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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

hatten bei den Mahlzeiten die Sitte, sich nach der linken Seite hin anzulehnen, sodaß die rechte Hand für die Speisen frei war, und es mag bei den Mahlzeiten, welche als eine geweihte Handlung betrachtet wurden, als würdiger angesehen worden zu sein, mit der rechten Hand zu essen. Bei den Waschungen hatte die rechte Hand das Gefäß zu ergreifen und reichte es der Linken, sodaß diese die Rechte zuerst begieße. Es soll nämlich die Rechte, welche die Liebe bezeichnet, sich erkräftigen über die Linke, welche die Gerechtigkeit symbolisirt.“

Bei denjenigen Culturvölkern der alten Welt, welche unseren Sitten und Anschauungen am nächsten gestanden haben, bei den Griechen und Römern, finden wir zwar auch nirgends ausdrücklich hervorgehoben, daß man sich beim Essen der Rechten bediene, indeß ist aus allen uns erhaltenen Bildern und vorzugsweise plastischen Darstellungen ersichtlich, daß dies der Fall war. Seite 527 im „Leben der Griechen und Römer“ sagt Koner: „Jeder der lecti (Speise-Sophas) bot Raum für drei Personen, welche, den linken Arm auf Kissen stützend, ruhten, während sie mit der freien rechten Hand die Speisen zum Munde führen konnten.“ Etwas früher, Seite 525, sagt Koner, daß die Römer diese Sitte von den Griechen angenommen hätten.

Wenn wir gesehen haben, daß es bei den Israeliten Sitte war, sich beim Essen der rechten Hand zu bedienen, so finden wir, daß Mohammed es allen Angehörigen seiner Religion einschärfte, sich bei dieser Handlung nur der Rechten zu bedienen. Sowohl bei den Türken wie bei den verschiedenen Völkern Nord-Afrikas und den Persern, auch bei mohammedanischen Bewohnern Hindustans gilt es nicht nur für höchst unschicklich, mit der Linken zu essen, sondern geradezu für Sünde. Ja, es wird schon als ein Verstoß gegen die gute Sitte, als ein Zeichen mangelhafter Erziehung betrachtet, einen Brocken trockenen Brodes mit der Linken zum Munde zu führen.

Bei anderen Culturvölkern, bei den Chinesen und Japanesen, finden wir ähnliche Anschauungen. Nach Braun Brown, Gesandtschaftsattaché der kaiserlichen chinesischen Gesandtschaft in Berlin, existiren im „Reiche der Mitte“ zwar keine religiöse oder anderweitige Vorschriften im Gebrauch der rechten Hand und der Führung der Stäbchen[1] beim Essen, indeß ist es gebräuchlich sich der Rechten zu bedienen. Aehnlich bestehen in Japan zwar keinerlei Vorschriften über diesen Punkt, allein es ist der gewohnheitsmäßige Gebrauch maßgebend: mit der rechten Hand zu essen.

Ganz hat man auch bei uns in Europa die Rechte noch nicht zurückdrängen können; denn Niemandem wird es einfallen, mit der Linken Suppe zu essen, und kein gut erzogener Mensch wird mit der linken Hand (das Messer in der rechten haltend) Fisch essen, weil es nun einmal die Sitte so will, daß, mit Ausnahme von Häringen und geräucherten Fischen, die gekochten und gebackenen Fische nur mit der Gabel (in der rechten Hand) berührt, genommen und zum Munde geführt werden. Aber Gemüse und Zuthat, Braten, Salat und Früchte, wenn zusammen herumgereicht, ißt man jetzt in England, Deutschland, Frankreich, Rußland etc., mit der Linken, indem man in der Rechten das Messer hält.

Diese Art zu essen ist noch nicht alt und wahrscheinlich aus Amerika, das heißt den Vereinigten Staaten importirt worden; sie verbreitete sich zuerst unter den weniger der feinen Cultur huldigenden Völkern, und herrscht jetzt souverain in allen civilisirten Ländern der Welt.

