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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Nun waren aber drei Tage nach seiner Ankunft verstrichen, und es fiel ihm nicht ein, seine beabsichtigte Reise anzutreten, so wenig wie er jetzt noch daran dachte, das ferngelegene, ihm unbequeme Gut zu verkaufen, wozu er daheim fest entschlossen gewesen war. Um keinen Preis wäre ihm jetzt der reizende Erdenwinkel feil gewesen der ihn so heimisch umfing, als sei er in dem alten, trauten Gutshause geboren.

Er bewohnte das Erkerzimmer und ein rechts daranstoßendes Schlafcabinet. Die Zimmerflucht linker Hand dagegen, die mit dem Arbeitszimmer des verstorbener Oberforstmeisters begann und in das Laboratorinm auslief, wurde nach sorgfältiger Lüftung wie ein Reliquienschrein wieder unter Verschluß gelegt, und sollte nie benutzt werden, wie der Gutsherr zu Frau Griebel’s großem Aerger anordnete.

Er kam sich vor wie ein Einsiedler, der sich auf einsamen Berggipfel zurückgezogen hat, und kaum noch weiß, daß zu seinen Füßen die Brandung des Menschenverkehrs weiter tost, weil er sie nicht mehr hört. So still war es auch im Gutshause. Alles, was zur Oekonomie gehörte, concentrirte sich in dem zweiten großen Hof, hinter dem saubergehaltenen, kiesbestreuten Platz, aus welchen die Stufen der Hausthür führten. Da vorn durften nur die verwöhnten Truthühner umherstolziren; das buntgemalte Taubenhaus und ein vollästiger Birnbaumwipfel stiegen in die Lüfte, und Sultan’s Hundehütte stand an dem Thorweg wie ein Schilderhäuschen. … so rührig auch Frau Griebel auf ihrem Wirthschaftsposten war, im Vorderhause duldete sie kein geräuschvolles Hantiren, kein Thürenschlagen von seiten der Leute, und draußen vor den Fenstern war es noch stiller. Wunderselten einmal geschah es, daß Weiber mit einem Reisigbündel auf dem Rücken, oder ein Trupp beerensuchender Kinder aus dem Wege dahinschritten, der den Rasenfleck vor dem Gutshause durchschnitt.

Allerdings war es nicht das Wohlbehagen ausschließlich, was Herrn Markus auf dem Gute festhielt – es traten auch zu erledigende Geschäftsfragen an ihn heran. Eine längst projectirte Eisenbahnlinie, die auch den Hirschwinkel berührte, sollte nunmehr in Angriff genommen und abgesteckt werden. Diese Angelegenheit machte verschiedene Schreibereien nöthig. Der Schienenweg bedrohte das beste Stück Ackerland, während er doch nach Pachter Griebel’s Ansicht ebenso gut durch den minder werthvollen Wiesengrund laufen konnte.

Herr Markus hatte sein neues Gebiet bereits nach allen Seiten hin beschritten. Wohin er auch kam, überall fand er die musterhafteste Bewirtschaftung und das sichtliche Bemühen, die Güte des Bodens wie ein Kleinod zu behüten. Als Ausläufer dieses fruchtbaren Geländes lag freilich das Vorwerk da, wie ein angesetzter ärmlicher Flicken.

„So lange die Frau Oberforstmeisterin noch lebte, sahen die Grundstücke immer ganz passabel aus, sagte Peter Griebel „der Amtmann hatte einen heillosen Respect vor unserer alten Dame und ging deswegen gar oft selbst hinter dem Pfluge her. Dazumal hatte er noch einen Knecht, der ist nun aber auch gleich nach der Magd fortgelaufen, und beim Amtmann hat sich das Alter eingestellt – er geht am Stocke. Von Feldarbeit wäre keine Rede mehr, wenn sich nicht der Forstwart drüben im Grafenholz erbarmte. Der stammt aus dem Orte, wo der Amtmann früher die fürstliche Domäne in Pacht gehabt hat da ist er Tagelöhnerjunge gewesen und scheint an seiner alten Herrschaft zu hängen; denn das Bischen freie Zeit, das ihm sein schwerer Dienst übrig läßt, bringt er auf den Vorwerksäckern zu, und – da mag nun meine Frau sagen was sie will – die fremde Magd hilft tüchtig mit.

Bis in die Nähe der Vorwerksgebäude war Herr Markus noch nicht gekommen. Es war seine Absicht, den letzten Willensausdruck der verstorbenen Gutsherrin zur Geltung zu bringen, wenn das Schriftstück auch im Strickbeutel statt bei der gesetzlichen Behörde gelegen hatte und durch keinerlei Zeugenschaft beglaubigt war. Aber er wollte das erst nach seiner Rückkehr in die Heimath schriftlich abmachen – es widerstrebte ihm absolut, mit dem Amtmann und „dem Gouvernautenfräulein“ in persönlichen Verkehr zu treten.

