinen muß.

Die Verbüßung von Freiheitsstrafen in dazu eingerichteten Strafanstalten, wie bei uns, kannte man in alter Zeit nicht. Als Strafe ist die Freiheitsentziehung wahrscheinlich zuerst von der Kirche und zwar zunächst in den Klöstern zur Anwendung gebracht worden; Papst Bonifacius der Achte (gest. 1303) fand es nöthig, die Gefängnißstrafe ausdrücklich für zulässig zu erklären. Von dort ging sie in das weltliche Recht über; man trifft jedoch keine eigens eingerichteten Strafanstalten vor der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts. Das erste Zuchthaus wurde 1552 in London, ein anderes in Amsterdam 1595 erbaut. Mit Einrichtung ähnlicher Anstalten ging es aber langsam; je mehr sie zunahmen, um so mehr gestalteten sie sich bei dem ungeordneten Zusammenleben der Verbrecher als Stätten sittlicher Verwilderung, als Gesellschaftslocale des Auswurfs der Menschheit, als Tummelplatz der Gauner und Diebe. Erst mit Howard in England beginnt eine neue Epoche in der Geschichte des Gefängnißwesens; er entschied sich zuletzt für die Isolirung eines jeden einzelnen Gefangenen – die Einzelhaft oder Zellenhaft. Die Hauptreformbewegung aber ging von Nordamerika aus. Schon 1786 bildete sich in Philadelphia ein Verein unter dem Namen: „Philadelphische Gesellschaft zur Milderung des Elends in den öffentlichen Gefängnissen“, und seine Wirksamkeit war eine sehr bedeutende und einflußreiche. Für das neue Zuchthaussystem, welches die Gefängnisse nicht als Straf-, sondern als Bußanstalten betrachtete, wurde maßgebend, daß Pennsylvanien vorzugsweise von Quäkern bewohnt wird, in deren religiöser Anschauung das Dogma von der Selbstbeschauung, von dem Insichgehen in der Einsamkeit eine Hauptrolle spielt. Da sie nicht viel Werth auf das kirchliche Lehramt legen, vielmehr annehmen, daß der Geist Gottes unmittelbar auf den einzelnen Menschen sich niederlassen müsse, empfehlen sie nur Lesen in der Bibel, Einsamkeit und hermetische Abgeschlossenheit, halten dagegen Arbeit für zerstreuend. Die Philadelphische Gesellschaft setzte bei der Legislatur des Staates Pennsylvanien im Jahre 1818 ein Gesetz für die Errichtung von zwei großen Staatsgefängnissen durch. Ohne Auswahl und ohne Rücksicht auf Charakter, Temperament, Geistesbildung wurden die Sträflinge in Zellen gesperrt und bekamen höchstens den Wärter zu sehen, der ihnen die tägliche Nahrung brachte. Arbeit erhielten sie fast gar nicht.

Die Ergebnisse waren höchst abschreckender Art und führten schon nach zehn Jahren zu einer gemilderten Zellenhaft. Es entwickelte sich hieraus das Auburnsche System, so genannt nach der Stadt Auburn im Staate New-York, wo das erste Zuchthaus nach dieser neuen Methode gebaut wurde. Sie schrieb Folgendes vor: die Sträflinge sollen nicht nur nach dem Geschlecht, sondern auch nach ihrer Arbeitsfähigkeit classificirt werden; sie sollen Nachts vereinzelt in den Zellen schlafen, bei Tage aber truppweise zu gemeinsamer Arbeit geführt und unter strenger Aufsicht gehalten werden; endlich ist ihnen bei Züchtigung untersagt, während der gemeinsamen Arbeit mit einander zu sprechen oder sich durch Winke, Geberden oder auf andere Weise mit einander zu verständigen. Zwischen den Anhängern beider Systeme wurde in Amerika der heftigste Kampf geführt. Sie sind beide in Europa, namentlich auch in Deutschland, angewandt worden.

