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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Nicht? – Das wissen Sie also ganz genau, so genau, als seien Sie ein Herz und eine Seele mit Ihrer Dame?“

„Genau so.“

Er lächelte in verletzendem Spott.

„Nun, es mag schon so sein – man weiß ja, daß die Zofe sehr oft die Vertraute ist, warum nicht auch für Gouvernanten-Bekenntnisse? – Ob die Damen es aber lieben, wenn mit dieser Intimität renommirt wird?!“

Sie bückte sich, um einige Dillstengel aufzulesen, die dem Kräuterbündel in ihrer Hand entfallen waren, dann aber richtete sie sich rasch und kerzengerade wieder auf, und ihr schönes Auge funkelte ihn feindselig an.

„Ist es nicht immer und überall die selbstverständliche Aufgabe der Zofe, zu wissen, für wen man nicht zu Hause sein will? Und sie –“

Sie stockte plötzlich unter einem glühenden Erröthen und biß sich wie verwirrt auf die Lippen, als könne und wolle sie damit jetzt noch die entschlüpfte scharfe Antwort ungesprochen machen. – Ach ja, sie besann sich wohl in diesem Augenblick mit Schrecken, daß derjenige, für den man nicht zu Hause sein wollte, der Besitzer eben dieses Hauses war und nach Belieben ihrer bettelstolzen Dame das Dach über dem Haupte wegnehmen konnte.

Er weidete sich an ihrer Bestürzung und half ihr nicht mit einem Wort über das Angstgefühl hinweg, das sie sichtlich beklemmte, obwohl dieses schlanke, plötzlich ganz demüthig in sich zusammengeschmiegte Mädchen in diesem peinvollen Moment nichts weniger als die „Aparte“ war, sondern weit eher an ein erschrecktes Reh erinnerte, aber – Strafe mußte sein.

„Sie möchte die Verborgenheit, in der sie lebt, durch keine fremde Erscheinung unterbrochen sehen,“ ergänzte sie nach einem beklommenen Athemholen mit fast bittender Stimme.

„Das glaube ich Ihnen nicht,“ entgegnete er ungerührt. „Das Gouvernantenthum, das um Alles gern in vornehmen Häusern auf dem Strom der Geselligkeit mitschwimmt, qualificirt sich am allerletzten zum menschenscheuen Klosterleben.“

Wieder richtete sie sich empor, und ein bitteres Lächeln flog um ihren Mund.

„Vielleicht ist sie doch nicht so schlimm, wie die Anderen, die Blaustrümpfe, die Genußsüchtigen, denen Sie Ihre genaue Kenntniß des ,Gouvernantenthums’ verdanken. … Uebrigens erinnere ich Sie daran, daß Sie gestern selbst gesagt haben, Sie würden ihr aus dem Wege gehen, wo Sie könnten.“

„Sie weiß das?“

„Wort für Wort!“

„Durch Sie – selbstverständlich! Die Zuträgerei ist ja das Element der Kammerjungfer. Ich habe das allerdings wörtlich gesagt und wiederhole ausdrücklich, daß ich mich durchaus nicht darnach sehne, mit einer Dame jenes Standes, der mir nun einmal den entschiedensten Widerwillen einflößt, in irgend eine Beziehung zu treten – ich bestätige Ihnen das ganz gern noch einmal. … Nun zwingen mich aber seltsame Verhältnisse, Fräulein Agnes Franz trotz alledem um eine halbstündige Besprechung zu ersuchen – indeß, das läßt sich wohl schließlich auch mit der Feder abmachen – ich werde ihr schreiben.“

„Sie glauben wirklich, daß nach Allem, was Sie sagten, eine Zuschrift von Ihrer Hand angenommen und gelesen würde?“ fragte sie mit verächtlich zuckenden Lippen.

„Ei freilich – die Dame wird müssen. Sie wird müssen um ihrer eigenen Existenz willen,“ versetzte er, und seine Augen begannen zu funkeln.

Sie fiel abermals aus ihrer Demuthsrolle und lachte hart auf. „Müssen?“ wiederholte sie. „Wohl, um nicht von dieser armseligen Scholle verjagt zu werden? Sie könnten sich doch irren. Ich glaube, eher wandert sie barfuß in Nacht und Nebel in die Wildniß hinein –“

„Es wird ihr dann auch nichts anderes übrig bleiben.“ Er hielt mühsam an sich.

„Nun ja, das ließ sich von dem neuen Herrn des Hirschwinkels nicht besser erwarten,“ rief sie mit fliegendem Athem. „Wir wußten, daß der Mann, ,der kein Herz hat, wie es einem praktischen Geschäftsmann ziemt’, eines Tages kommen und die schlechten Zahler austreiben würde – wir wußten, daß Sie wirklich und wahrhaftig der mitleidslose Reiche sind, wie er in der Bibel steht

„Und Sie, die Dienende, das Mädchen aus dem Volke, Sie wagen es, diesen ,Reichen’ herauszufordern?“ unterbrach er sie, plötzlich ganz ruhig, fast heiter. – „Besinnen Sie sich! Der Amtmann wird es seiner Magd schwerlich Dank wissen, wenn sie durch aufreizende Reden seine schwierige Lage noch verschlimmert. Zu alledem steht Ihnen der Zorn nicht, schöne Aparte.“

Bei diesen Worten trat er um einen Schritt vor, und sie wandte sich darauf zur Flucht.

