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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Herr Markus, kochheiß wie in einem Backofen.“ Sie fuhr sich mit dem kühlen Schürzenzipfel über Gesicht und Hals. „Ich war heute schon mit meiner Luise in den Morcheln, und einen Korb voll Erdbeeren haben wir auch zusammengelesen. Um vier Uhr in der Frühe sind wir schon aus den Federn und haben uns auf den Weg gemacht; wir müssen gar weit laufen – bei uns giebt’s keine Morcheln. Aber drüben im Grafenholz, da schießen sie massenhaft – ich sage Ihnen, Kerle, halb so groß wie meine Faust – aus der Erde; da wachsen sie auf den alten Meilerstätten. Ja, wär’ das nicht, da brächten mich nicht zehn Pferde in das Grafenholz. Ich kann den Forstwärter dort nicht leiden; der thut gerade so dick und protzig, wie die auf dem Vorwerk. Und dabei muß ich Ihnen nur gleich sagen, daß ich für künftig mit der fremden Magd bei Amtmanns nicht unter einem Dache Hause – das geht ein für allemal nicht, schon meiner Luise wegen, wenn die in die Ferien kommt. Ich habe heute mein blaues Wunder gesehen. Ja, was meinen Sie denn – kommt uns doch das Mädchen in aller Frühe, sage halb fünf, aus dem Forstwärterhaus entgegen – hui, was Ihnen für ’ne Feuerfahne über’s Gesicht fährt! Ja, nicht wahr, in’s Herz hinein muß man sich schämen, wie es die Frauenzimmer heutzutage treiben!?“

Sie stellte ihm die gefüllte Tasse neben seine Schreibereien auf den Tisch. „So, nun wissen Sie den Skandal und dürfen sich nicht wundern, wenn die Griebel auch ’mal ihren Kopf aufsetzt. Müssen Amtmanns durchaus noch ein Dienstmädchen haben, dann will ich schon für ein braves sorgen, die Jetzige aber kömmt mir nicht herein. Sie werden gewiß ein Einsehen haben und das nicht verlangen, Herr Markus. Bei Griebel’s stehen Zucht und Ehrbarkeit allezeit obenan… . Und nun lassen Sie Ihren Kaffee nicht kalt werden, und schreiben Sie sich nicht krank! Ihr Kopf glüht ja wie eine Feueresse.“

Kaum war die Thür hinter ihr zugefallen, als Herr Markus aufsprang, wie wenn er gewaltsam Fesseln zerrisse, die ihn auf seinem Platz im Erker festgehalten. Die gute Frau Griebel war ein Klatschmaul, wie andere alte Weiber auch; er hatte Mühe gehabt, sie nicht bei den Schultern zu nehmen und empört zu schütteln. Es ließ sich ja nicht leugnen, die Verlästerte that apart und strebte in Sein und Wesen weit über ihren Stand hinaus, und das machte es nur zu begreiflich, daß sie angefeindet wurde, aber ihr Wandel war rein, und mochte sie zu allen Stunden aus dem Waldhüterhaus kommen. Ihm verursachte es nur stets eine Art von schmerzhaftem Schrecken, wenn vor seinen Ohren das Mädchen in Verbindung mit dem Grünrock genannt wurde. Und jetzt ging ihm ein grelles Licht auf – sein Samariterwerk, wie Pachter Griebel sein Vorhaben nannte, nahm einen ganz anderen Verlauf, als er gemeint hatte. Wohl konnte er sich mit gutem Gewissen sagen, daß er vom Anfang an beabsichtigt hatte, das Vermächtniß seiner Tante möglichst günstig für die Betreffenden in Kraft treten zu lassen, aber sein schleuniges, fast überstürztes Handeln war nicht dem edelsten Motiv entsprungen – er hatte dem Grünrock den Humanitäts-Nimbus nicht gegönnt; er hatte ihm zuvorkommen wollen und damit das Gegentheil von dem erreicht, was er im glühenden Eifer angestrebt. Die aufopferungsvolle Fürsorge des Mädchens wurde durch seine Anordnungen der Herrschaft nunmehr entbehrlich, und da konnte ja schleunigst Hochzeit gemacht werden. …

Frau Griebel hatte Recht, sein Kopf glühte, und das Blut hämmerte ihm fieberhaft in den Schläfen. Er durch maß unausgesetzt das Zimmer, und da wurde er sich plötzlich vollkommen klar über das, was in ihm vorging.

Wie, war es nicht, als sähe der Herr Oberforstmeister mit höhnischem Lächeln auf den „Schlosserssohn“ nieder, in welchem das Arbeiterblut mit richtigem Instinct „Gleich und Gleich“ erstrebte? Es wallte auf für Eine, die das Brod der Dienstbarkeit aß, für ein Mädchen im Arbeitskittel mit hartgearbeiteten Händen. Aber stand es der, welche da neben dem Hochmüthigen im bräutlichen Liebreize lächelte, auf der weißen Stirn geschrieben, daß sie adeligen Blutes gewesen war? – Durfte sich das Mädchen mit dem dunklen Haargewoge nicht kühnlich an die Seite dieser Blonden stellen? War sie nicht ebenso schön, und hatte sie nicht auch diesen seelenvollen, bezwingenden Blick, der hier im Bilde und dort unter dem verhüllenden Tuch hervor, das er mit kecker Hand zurückgestreift, so sonderbar an sein Herz gerührt? –

Mochte es draußen noch so schwül sein, es breiteten sich doch weite Wiesenflächen hin, über denen der hohe, blaue Himmel stand, und lange Weglinien schafften den wandernden Füßen Raum im Walde – hier erdrückte ihn der niedere Plafond auf den engen vier Wänden.