Es sind übrigens kaum zehn Jahre her, daß man beim reisenden Publicum an den Speisetischen den Engländer sofort vom Nordamerikaner unterscheiden konnte: Ersterer aß nur mit der rechten Hand, während der Yankee mit beiden Händen die Gerichte bearbeitete und sich besonders dadurch auszeichnete, daß er alle Bissen mit dem Messer in den Mund schob.

Vor etwa fünf Jahren fragten nach Deutschland kommende Franzosen verwundert, wie es käme, daß Jedermann in Deutschland mit der Linken äße. Jetzt ißt man in Frankreichs besten Kreisen mit der Linken, wenigstens das Fleisch, indem man wie bei uns und in Amerika mit der Rechten das Messer hält. Aber nie ißt ein Franzose mit dem Messer; selbst ein Mann aus den weniger feinen Kreisen fühlt, ich möchte sagen, instinctartig, wie widerlich das Essen mit dem Messer ist.

Wer beobachtet hat, wie schnell die Amerikaner essen, mit welcher Gier und Hast sie ihre Mahlzeiten bewältigen, findet die Behauptung, daß die Sitte des Essens mit der Linken wahrscheinlich aus den Vereinigten Staaten zu uns gekommen, natürlich und erklärlich. So wie der Californier mit dem Messer in der Rechten sein Stück Fleisch abgeschnitten hat, führt er es auch schon mit der Linken zum Munde; das geht Schlag auf Schlag, oder vielmehr Schnitt auf Schnitt. Und so kann man ihn nicht nur in Californien, sondern auch im äußersten Osten der Union essen sehen.

Da versammelt man sich in einer Restauration, und ohne einen gedeckten Tisch wird mit Eilzuggeschwindigkeit das Essen verschlungen. Da man in Amerika, wo man mehr als anderswo das: „Zeit ist Geld“ zu schätzen weiß, diese Art zu essen sehr praktisch fand, wurde sie allgemein üblich, und daß sie zuerst nach Deutschland importirt wurde, erklärt sich nicht nur aus den intimen Beziehungen Deutschlands zur Union, sondern zum Theil auch daraus, daß man in Deutschland weniger als in den anderen beiden großen Culturländern Europas, in England und Frankreich, auf äußeren Schliff Werth legt.

Wohin hat aber innerhalb des letzten Menschenalters diese aus der Union importirte Sitte geführt? Wir finden jetzt, daß man es in allen Kreisen als vornehm betrachtet, mit beiden Händen das Essen zu bearbeiten, das heißt: links die Gabel, rechts das Messer zu halten. Da aber ohne weiteres sich die Rechte ihr Recht nicht nehmen läßt, namentlich nicht bei dem Arbeiter und dem vom Arbeiter abstammenden Menschen, so hat sich überall die Unsitte eingebürgert, mit dem Messer zu essen. Ob das schöner und graziöser aussieht, als wenn wir, wie in früherer Zeit, erst das Fleisch zerschneiden, dann das Messer bei Seite legen und endlich mit der rechten Hand essen, darüber besteht wohl kein Zweifel.

Gerhard Rohlfs.


Immerwährende Eisbahnen. Der wunderliche Sport des Skatelaufens hat, wie die „Gartenlaube“ früher (Jahrg. 1876, S. 610) berichtet, zu den größten Anstrengungen geführt, wirkliche Eisbahnen im Sommer herzustellen. Dieselben sind auch, wie dort näher beschrieben wurde, geglückt, aber sie erwiesen sich, wegen der erforderlichen beständigen Thätigkeit der Kälte erzeugenden Maschinen, als so kostspielig, daß man sie wieder aufgegeben hat. Ein gutes Surrogat ist dagegen von einem Fr. Calantarients in Scarborough erfunden worden, welches aus einer künstlichen Salzmasse besteht, die sich im Ansehen und auch sonst in den meisten Beziehungen wie eine Schicht natürlichen Eises verhält, auf der man mit wirklichen Schlittschuhen fahren kann, statt mit bloßen Rollschuhen. Es ist im Wesentlichen ein sechszig Procent Krystallwasser enthaltendes Gemisch aus gewöhnlicher Soda und Glaubersalz (kohlensaurem und schwefelsaurem Natron), welches auf der Bahn zum Erstarren gebracht wird und dann täuschend natürlichem Eise gleicht, namentlich nachdem einige Schlittschuhe die ersten Schrammen darin gezogen haben. Ist die Fläche durch starken Gebrauch völlig zerschrammt, so wird sie mittelst eines kleinen, eigens dazu construirten Dampfapparates, dessen Strahl das Kunsteis schmilzt, ohne viel Mühe wieder in eine spiegelglänzende Fläche verwandelt. Dieselbe Mischung kann auf diese Weise lange benutzt werden, zumal sie sich, wenn mit der Zeit schmutzig geworden, leicht durch Umkrystallisiren reinigen läßt. Ueberdem ist sie wenig kostspielig.


