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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

zu gucken, lediglich. um zu erfahren, an welcher Art Lectüre sich der ehemalige Taglöhnerjunge erquicke in seiner kärglichen Mußezeit, die ihm der strenge Dienst und seine Aushülfe auf dem Vorwerk übrig ließen. Wenn es Ritter- und Räubergeschichten waren, die dort zwischen den Blumentöpfen auf der niederen Brüstung über einander lagen, so steckten sie wenigstens nicht in der Livrée der Leihbibliotheken – er sah das über die Fahrstraße hinweg, die ihn um mindestens zehn Schritte von dem Hause trennte. – Vielleicht war er ein Mann von Intelligenz und Weltgewandtheit, dieser Waldhüter; er verkehrte ja viel auf dem Vorwerk, wo sich selbst die Magd, die mit Milcheimer und Heurechen hantirte, einer salonmäßigen Ausdrucksweise befleißigte.

Mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen bog er das letzte Gestrüpp aus einander, um auf den Fahrweg heraus zu treten, als ihn das Gebühren der einen Ziege stutzig machte. Es war ein junges schmächtiges Thier, das wie toll den Abhang herunter und über das schmale Wiesenland hin rannte; ihre Gefährtin trabte gemächlich hinterdrein, aber auch direct nach der Richtung, in welcher jetzt leichte Menschentritte hörbar wurden. … Herr Markus stampfte den Boden – immer wieder dieses Mädchen, das bereits anfing, ihm den Waldaufenthalt gründlich zu vergällen. War denn Amtmanns Magd das einzige weibliche Wesen, das in Wald und Feld lebte und athmete?

Da kam sie richtig wieder daher, das „Scheuleder“ auf dem Kopfe und einen großen Marktkorb am Arm. Die Ziegen liefen neben ihr und fraßen von dem Stück Brod in ihrer Hand, das sie für die Naschmäuler aus der Tasche gezogen hatte.

Herr Markus trat tiefer in das Gebüsch zurück, hinter die nächste dicke Buche – er wollte sich nicht noch einmal ärgern, wie heute in der Frühe. Das Mädchen war ihm förmlich verhaßt, und ebenso beflissen, wie er heute Morgen den Tabaksrauch unter das weiße Tuch geblasen, warf er jetzt die glimmende Cigarre auf den Boden und zertrat sie, auf daß ja nicht das leichteste hinüberziehende Duftwölkchen seine Anwesenheit verrathe.

Das Mädchen warf den Ziegen die Brodreste hin und trat auf die Thürstufen, um einen Einblick in das nächste Fenster zu gewinnen. Das Zimmer mußte leer sein; auch auf wiederholtest Klopfen gegen die Scheiben rührte sich nichts im Hause; die Thür blieb verschlossen. Da hieß es, sich in Geduld fassen.

Den Handkorb neben sich stellend, setzte sich die Angekommene auf die grüngestrichene Bank zu Seiten der Hausthür, jedenfalls um die Heimkehr des Hausbewohners zu erwarten. Sie löste die Tuchzipfel unter dem Kinn und ließ die weiße Umhüllung über den Nacken hinabfallen. So – das war sie ja nun, vom Scheitel bis zur Fußspitze, Amtmanns eitle Magd, die auf ihre Haut nicht das kleinste Sonnenfleckchen brennen lassen wollte, wie Frau Griebel erbittert behauptete, und so zornig Herr Markus war, er mußte zugeben, daß es auch schade um diesen etwas blassen. zartleuchtenden Teint gewesen wäre; er mußte bekennen, wie schon heute Morgen bei seinem flüchtigen Einblick, daß der Kopf dort den Adel und die Anmuth der Gestalt nicht im Entferntesten verwische; sondern mit voller Harmonie ergänze. Das verdroß ihn erst recht. Es wäre ihm tausendmal lieber gewesen, sie hätte geschielt, wäre sommersprossig und plump von Zügen gewesen – „die Aparte“.

Sie strich sich das lose Haar aus der Stirn nach dem Hinterkopf, wo es, ungeflochten und zu einem dicken Knoten aufgewunden, von einem Kamm gehalten wurde; dann legte sie tiefaufathmend die gefalteten Hände in den Schoos und lehnte, augenscheinlich erquickt durch die Waldruhe ringsum, den Kopf an die Hauswand. Sie sah sorgenvoll, wenn auch nicht eigentlich gedrückt aus und war wohl auch zu lebhaft und energisch, um sich länger als für ein paar Augenblicke der absoluten Unbeweglichkeit hinzugeben.

Aus dem Korb wurde ein Päckchen genommen, aus einander gerollt, und mit prüfendem Blick über die Kniee hingebreitet – Herr Markus sah, daß es eine weiße Spitzenkante war, wahrscheinlich alter ausgedienter Putzkram vom „Gouvernantenfräulein“, der nun noch an dem weißen Halse paradiren sollte. – Die flinken Finger wendeten das mißfarbene Gewebe nach allen Richtungen, und es sah fast aus, als streifte die Rechte liebkosend d’rüber hin – dann wandte das Mädchen plötzlich den Kopf zur Seite, wickelte die Kante eiligst zusammen und erhob sich.

Ein stattlicher Mann in grünem Rock kam den Fahrweg entlang. Als er der Wartenden ansichtig wurde, beschleunigte er seine Schritte; auch sein Hund, der müde vor ihm hergetrottet war, schoß vorwärts und sprang freudebellend an dem Mädchen empor.

