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verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


beispiellosen Credit ein; sie riefen die das Geschäft stets demoralisirenden Ratenzahlungen in’s Leben; sie setzten die großartigen Lieferungen an Beamtencorporationen in Scene; sie kauften in Mittel- und Großstädten die renommirtesten Nähmaschinengeschäfte auf und füllten deren Magazine mit ihren Fabrikaten; sie schickten ihre Zutreiber dutzendweise von Haus zu Haus; sie schossen Reclame-Etats aus, vor deren Höhe der Deutsche verzagen möchte; sie wußten deutsche Ingenieure zu finden, die sich öffentlich für ausländische Concurrenz aussprachen; sie holten sich auf jeder Mastvieh-Ausstellung ihre Medaillen und Ehrenbecher; sie schrieen und lärmten in allen Blättern, auf allen Gassen – ihre Mittel erlaubten ihnen das.

Ferner beuteten sie die Bezeichnungen „Originalmaschinen“, „echte Singer“ und „echte Grover und Baker“ bis in’s Aeußerste aus. Als ob die amerikanischen Maschinen nicht auch der einzigen vom Erfinder construirten Originalmaschine nachgebaut worden wären! Mit demselben Recht könnte man alle Buchdruckerpressen des Auslandes unechte nennen, weil sie nicht im Lande der Erfindung gebaut wurden.

Das Publicum ließ sich betäuben, und einzelne deutsche Fabrikanten machten den Fehler und schickten ihre Fabrikate mit amerikanischen Marken in die Lager – eine Täuschung, die sich zwar das Publicum wie bei der weiland englischen Nähnadel aus Aachen gefallen lassen konnte, aber die Amerikaner spürten den imitirten Marken nach, und jeder Fall gab ihnen zu verstärkter Reclame Veranlassung. Und was war das Resultat davon?

Es war „verlorene Liebesmüh“.

Als passendste Antwort errichteten deutsche Firmen im Jahre 1876 die ersten Magazine für deutsche Nähmaschinen auf dem Broadway in New-York – und das thaten sie bei 40 Procent Sperrzoll. Bravo!

Das Geheimniß, daß unsere Nähmaschinen-Industrie in diesem Humbug nicht erstickt ist, liegt nicht tief. Die deutschen Nähmaschinen sind durchweg sauberer gearbeitet, als ihre überseeischen Concurrentinnen. Der Amerikaner setzt die Theile zusammen, wie sie die Hülfsmaschine liefert. Der zufälligen Accuratesse ist somit Alles hingegeben. Der Deutsche montirt dagegen mit ganz anderer Gewissenhaftigkeit; er vertraut der Hülfsmaschine die letzte Arbeit nicht an; er nimmt die Hand zu Hülfe; seine Fabrikationsweise ist die der berühmten Glashütter Uhrmacher.

Ueberdem haben die deutschen Fabrikanten eine große Zahl Verbesserungen an den amerikanischen Systemen angebracht. Die wesentlichsten sind geräuschlose Verschiebung und Stichstellung nach Zahlen an der Wheeler-Wilson-Maschine. Diese letzteren gehen unter den Namen „Silenciens“ nach allen Welttheilen und erreichen dort weit höhere Preise, als die amerikanischen.

An der Singer-Maschine brachte man die Spulradauslösung an, die von den Amerikanern anfänglich verhöhnt, jetzt aber von ihnen allgemein nachgebaut wird. Vor dieser Verbesserung mußte man beim Spulen den ganzen Mechanismus der Maschine in Bewegung setzen, dadurch wurde diese doppelt abgenutzt, und schwächlichen Personen fiel es außerordentlich schwer, die gleichen Kräfte, wie auf das Nähen, auch noch auf das Spulen verwenden zu müssen; jetzt benutzt man das Schwungrad allein. Ferner ist der vortreffliche Zahnrad- und Zahnkranzbetrieb an den Handmaschinen eine deutsche Verbesserung. Der vielfachen Vervollkommnungen der zahlreichen Handwerkermaschinen, der Vermehrung der Hülfsapparate an fast allen Systemen, der mancherlei Constructionsvortheile im Hub, in der Herzführung und der Schiffchenbewegung kann hier des Raumes willen nicht eingehend gedacht werden.

Ein Wettnähen zu Dresden am 4. Juni 1877 hat die Ueberlegenheit der deutschen Nähmaschinen in der lautersten Weise dargethan. Eine Anzahl in Deutschland zerstreuter Nähmaschinenfabrikanten hatte beschlossen, dem Vorurtheile zu Leib zu rücken, und beantragte beim Dresdener Gewerbeverein die Arrangirung eines Wettnähens. Eine Commission völlig parteiloser Fachmänner, unter denen sich außer Mechanikern und Weißwaarenfabrikanten auch der Director der europäischen Modenakademie, geübte Nählehrer und Näherinnen befanden, wurde eingesetzt.

Die Commission entlieh sich in den verschiedenen Nähmaschinenlagern der Stadt sieben Maschinen aus sieben verschiedenen deutschen Fabriken, und da nicht anzunehmen war, daß der Vertreter der amerikanischen Singer-Compagnie das Wettnähen goutiren würde, kaufte man ihm eine „Original-Singer-Maschine“ für hundertzehn Mark ab. Er und sämmtliche Fabrikanten, sowie die Darleiher wurden eingeladen, und ein Nählehrer und drei geübte Näherinnen nähten vor den Augen der Commission und einer zahlreichen Versammlung von Gewerbetreibenden und Interessirten aus allen Ständen.