Die Zeit der Papierdrachen (s. Abbildung S. 621) ist wieder da; sie ist, wie alljährlich, mit den sich abwärts neigenden Sommertagen gekommen, und das Auge des müßigen Spaziergängers, wenn es sich wolkenwärts richtet, sieht manches langgeschwänzte Geschöpf von Buchbinders Gnaden mit den „Seglern der Lüfte“ um die Wette segeln. Da mögen denn Scenen, wie unser heutiges munteres Bild sie zeigt, nicht gerade zu den Seltenheiten gehören. So ein Drache ist ein wetterwendisch Ding, unbeständig und unbegreiflich in seinen Launen, wie das Element selbst, in dem er sich bewegt, unberechenbar, wie Wind und Wetter. Ein Windstoß fährt ihm in den papiernen Leib, und gleich verliert er Cours und Contenance und saust aus den himmlischen Bahnen erdenwärts – was weiß er: wohin? – durch Wolken und über’s Wasser, durch Baum und Busch in’s grüne Gras, oft genug den Pferden just vor die Füße: die schrecken zusammen und scheuen auf und bäumen empor, dem edlen Rosselenker aber fährt’s durch Mark und Bein ob des plötzlichen Rucks, der das ganze Gefährt erschüttert. „Na nu!“ ruft seine bessere Hälfte, die, hinten auf dem Wagen bequem in’s Stroh gekauert, eben von dem klingenden Mammon träumt, den sie auf dem Wochenmarkte der nahen Stadt für ihre ländliche Waare zu lösen hofft. Nun blickt sie sich verdutzt und mürrisch um und verschüttet dabei in Hast und Schrecken ein gut Theil der rothbäckigen Aepfel, welche sie im Korbe mit sich führt – ein Schade, den man bei der heurigen kargen Obsternte unmöglich mit kaltem Blute erdulden darf. „Jochen, holl an un sammel mi de Aeppels up!“


Kleiner Briefkasten.

D. S. in Grund a. H. Der Verfasser der Erzählung „Felix“, K. Th. Schultz, theilt Ihnen durch uns mit, daß seine Antwort nach Wolfenbüttel ihm leider als unbestellbar zurückkam. Er bittet um Ihre Adresse.

Frau Ungenannt in Bremen. Geben Sie gütigst den Zweck Ihrer Sendung an! Andernfalls wird über dieselbe beliebig verfügt werden.

F. F. in Calcutta. Nein!

E. G. in Constantinopel. Leider nicht geeignet! Besten Dank!


Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das dritte Quartal dieses Jahrgangs. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

Die Verlagshandlung.

  1. Diese Stäbchen, Kwei-tzĕ genannt, welche aus Bambus, Elfenbein mit Silberschlag etc. hergestellt werden, dienen statt der Gabel; man spießt damit einen Bissen auf und führt ihn dann zum Munde. Die Kwei-tzĕ können als die Mutter der modernen vierzinkigen Gabeln betrachtet werden; man bediente sich in Europa, als der Gebrauch der Gabel noch in der Kindheit lag, zuerst zweizinkiger, noch im Anfange dieses Jahrhunderts ausschließlich dreizinkiger Gabeln, während erst in unserem Zeitalter die vierzinkigen immer mehr gäng und gebe werden.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_624.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)