„Es ruht sich köstlich vor Ihrer Klause, Fritz – aber ich bin doch froh, daß Sie kommen; ich habe Eile,“ sagte sie und copirte ihre junge Dame jedenfalls bis auf die kleinste Nüance; denn in der Art und Weise, mit welcher sie den höflichen Gruß des Herankommenden erwiderte, lag so viel freundliche Würde, wie sie höchstwahrscheinlich die blaustrümpfige Amtmannsnichte dem ehemaligen Tagelöhnerjungen gegenüber herauszukehren pflegte.

„Ich habe einen dringenden Auftrag für Sie,“ fuhr sie fort. „Aber erst sollen Sie etwas Gutes bekommen,“ unterbrach sie sich und reichte ihm aus dem Korb einen kleinen Brodlaib. „Ich habe heute Brod gebacken, und es ist so herrlich ausgefallen, daß Sie auch davon essen müssen. – Das ist nun auch überwunden, Fritz, und jetzt lache ich über den angstvollen Moment, wo ich zum ersten Mal mit grenzenlos ungeschickten Fingern den Teig knetete und schließlich ein paar steinharte, schwarze Klumpen aus dem Ofen brachte.“

„Ja, damals gab’s Thränen; bei aller Standhaftigkeit,“ sagte der junge Mann mit einem gutmüthigen Lächeln. Er legte das Brod auf den äußeren Fenstersims, sah dabei aber gespannt nach dem Mädchen zurück. „Muß es wieder einmal sein? Zum Juden oder zum Goldschmied in L.?“ fragte er ohne Umschweife, jedenfalls im Hinblick auf den verheißenen Auftrag.

„Ach, Sie wissen ja am besten, daß wir beim Goldschmied längst nicht mehr anklopfen können – zum Juden müssen Sie. Bis übermorgen müssen acht Thaler geschafft werden.“

Der Mann fuhr sich wie in heller Verzweiflung mit der Hand durch das krause Haar hinter dem Ohr.

„Ja, da sehen Sie nun, Fritz! Wir haben doch gewiß aufgepaßt, nahezu wie Gensd’armen, und dabei hat es doch so, ein commis voyageur möglich gemacht, ungesehen einzudringen und ein paar Kistchen feiner Cigarren in das Haus zu schwindeln. Sie sind bis zu einem kleinen Rest aufgeraucht, und nun kommen die Rechnungen und Mahnbriefe, und heute wurde die sofortige Klage bei Gericht in Aussicht gestellt.“

„Herr Gott im Himmel, ich hab gewiß Geduld, aber mit der Zeit wurmt und ergrimmt es Einen doch, und der Aerger würgt an der Kehle, wenn man sieht, daß es so gar kein Einsehen giebt, daß fortgewirthschaftet wird, als wär’ der Geldsack noch voll, wie in guten Zeiten.“

Ein trüber Ausdruck schlich um den Mund des Mädchens. „Können wir’s ändern, Fritz?“ Sie lächelte schwach. „Da stecken Sie in jeder freien Minute die Nase in Ihre naturwissenschaftlichen Bücher und wissen nicht einmal, daß das Wasser vom Uranfang an absolut nicht zum Berg hinauf will – alte Gewohnheiten und Neigungen lassen auch nicht vom Alter –“

„Aber so ein gottsträflicher Leichtsinn bei solch einem alten Herrn –“

„Still!“ unterbrach sie ihn heftig, mit einer herrischen Geberde. „Uns Beiden kommt es nicht zu, ihn zu richten; wir haben nur seiner Güte und Fürsorge zu gedenken. Hier“ – sie rollte die Spitzenkante aus einander – „ist noch ein Werthstück, kostbare alte Spitzen! Es ist mir versichert worden, daß sie unter Brüdern mindestens zwanzig Thaler werth seien – von Baruch Mendel dürfen wir freilich nicht mehr als die Hälfte des Preises erwarten.“

„Ob er sich überhaupt damit befaßt?“ meinte der Mann achselzuckend, mit einem ungläubigen Blick nach dem unscheinbaren Gewebe. „Die zwei seidenen Kleider und den Shawl hat er wohl gekauft, aber solch windiges Zeug? Ich glaube, er lacht mich nur aus. Lieber noch ein paar silberne Löffel, mein’ ich.“

„Die letzten?“ rief das Mädchen ganz empört. „Wo denken Sie hin? Soll ich ihr einen Blechlöffel neben den Teller legen? Das geschieht nicht, so lange ich Hand und Fuß rühren kann! Sie verstehen davon nichts, Fritz,“ setzte sie ruhiger hinzu, indem sie die Kante zusammenfaltete und ihm hinreichte. „Gehen Sie nur getrost zum Juden, der versteht sich auf Spitzen wie auf Goldsachen. … Haben Sie morgen Zeit und vielleicht selbst Besorgungen in der Stadt?“

„Wenn auch nicht – den Weg mache ich trotzdem möglich; Sie wissen’s ja –“

„Ja, ich weiß es, Sie sind ein guter, kreuzbraver Mensch.“

Dieses einfache, aber in innigem Tone gesprochene Lob schien ihn verlegen zu machen. Er griff linkisch nach seiner Mütze und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_044.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)