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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

gehen zu können. Völlig willenlos ließ er sich fortbringen, daß er sich aber seines erbarmungswürdigen Zustandes vollkommen bewußt war, das sah man an der stillen Verzweiflung, die sich in seinen Zügen malte.

Auf dem weiten Wiesenplan vor dem Gutshause war das Gras gemäht worden. Ganze Wolken süßen Heuduftes wirbelten in den Lüften, während zwei Mägde vom Gute die dörrenden Halmlasten mit dem Rechen auf kleine Haufen zusammenschoben.

Die Mädchen hielten mit offenem Munde inne, als die seltsame Gruppe langsam daherkam, und Luise, die im Rosakleide und weißen Latzschürzchen unter der Hofthür stand und nach Mama und den Forellen ausschaute, flog erschrocken und so behende den Kommenden entgegen, daß die langherabhängenden, flachsblonden Zöpfe auf ihrem Rücken tanzten.

„Mama, ist er verunglückt?“ fragte sie mit stockendem Athem, und ihre hübschen, blauen Augen blickten in entsetzensvollem Mitleiden unter die breite Hutkrempe.

Das bärtige Gesicht des jungen Mannes erröthete in Scham unter diesem Blicke, und mit übermenschlicher Anstrengung versuchte er, sich strammer aufzurichten und allein weiterzugehen – ein vergebliches Bemühen!

Frau Griebel rief einer der gaffenden Mägde zu, ihren Platz an der Seite des hülflosen Fremden einzunehmen, damit sie selbst das Nöthige im Hause zu seiner Aufnahme vorbereiten könne. Das Mädchen kam wohl auf einige Schritte herbei, aber sie murrte und entgegnete tückisch, es sei ihr noch von keiner Herrschaft zugemuthet worden, die Bettelleute von der Straße aufzulesen, und einen betrunkenen Handwerksburschen wie einen Prinzen nach Hause zu führen – sie habe frischgewaschene Kleider an und wolle sie nicht beschmutzen.

Ein Stöhnen rang sich aus der Brust des Fremden.

Auf diese Laute hin streckte Luise sofort ihre runden, weißen Arme aus, um den Samariterdienst zu übernehmen.

„Geh nur weg, Du Flederwisch!“ wehrte Frau Griebel, halb lachend und doch mit einem zärtlich entzückten Blicke auf die leichte, zierliche Gestalt ihrer Einzigen, die Hülfe ab. „Du wärst mir auch die Rechte mit Deinen Puppenärmchen – ’s ist gerade, wie wenn ein Rothschwänzchen daher gehüpft käme. … Flink, lauf’ in’s Haus, rücke schnell den Suppentopf von heute Mittag auf’s Feuer und stecke das große Bett in der Soldatenkammer in frische Ueberzüge! Und mit Dir werde ich heute noch ein Wörtchen reden!“ rief sie der störrischen Magd zu, die schon wieder nach ihrem Rechen griff. „Heute über vier Wochen hast Du im Hirschwinkel nichts mehr zu suchen – daß Du’s weißt!“

Nach einer halben Stunde lag der Erschöpfte in einem guten Bett. Durch das große, helle Fenster der sogenannten Soldaten-Logirkammer im Erdgeschoß guckte der grüne Birnbaum im Hofe herein; der Abendwind kam durch die Waldwipfel mit leisem Fächeln daher und hauchte das saubere Stübchen voll Kühle und Laubduft; die kollernden Truthühner waren zur Ruhe gebracht, und nur auf der Mauer, welche die beiden Höfe trennte, saß ein weißes Kätzchen und putzte sich.

Zum ersten Mal hatte Herr Markus selbst die Schlüssel aus dem Wandschränkchen im Erkerzimmer genommen und war in den Weinkeller der seligen Frau Oberforstmeisterin hinabgestiegen, um eine Flasche von dem köstlichen alten, nur für die Armen und Bedürftigen angeschafften Krankenwein aus ihrer dunklen Ecke zu holen. Der Kranke hatte gegessen und auch von dem Madeira getrunken, aber über seine Lippen war kein Wort gekommen, und je mehr ihm Nahrung und Stärkung die schon halb entflohenen Lebensgeister in das frischer kreisende Blut zurückriefen, desto verzweiflungsvoller sah er aus. Sein Blick hing sehnsüchtig am offenen Fenster, und der Gutsherr dachte im Stillen, die erste selbstständige Kraftäußerung dieses armen Menschen werde ein Sprung aus dem niedrigen Fenster sein; er werde auf Niewiedersehen verschwinden, um die Erinnerung an ihn und sein Elend in den barmherzigen Seelen so schnell wie möglich zu verwischen.