In Deutschland nahm zuerst die badische Regierung diese Gefängnißreform in die Hand und führte im Jahre 1845 die Einzelhaft in Bruchsal ein. Erst im Herbst 1856 folgte Preußen unter König Friedrich Wilhelm dem Vierten, welcher nach den Vorschlägen von Dr. Julius, Dr. Wichern und Anderen die Einzelhaft in der für dieses System erbauten Strafanstalt Moabit anwandte. Das in Bruchsal und in Berlin eingeführte, mir aus wiederholten Besuchen wohl bekannte System, welches weiterhin auch in vielen anderen Strafanstalten, zu Plötzensee in Berlin, in den Zellengefängnissen zu Vechta, Hamburg, Bremen, Nürnberg, Heilbronn etc. Anwendung gefunden, stellte sich zur Aufgabe, die Gefangenen einerseits von jedem Umgange mit ihren Genossen auszuschließen, um sie vor sittlicher Verschlechterung zu bewahren, andererseits dagegen durch zweckmäßige gewerbliche Beschäftigung, durch Gottesdienst, geistig anregenden Schulunterricht, Lectüre und häufige Besuche von auf ihr Wohl bedachten Personen, nämlich den Beamten, Geistlichen und Lehrern der Anstalt, Alles zu bieten, was zur Erhaltung und Förderung der geistigen und körperlichen Gesundheit nöthig erscheint.

So lag die Sache bei der Einführung des neuen Strafgesetzbuches. Um den Standpunkt zu verstehen, welchen dasselbe in Bezug auf die Frage einnimmt, muß zuvörderst gesagt werden, daß, abgesehen von den höchsten todeswürdigen Verbrechen, dem Mord im Allgemeinen und dem Mordversuch am Kaiser und an den Landesherren, bei welchen die Todesstrafe noch beibehalten worden ist, die jetzige Gesetzgebung des deutschen Reiches dahin abzielt, den Verbrecher durch die Art und Weise der Vollstreckung der Strafe der Gesellschaft gebessert zurückzugeben. Drei Hauptmomente sind es besonders, welche das Gesetz, um jenen hohen Zweck zu erreichen, zu Hülfe genommen hat. Das erste ist die Arbeit, und zwar nicht nur die Pflicht zur Arbeit, sondern auch das Recht des zur Gefängnißstrafe Verurtheilten, beschäftigt zu werden; das andere ist das Beurlaubungssystem, darauf berechnet, den Verbrecher bei sicheren Zeichen der Besserung der Gesellschaft auf Widerruf zurückzugeben, damit er dort die Besserung vollende; das dritte ist die Einzelhaft.

Das deutsche Strafgesetzbuch betrachtet die Vollstreckung in Einzelhaft nicht als eine Verschärfung der Strafe und bestimmt (§ 22), daß die Zuchthaus- und Gefängnißstrafe sowohl für die ganze Dauer wie für einen Theil der erkannten Strafzeit in der Weise in Einzelhaft vollzogen werden können, daß der Gefangene unausgesetzt von anderen Gefangenen gesondert gehalten, wird. Die Einzelhaft darf ohne Zustimmung des Gefangenen die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen. Die Entscheidung, ob und wie lange im Einzelfalle eine Zuchthaus- oder Gefängnißstrafe in Einzelhaft zu vollziehen sei, steht der die Strafanstalt leitenden Behörde zu; im verurtheilenden Erkenntnisse ist darüber nichts zu bestimmen, der Verurtheilte, hat aber nie das Recht die Vollziehung der Strafe in Einzelhaft zu fordern.

Man hat mit Unrecht darüber gestritten, ob die Isolirzelle eine Schärfung oder Milderung der Strafe in sich schließt – ich sage: mit Unrecht, weil die Wahrheit in der Mitte liegt. Für den sogenannten geborenen Zuchthäusler, an dem Alles verloren, der nur in Verübung von Verbrechen und in Gemeinschaft mit Verbrechern sich wohl fühlt, ist die Isolirzelle unzweifelhaft eine Schärfung und steht in Beziehung auf die Besserung höchstens der körperlichen Züchtigung gleich. Bei Verbrechern dagegen, in denen noch ein Funken von Ehrgefühl glimmt, welche die Grundsätze der Moral übertreten, aber nicht vollständig mit ihnen gebrochen haben, ist, wie es die Erfahrung unumstößlich lehrt, die Isolirzelle nicht nur eine wesentliche Milderung, sondern auch das hervorragendste Mittel zur Besserung. Aber auch die Anwendung der Einzelhaft darf über eine gewisse Zeitgrenze nicht ausgedehnt werden, wenn man nicht die unleugbar guten und heilsamen Wirkungen dieser Strafart auf den Besserungsproceß wieder in Frage stellen und außerdem noch große Gefahren für die geistige und leibliche Gesundheit der Gefangenen heraufbeschwören will.

Zweifellos darf die Zahl der Jahre im Interesse des Isolirten bei langen Freiheitsstrafen nur einen verhältnißmäßig nicht sehr großen Theil der ganzen Strafzeit umfassen. Die strenge langjährige Einzelhaft verschließt durch Fernhaltung aller

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_126.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)