Er sehnte sich überhaupt nach keinem Umgang in der Einsamkeit, die er zum ersten Mal kennen lernte und auszukosten wünschte. Er war durchaus kein Blasirter – das rauschende Leben der Großstadt hatte tausendfachen Reiz für ihn; er gab sich ihren schönen Genüssen mit voller Seele hin; denn er war ja ein noch junger Mann, dem die Lebenslust mit dem gesunden Blute durch die Adern strömte, aber nach all dem aufregenden Treiben der verflossenen Saison und dem geräuschvollen Arbeitsgetöse in seiner Fabrik fand er es köstlich, in der einlullenden Waldstille gleichsam zu versinken.

Er hatte einen ganz besonderen Lieblingsaufenthalt im Hirschwinkel für sich entdeckt; das war der kleine Pavillon, der sich auf der nordwestlichen Ecke der Gartenmauer erhob. Von achteckiger Form, gestattete er durch zwei Fenster und ebenso viel Glasthüren einen Ausblick nach allen Himmelsrichtungen. Die Innenwände waren mit verblichenen Frucht- und Blumenstücken auf grauem Grunde bemalt; ein kleiner weicher Eckdivan hinter einem runden Tischchen, einige Rohrstühle und ein Bücherbret über dem Divan bildeten das Meublement, und hinter den oberen Scheiben der Fenster und Glasthüren hingen Bogengardinen von Purpurkattun, welche das Stübchen mit einem magischen Schein füllten. Vor der einen Glasthür, nach der Westseite zu, zog sich ein schmaler Balcon mit hölzernem Geländer hin und – das war es hauptsächlich, was dem neuen Besitzer diesen Aufenthalt so reizvoll machte – von da führte eine kleine Treppe direct in das freie Feld, außerhalb des Gartens hinab. Nur ein schmaler Rasenstreifen lief hier draußen die Mauer entlang; darüber her wehten schon die nickenden Halme des nächsten Kornfeldes.

(Fortsetzung folgt.)





Die Sorge.
Mit Abbildung auf S. 25.


Die Sonne sank. Ein Wandrer, einsam,
Verlassen, zieht den Felsensteg.
Es macht ein Weib mit ihm gemeinsam,
In Grau gehüllt, denselben Weg. - -

5
In’s Haidekraut den Stab, die Mappe -

Zu ihnen sinkt der müde Mann.
Des wilden Jägers scheuer Rappe
Zieht in der Wolle über’m Tann.

„Umsonst, umsonst die Qual, das Ringen!“

10
so klingt sein Klaglied an den Grat -

„Es krönt das Streben kein Gelingen,
Und ach! umsonst ist jede That. -

Einst zog ich aus gen Rom, Neapel,
Die Brust von Sehnen hochgeschwellt;

15
Mein Künstlerschiff ließ ich vom Stapel,

Umsegeln sollt’ es diese Welt.

Mein Schüler strebte ungezügelt
In’s Ruhmesreich der Künstlerschaft,
so ward einst Francia überflügelt

20
Von Rafael, der jüngern Kraft.


Kein liebend Weib hielt ich umschlungen,
Ich stieß ein treues Herz zurück.
Ich hab’ kein Kind in Schlaf gesungen,
Ich hielt den Ruhm allein für Glück.

25
Allein steh’ ich, wie ein Askete,

Ein Mönch, der allem Glück entsagt,
Und der umsonst nach einer Lethe
Das Leben vor dem Tode fragt.

Ich nannt’ ein Götterloos auf Erden

30
Den Kranz, den uns die Menschheit flicht;

Der Erste Aller wollt’ ich werden,
Doch ach, der Erste bin ich nicht.“ - -

Das graue Weib in finstern Falten
saß noch bei ihm im Sternenschein,

35
Und ihrer Antwort Laute hallten.

„Du wirst auch nicht der Letzte sein.

Der Letzte nicht, der Erdengüter
Tief unter stolzen Lorbeer stellt,
Der, Priester nicht, nur Tempelhüter,

40
sich träumt in eine Götterwelt.


Der Letzte nicht, der Kunstbegeist’rung
Voreilig nimmt für eig’ne Kraft,
Dem nie gelingt des Stoffs Bemeist’rung,
Und der sich nur Enttäuschung schafft!“

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

45
Fort ist das Weib. - Die Welt umkreist sie

So Tag für Tag, wie Nacht für Nacht.
Es hat von ihr - Frau Sorge heißt sie -
Der Schlaf den Wand’rer frei gemacht.

Alfred Friedmann.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_024.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2018)