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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

gehuldigt und waren ihm zum Opfer gefallen, der Kurfürst immerhin mit einer gewissen Würde, sein Diener ohne solche.

In dem kleinen Marburg war der einst allmächtige Minister von Allen gekannt und bei Allen verrufen. Früher hatte seine Gewalt, sowie die rücksichts- und schrankenlose Art, wie er Gebrauch davon machte, die Leute geschreckt und ihm unterworfen. Jetzt war es vorbei damit. Kein Mensch grüßte ihn beim Begegnen, und Viele gaben ihm ihren Abscheu nur allzu deutlich zu erkennen. Sein stolzes Herz konnte das nicht ertragen. Er verschloß sich in seine Wohnung, suchte Trost in dem Becher und fand darin nur Krankheit und Betäubung.

So ist er verdorben und gestorben.

Das Alles fiel mir ein, als ich das einsame Grab der Frau Lotte Grimm auf dem alten Todtenhofe wieder aufsuchte.




Die weiße Rose.

Episode aus dem mexicanisch-französischen Kriege.
Von H. Keller.

Am 10. Juni 1863 läuteten die Glocken fast aller Kirchen von Mexico. Die Läden waren geschlossen, und die Stadt trug ein festliches Gewand.

Die Franzosen hatten endlich nach unsäglich blutigen Kämpfen Puebla erobert und marschirten jetzt gen Mexico. Der glückliche Weihnachtstag von 1860, an welchem Ortega, der Stellvertreter von Juarez, der damals noch in Vera Cruz residirte, unter dem ungetheilten Jubel der liberalen Partei und von Kränzen und Blumen überschüttet mit seinen Truppen in die Hauptstadt eingezogen, war fast vergessen, und die Bevölkerung befand sich in jenem Zustande qualvollsten Gedrücktseins, in welchem man sich nur nach Veränderung sehnt, einerlei woher sie kommt. Die clericale Partei hatte ihre reichen Mittel aufgeboten, um die Straßen, durch welche die Truppen marschiren sollten, glänzend zu schmücken. Bunte persische Teppiche hingen von den Balconen hernieder, die, von Guirlanden und Blumen umwunden und von der tropischen Sonne beleuchtet, wohl im Stande waren, die Thränen und das Elend zu verdecken, welches sich hinter den Mauern der Stadt verbarg und nach Erlösung schrie.

Juarez hatte am 31. Mai die Stadt verlassen und sich mit den Trümmern seiner Truppen nach San Luis Potosi zurückgezogen. Wenn auch die größere liberale Partei unmöglich die Franzosen mit Freuden begrüßen konnte, so war doch davon an jenem geschmückten Tage nichts fühlbar. Auf den Hauptstraßen, durch welche der Zug passiren sollte, sah man unter den eleganten, weit ausgespannten Marquisen der Balcone die vornehme Damenwelt von Mexico in festlichen Toiletten schon stundenlang, bevor der Zug eintreffen konnte.

Die zahlreichen kostbaren Blumensträuße und Kränze in den Händen der Damen ließen darauf schließen, daß die schöne Welt von Mexico größtentheils der clericalen Partei huldigte; denn die Kinder Floras waren ohne Zweifel dazu bestimmt, die Säbel und Casquets der Franzosen zu krönen, die heute so festlich bewillkommnet in die Stadt ziehen sollten.

Unten in den Straßen drängte sich ein unabsehbares Menschengewoge, und die zur Ordnung mahnenden Posten hatten unsägliche Mühe, den angewiesenen Raum frei zu halten. Dicht an der Plaza municipal, auf dem Balcon eines der ersten und elegantesten Häuser der „Calle de Plateros“, welches sich ganz besonders durch sinnige und reiche Decoration hervorhob und einem namhaften Anhänger der clericalen Partei gehörte, umstanden einen behäbigen, vornehmen Priester drei reizende Frauengestalten. In ihren kleinen Händen hielten sie elegante Körbe, in denen die ausgesuchtesten Bouquets geordnet lagen, wie sie in der Mannigfaltigkeit und Pracht wohl nur der südliche Himmel hervorzaubern kann.