Er griff nach seinem Hute. Die hingeschleuderte Feder lag in einer Tintenlache auf einem halbbeschriebenen, sauberen Briefbogen, und verschiedene leichte Zettel waren bei seinem hastigen Aufspringen von der Tischplatte herab auf den Boden geflogen. Er hatte keinen Blick für diese Unordnung. Mochte der Buchhalter daheim noch so dringend der erbetenen Weisungen bedürfen, der Chef der großen Firma Markus, sonst der strengste und gewissenhafteste Arbeiter seines Comptoirs, stürmte hinaus, achtlos die geschäftlichen Interessen hinter sich lassend.


10.

Er schlug ohne Weiteres den am Fichtengehölze hinlaufenden Weg ein. Seine Vorsätze, aus eigenem Antriebe das Vorwerk nicht wieder aufzusuchen, waren verweht wie die leichten Staubwölkchen, welche die dicke, heiße, träge dahin streichende Nachmittagsluft von dein ausgedörrten Feldweg aufnahm und vor seinen Augen zerblies. – Er scheute sich auch nicht, nachdem er die linke Flanke des Gehöftes umschritten, vor den geschlossenen Thorflügeln Halt zu machen und in den Hof durch dieselben Breterspälten zu sehen, vor welchen zwei Tage früher der Bettler gekauert, dem die Armuth ein paar Zehrpfennige hingeworfen hatte.

Ueber dem weißgebleichten Pflaster des öden Hofes, das seit vielen Tagen kein fallender Regentropfen benetzt, flimmerte die brütende Sonnengluth. Das Federvieh mochte sich von den glühenden Steinen in dunkle Stallecken zurückgezogen haben, und der angekettete Hund, der jenseits der Mauer bei den nähenden Schritten des Gutsherrn einen schwachen Kläffversuch gemacht, hatte es auch wieder aufgegeben, bei der Hitze zu rebelliren. In dem Zimmer der alten Leute dagegen, die das kalte, feuchte Gemäuer des niederen Wohnhauses Tag und Nacht anfröstelte, schien der heiße Brodem willkommen zu sein – zwei Fenster standen weit offen. An dem einen saß lesend der Amtmann, und durch das andere sah Herr Markus die Kranke mit gefalteten Händen still in ihren Kissen liegen. Die beiden Alten waren allein; hinter den gardinenlosen Fenstern zur Rechten der geschlossenen Hausthür rührte und regte sich nichts, und das Mansardenfenster streifte der Blick des Suchenden nur flüchtig; es war ihm sehr gleichgültig, ob Fräulein Gouvernante hinter den Rasenstücken sitze oder nicht; er hatte nur den einen Gedanken – nur den einen! Und der trieb ihn an, nun auch nach rechts das Gehöft zu umgehen und das Küchenfenster zu inspiciren. Aber auch hier war es still und einsam, wie im Garten, den er gleich darauf durchschritt, wie auf dem ganzen zum Vorwerke gehörenden Gelände, das er über den Weißdornzaun hinweg übersehen konnte.

Er nagte zornig an der Unterlippe. Sollte er wirklich nach dem Grafenholze gehen, um zu erfahren, daß er ein Narr sei, daß er demüthigender Weise das Nachsehen habe? Wenn sie das zu Hause gewußt hätten! Das Triumphgeschrei seiner Bekannten, die er so oft mit ihrem „Liebesfieber“ gehänselt, die Entrüstung seiner Stiefmutter, die eine Geheimrathstochter war, das boshafte Gekicher der jungen Damen, denen gegenüber er oft genug den ganzen Uebermuth eines Unbesiegten geltend gemacht – er malte sich das Alles in den lebhaftesten Farben, aber dabei durcheilte er immer hastiger sein eigenes Waldrevier und arbeitete sich schließlich durch das Gestrüppe nach dem Schlupfwinkel hinter der Buche, von welchem aus er das Forstwärterhaus beobachten konnte. Er begriff, daß es stets wie eine Art Rettung des Leibes und der Seele empfunden werden müsse, das wüste, staubumwirbelte Gehöft am Fichtenhölzchen mit dem rothen Hause da, wenn auch nur für Stunden, zu vertauschen. Wie ein schmucker, rothglänzender Würfel lag es auf grüner Rasendecke, die kein sonnversengtes Hälmchen entstellte, mitten im dunkelnden Buchengrün, hinter sich die himmelhohe, steile, guellenreiche Waldwand, die strotzendes Leben in riefelnden Wasseradern in’s Thal schickte.

Heute hatte es seine Physiognomie in Etwas verändert; die Vogelkäfige mit ihren lärmenden Insassen hingen nicht am oberen Giebelfenster, und alle Fenster der Eckstube, welche der Forstwärter für die Kranke auf dem Vorwerke reserviren wollte, waren durch niedergelassene Rouleaux verdunkelt – eine tiefe Ruhe webte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_106.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)