„Noch weniger aber paßt diese übertriebene Zimperlichkeit zu Ihrer Stellung,“ setzte er stirnrunzelnd, mit zornigen Augen hinzu. „Thun Sie doch nicht, als sei ich ein Mädchenjäger, weil ich mir einmal erlaubt habe, einen Blick unter Ihren Hutschirm zu werfen! Das hing mit dem seltsamen Zug in der Menschennatur zusammen, nach welchem das Verborgene reizt. Vielleicht hätte mich auch schon das eine oder andere weibliche Wesen meiner Bekanntenkreise lebhafter interessirt, wenn es verstanden, durch Maskirung des Gesichts meine Wißbegierde rege zu machen. … Heute lassen Sie die Sonne ungehindert Ihre Stirn bescheinen und haben somit keine Ursache, mir aus dem Wege zu gehen, wie einem Bilderstürmer oder Gott weiß was für einem Missethäter. … Uebrigens möchte ich wohl wissen, was Sie in Ihrer späteren Stellung mit Ihren angeflogenen Salon-Manieren anfangen wollen.“

Sie war stehen geblieben, und so gereizt sie auch sein mochte, jetzt unterdrückte sie ein Lächeln.

„Lassen Sie das meine Sorge sein – gute Manieren schaden auch einer Dienenden nicht. … Meine spätere Stellung?“ Sie zuckte die Achseln und sah mit einem ruhigen Blicke zu ihm auf. – „Ich meine, seinen Lebensgang macht doch wohl ein Jedes auch ein wenig von innen heraus, nicht allein, wie es vom Schicksal geschoben und gestoßen wird; das wird mir den Muth nicht so leicht sinken lassen – dazu bin ich jung und gesund und für mich selbst innerlich völlig gefaßt auf den Moment, wo wir da hinaus –“ sie zeigte über den Zaun hinweg nach dem Thore in der Hofmauer – „mit dem Stabe in der Hand ziehen müssen –“

„Um in’s Forstwärterhaus überzusiedeln, wo die Stellung der Hausfrau winkt,“ setzte er im Stillen tiefergrimmt hinzu und ballte in der Erinnerung an den unausstehlichen Grünrock die Rechte. Vielleicht wäre er auch so boshaft gewesen, diese Bemerkung auszusprechen, wenn nicht ein plötzlicher Lärm im Hofe das Gespräch unterbrochen hätte. Der Hund bellte wie toll; Tauben flogen erschrocken und geräuschvoll auf die Dächer und eine tiefe, starke Männerstimme rief wiederholt: „Holla, Kind!“ und schalt dann ärgerlich: „Wo sie nur stecken mag!“

Das Mädchen war bereits nach der Gitterthür geflogen und stieß sie auf.

„Ach so – hast Etwas für Deine Küche geholt!“ beruhigte sich die Stimme drüben. „Hör’ ’mal, Kind – da draußen vor dem Thore treibt sich seit mindestens fünf Minuten ein fremder Strolch herum – der Kerl mit seinem polizeiwidrigen Bart irritirt mich. Schneide ihm doch ein Stück Brod ab und gieb ihm diese zwei Pfennige da – mehr wird auf dem Vorwerk in der jetzigen miserablen Zeit nicht verabreicht; das sage ihm, damit er sich endlich trollt!“

Der Gutsherr hatte sich inzwischen auch der Thür im Zaun genähert, war aber doch zögernd für einen Moment in dem dunkelnden Himbeergebüsch stehen geblieben. Er konnte seitwärts die schiefeingesunkene Front des Wohnhauses mit ihren blinden, glanzlosen Fensterscheiben übersehen. Wie entsetzlich und hoffnungslos mußte der Zusammensturz der Franz’schen Vermögensverhältnisse gewesen sein, daß diese klägliche Behausung als rettender Hafen hatte gelten können, und heute erst recht mit einem wahren Verzweiflungstrotze, als letztes Asyl, berechtigten Ansprüchen gegenüber behauptet wurde!

Auf der Schwelle der Hausthür stand ein hochgewachsener, hagerer, alter Herr. In der Rechten hielt er eine lange Pfeife und mit der linken Hand stützte er sich auf einen Gehstock. Er hatte ein kräftig gezeichnetes, edles Profil und mußte als jüngerer Mann auffallend schön gewesen sein. Jetzt freilich legte sich eine faltige, gelbe Haut über das Knochengerüst des Gesichts, und die dunklen Augen lagen wie ausgeglühte Kohlen in den weiten Höhlen. Das mußte er sein, der notorische Spieler und Schlemmer; die verwüstende innere Arbeit der Leidenschaften trat in diesen Zügen klar zu Tage.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_074.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)