Die kleinste und hübscheste der drei Damen, mit schelmischem Gesicht und lachenden Grübchen, versuchte eben dem Priester ein großes Bouquet in die Hand zu drücken, indem sie lachend sagte: „für den tapfersten, schönsten Cavalier!“ Der Priester, dessen würdiges Gesicht sich zu einem leichten Lächeln verzog, nahm es nach einigem Sträuben an, hob es in die Höhe und versuchte es zu dem Nebenbalcon herüber zu reichen, welcher dicht an denjenigen stieß, auf welchem er sich mit den Damen befand, und welcher nur von einer einzigen Dame besetzt war. Sie trug tiefe Trauerkleider und ihre großen, dunklen Augen sahen gedankenvoll und fremd über die Masse, die da unten in der Straße auf und nieder wogte, als hätte ihre Seele keinen Theil an dem Glanze und der Freude, die sie umgab. Sie bemerkte die Absicht des Priesters nicht, und erst als die kleine Dame ihren Namen rief, erhob sie sich und trat an den benachbarten Balcon.

„Nehmen Sie das Bouquet, Sennorita,“ sagte der Pater, „Donna Rosita bestimmte es für den tapfersten und schönsten der Sieger; es würde doch keinen Werth für ihn haben von meiner Hand. Wie ich sehe, haben Sie ja auch gar keine Blumen zur Begrüßung für unsere Befreier und Erlöser von einer jahrelangen, unchristlichen Herrschaft.“

Bei den letzten Worten streiften seine Augen prüfend und durchdringend die feinen, durchgeistigten Züge des jungen Mädchens, welches da ohne jeden Schmuck, nur eine einzige weiße Rose am Busen, vor ihm stand.

„Wozu Blumen, Pater?“ erwiderte sie erregt; „ich liebe es nicht, fremde Männer mit Blumen zu überschütten, wenn das Herz keinen Theil daran hat. Ich werde nur einem einzigen Manne Blumen schenken,“ setzte sie lächelnd hinzu, als sie bemerkte, wie des Paters Züge sich verfinsterten, „dem Manne, den ich liebe.“

„Und das wird nie ein Franzose sein,“ sagte Rosita und blickte schelmisch in der Freundin hübsches, charaktervolles Gesicht.

„Warum kein Franzose?“ fragte der Priester, indem er abermals seine stechenden Augen lauernd über die Züge des Mädchens gleiten ließ.

„Weil Conchita im Herzen zu den Liberalen hält, Pater,“ sagte jetzt die größere der drei Damen, eine ziemlich verblichene Schöne mit unangenehmen Zügen. „Weil sie vor dem Tod ihrer Mutter, ehe sie nach Mexico in das Haus ihres Onkels kam, nur mit Liberalen verkehrte und diese ihr Dinge in den Kopf gesetzt haben, Dinge von Priesterherrschaft, Volksbeglückungswahn und so weiter, von welchen sie noch nicht genesen ist und die ihr von Zeit zu Zeit Congestionen verursachen. Hat sie doch sogar ihren Brillantschmuck, das Einzige, worüber sie verfügen konnte, Gonsalez Ortega in die Hand gespielt, als er mit seinen Truppen nach Puebla zog. Ja, ja, Conchita,“ fuhr sie milder fort, als sie sah, wie ihr Opfer erbleichte und sich ihr ein schmerzlicher Zug um die Mundwinkel lagerte, die erst vor kurzer Zeit am Sterbebett der Mutter in bitterstem Weh gezuckt, „Du siehst, es bleibt nichts ein Geheimniß; Du würdest auch sonst sicher an dem heutigen Tage die Brillanten tragen, die Dein Onkel so sehr liebt.“

„Mein Onkel weiß, daß zu den Trauerkleidern, die man um eine Mutter trägt, keine Brillanten passen, Julita,“ sagte sie verächtlich und wandte den Blick nach der Straße.

Ein lauter Tusch trieb die Menge auf der Straße aus einander; die Damen drängten sich an die Balustraden der Balcone, und der bekannte Siegesmarsch ließ sich vernehmen. Die glänzenden Helme der ersten Reiter leuchteten auf der Plaza municipal, und ein donnerndes Hoch begrüßte die Truppen, die, wie die Vernünftigen schon damals wußten und die Anderen sich nur zu bald überzeugten, dem Lande kein Glück bringen sollten.

Es war vielleicht zum ersten Mal, daß die Mexicaner geordnetes Militär, wirklich theilweise sehr schöne Leute mit guten blankgeputzten Uniformen, sahen; das Volk, welches die Straßen füllte; sperrte Mund und Augen auf, und der Jubel wollte in der That kein Ende nehmen.

Conchita sah gleichgültig über die glitzernde Menge, die mit rauschender Musik vorüberzog, aber der Groll, den sie gegen die Feinde ihrer Gesinnungen im Herzen trug, fing an sich etwas zu dämpfen, als sie in die vielen fieberkranken, vom Klima verwüsteten Gesichter schaute. Nur von Zeit zu Zeit warf sie einen unbegreiflichen

Blick auf die Damen in ihrer Nachbarschaft, die ihre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_028.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)