In einer darauf abgehaltenen Sitzung ward das Urtheil der Sachverständigen dahin festgestellt:

„Im Stich war die Original-Singer-Maschine den anderen ebenbürtig, in Bezug auf Solidität der Ausführung und saubern Ausstattung stand sie aber ganz beträchtlich hinter sämmtlichen sieben deutschen Maschinen zurück und verspricht deshalb geringere Dauer, ganz abgesehen von ihrem sehr geräuschvollen Gang. Auch zeigten mehrere der deutschen Maschinen in Bezug auf Construction der Maschinen selbst, sowie in Bezug auf Reichhaltigkeit der Apparate bedeutende Fortschritte.“

Wir sehen also, die Amerikaner können ihre deutschen Concurrenten nur im Lärm überbieten, und diesen überlassen wir in Zukunft besser den Yankeenerven; er gehört wahrlich nicht zu den begehrenswerthen Importartikeln, um die wir unsern Nationalwohlstand noch ferner zu schädigen hätten.

Die Sorge für eine gesunde Weiterentwickelung dieser hochwichtigen Industrie kann das deutsche Volk mit Ruhe dem treibenden Motor der einheimischen Concurrenz überlassen.

Th. G.




Blätter und Blüthen.


„Verstimmt“ (Abbildung Seite 685) – freilich, aber nicht blos das Instrument ist verstimmt, sondern offenbar auch das arme, schöne Kind, das an den Wirbeln der Mandoline rückt, um die Töne der Saiten richtig zu stellen. Das ist nicht immer leicht, besonders wenn frische Saiten aufgezogen sind, aber so schwer ist’s doch nicht, als über die andere Verstimmung Herr zu werden, die ohne allen Zweifel in den Zügen des jungen Angesichts sich bemerklich macht. Unser geistreicher Freund Thumann würde bedenklich das edle Haupt schütteln, wenn wir ihm zutrauen wollten, daß er sein künstlerisches Genie daran wende, um weiter nichts darzustellen, als wie ein armes Mädchen ein altes Instrument zu stimmen sucht. Auch den jungen Mann, der sich scheinbar behaglich auf seinem Lazzaroni-Sopha ausstreckt, dürfen wir uns nicht ohne Beziehung zu dem Mädchen denken; er sieht ihrer Bemühung schwerlich nur zu, weil er eben weiter nichts zu thun hat.

Am deutlichsten spricht aber ein Gegenstand, den man vielleicht kaum beachtet hätte: der Korb am Wege, der leer, ganz leer ist. Und so wird es uns immer wahrscheinlicher, daß hier abermals zwei junge Leute auf dieser schönen Erde durch ein uraltes Band verbunden sind: durch das Doppelband der Liebe und der Armuth.

Jetzt ist’s am Tage: zu ihrem Saitenspiele singt die schöne Arme um das tägliche Brod. – Lenau hat einmal in einem rührenden Gedicht die Kinder beklagt, welche die ersten Veilchen, des Frühlings ersten Gruß, um schnöden Mammon feil bieten müssen. Das Bild Thumann’s ist ein fast noch rührenderes Gedicht. Ist dieses Mädchen nicht selbst ein Frühlingsgruß? Und nun geht sie, mit gestimmter Mandoline, aber verstimmtem Herzen, um die Blumen der Poesie dem Moloch Publicum – zu verkaufen. Bald werden wir sie vor einer Café- oder Weinhalle, auf einem belebten Platze oder in einem offenen Garten ihre Lieder singen hören; uns wird jeder Ton zu Gemüth gehen, aber wie selten greift Einer „aus den besseren Ständen“ zu einer ihm ganz entbehrlichen Münze, um sie der Armen hinzuwerfen!

Ich saß einmal im Weingarten des „Tiroler Wastel“ hoch oben beim Castell von Triest, mit den Augen im unvergleichlichen Bilde des strahlenden Meeres schwärmend, als eine Laute und ein liebliches Lied aus einem Mädchenmunde erklang. Ich lauschte auf, und unweit von mir lauschte auch eine ganze Gesellschaft von übermäßig mit goldenen Ringen, Ketten und Spangen aufgeputzten Leuten – offenbar „der besseren Stände“. Alle wackelten mit den Köpfen vor eitel musikalischem Vergnügen. Als aber die Sängerin mit dem Notenblättchen an sie herantrat, regte sich keine Hand; sie nickten auch jetzt, gerade wie die Armen vor dem Klingelbeutel in der Kirche. Da ward mein Zorn gewaltig groß; ich hielt der sparsamen Sippe eine scharfe Rede (von der sie kein Wort verstanden; denn es waren Italiener) und bezahlte um so mehr, aus empörtem Kunstgenossenschaftsgefühl. Wie dankte mir da ein Blick und das süßeste: „Grazie tante, Signor!“ Das freut mich heute noch; denn – da hatte ich gut gestimmt.

Fr. Hfm.



Kleiner Briefkasten.

K. O. 12 in Constanz. „Wie groß die Arbeit ist, welche gegenwärtig alle Dampfmaschinen der Welt verrichten?“ – Nach den Zusammenstellungen von Director Dr. Engel beträgt die Leistungsfähigkeit sämmtlicher Dampfmaschinen der Erde über 46 Millionen Pferdekräfte. Diese 46 Millionen Dampfpferde können aber dieselbe Arbeit verrichten, zu der wir sonst 140 Millionen gewöhnliche lebende Pferde oder 996 Millionen Arbeiter oder 1 Milliarde 992 Millionen Menschenhände brauchten. – Wissen Sie auch, was diese modernen Sclaven zusammen kosten? Das runde Sümmchen von 80 Milliarden Mark.

M. K. Als ungeeignet vernichtet.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_696.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)