Aber ein wenig später machte die erschöpfte Natur ihr Recht gebieterisch geltend – er fiel in einen tiefen Schlaf, und Herr Markus verließ das Stübchen, um den Gartenpavillon aufzusuchen, in welchem Frau Griebel das Abendbrod für ihn servirt hatte. Er aß wenig und dachte grollend an das frischgebackene Schwarzbrod, das der Forstwärter heute auf seinem Tische hatte…. Wie diese Leute doch treu und zärtlich für einander sorgten, bei aller Armuth! – Frau Griebel war eine brave Frau, eine wackere Seele, und sie hatte das Herz auf dem rechten Flecke, aber die „Forellchen“ und die „Kartöffelchen“ kosteten ihm doch sein gutes Geld; der alte Sägemüller hatte die Fische ganz gewiß nicht aus purer Liebe für ihn gegeben, und der Herr Schloßgärtner ebenso wenig seine Frühkartoffeln. Und um das Maß des Verdrusses voll zu machen, hantirten die zwei Mägde mit ihren Heurechen gerade jetzt draußen an der Gartenecke, nahezu unter dem Häuschen auf der Mauer, und schnatterten unaufhörlich.

„Was Du nur willst – ich scheere mich viel drum, ob mir die Alte gekündigt hat, oder nicht!“ sagte die grobe Magd, welcher vorhin der Dienst aufgekündigt worden war. „Wer seine Arbeit so kann, wie ich, der kriegt alle Tage eine andere Herrschaft –“

„Aber um die Zeit nicht!“ fiel die Andere ein. „In ganz Tillroda ist jetzt keine Stelle offen. Nachher kann Dir’s auch passiren, daß Du bei Leuten unterkriechen mußt, wie die auf dem Vorwerke – keinen Heller Lohn und die wahre Knechtsarbeit auf dem Felde!“

„Ach was – die Jetzige hat’s doch so schlimm nicht. Der hilft der Forstwärter, wo er kann – die kann lachen. Und mit dem Lohn mag’s auch nicht so windig aussehen, wie die Leute sagen. Sie hat doch immer hübsche, knappe Lederstiefelchen an – so viel habe ich gesehen, wenn sie auch den Menschen immer auf zehn Schritt aus dem Wege geht und thut, als hätte Unsereins Gift an sich.“

„Ja, eine Eingebildete ist sie,“ bestätigte die Andere. „Ich will nur sehen, wie die’s treibt, wenn sie erst einmal drüben im Grafenholz zu Hause ist – Die hat Glück. So eine Hergelaufene setzt sich in das schöne, warme Nest.“

„Na, meinetwegen! Was geht denn mich die ganze Sippschaft an, wenn ich aus dem Hirschwinkel fort bin?“ murrte die Gestrafte ergrimmt und schleuderte einen Rechen voll Halme auf den nächsten Heuhaufen. „Mich ärgert nur das dumme Gethue von der Alten. Bringt da den ersten, besten Strolch, der am Wege liegt, angeschleppt, legt ihn wie ein Wickelkind in’s Bett, und den besten Wein, der im Keller aufzutreiben ist, gießen sie ihm in die Biergurgel – das läßt sich der freilich gefallen. – Eine verrückte Gesellschaft auf dem Gute da! Unsereins wird angeschnurrt wie ein Hund, wenn einmal eine Thür offen bleibt – von wegen der Stehlerei – und da holen sie sich die Spitzbuben selber in’s Haus. Ich lachte mich todt, wenn der morgen in seiner Tasche irgend ’was mitgehen hieße – das gönnte ich der Alten. Nicht zehn Thaler nähm’ ich für den Spaß.“

Der Gutsherr schlug klirrend das Pavillonfenster zu, und die zwei Lästermäuler duckten sich wie erschreckte Wachteln hinter die nächsten Heuhaufen und scharrten da so emsig die letzten Halme zusammen, als könnten sie vor lauter Arbeit kein Wort über die Lippen bringen.

Es war ein stiller, engumgrenzter Waldwinkel, der kleine Erdenfleck da, und auch da litten sie nicht, daß der süße Friede einmal ausruhend seine Flügel zusammenschlage – Neid und Bosheit nämlich, und so ziemlich alle dämonischen Regungen der Menschenseele, welche auf dem großen Welttheater agiren.


7.

Am andern Morgen wurde es sehr früh laut vor dem Gutshause. Herr Markus sah durch’s Fenster die kleine hübsche Luise über die gemähte Wiese hinirren. Sie war im hellen Morgenröckchen, und ihr dickes, blondes Haar steckte in einem weißen Netz mit blauen Bandschleifen.

Das junge Mädchen suchte offenbar nach einem verlorenen Gegenstand; sie schob die dünne Halmlage aus einander, die der Nachtwind wieder auf den Grasstoppeln zusammengeblasen hatte, und schüttelte selbst die zunächstliegenden Heuhaufen aus einander. Und die beiden Mägde, die jedenfalls im Begriff waren, auf den Acker zu gehen – denn sie hatten die Kartoffelhacke in den Händen – standen dabei und lachten.

„Nicht mit einem Schritt sind Sie gestern Abend auf die Wiese gekommen, Fräulein Luise – ich werd’s doch wissen,“ sagte die entlassene Magd. „Sie brauchen gar nicht weiter zu suchen – schade um die Zeit! So blind ist keine von uns, Ihren Henkelducaten nur so mit dem Rechen wegzuraffen – solch ein goldenes Ding

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_059.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)