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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Ueberraschte zu gewinnen? Nichts als der Wille in dem klugen Mädchenkopfe da. Wollte er es wirklich erleben, daß Amtmanns Magd in kurzen, dürren Worten erklärte, sie bedanke sich recht sehr dafür, Herrin in der Villa Markus zu werden? Neu und unerhört den Gouvernantenbestrebungen gegenüber war diese Entscheidung jedenfalls und imponirend auch, und so und nicht anders fiel sie aus – das wußte er, und Herr Markus junior, der daheim recht schonungslos und übermüthig mit der feinen Koketterie in eleganter Toilette zu verfahren pflegte, er war auf seiner Hut und preßte die Lippen fest auf einander, damit ja kein feuriges Wort eine schneidige Abfertigung von Seiten des ernsten Mädchens im Arbeitskittel herausfordere. –


14.

Er hatte sonst gar nichts dagegen, daß Frau Griebel zu ihm kam; er plauderte stets sehr gern mit ihr, allein in diesem Augenblicke war ihm das Knarren der Lederschuhe, die, kräftig aufstapfend, das Gartentreppchen heraufkamen, in tiefster Seele zuwider. Er sah, wie bei diesem Geräusche ein helles Roth über das Gesicht des Mädchens lief; sie ließ sich jedoch nicht weiter beirren und band die Leinenrolle wieder zusammen, als Frau Griebel die Thür öffnete.

Auch das Töchterlein Luise kam mit. Die Präsentirteller, die Beide trugen, reichten kaum aus für die Himbeersaft- und Selterswasserflaschen, das Kaffeegeschirr, die Arnika-Tinctur und Gott mochte wissen was Alles die brave Dicke in der Eile zusammengerafft hatte.

„Na –?!“ fragte sie gedehnt, mit hochgezogenen Brauen und auf der obersten Stufe wie festgenagelt stehen bleibend. Und flinker als gewöhnlich wandte sie den Kopf zurück nach ihrem Küchlein und machte sich sichtlich breit, nur den Thürrahmen mit ihrer Person auszufüllen und den naseweisen jungen Augen, die sie hinter sich wußte, den Einblick zu versperren.

„Ja, nun kommen Sie zu spät, verehrteste Griebel!“ sagte der Gutsherr. „Es ist doch nicht zu verachten, wenn man altes Leinen und Arnika bei der Hand hat, wie die Leute aus dem Vorwerk. Das Malheur mit meiner ungeschickten Hand ist mir dort passirt, und weil ich schreckliche Angst vor dem Verbinden hatte – ich bin gar furchtsam von Gemüth – so bin ich ausgerissen, freilich umsonst“ – er zuckte mit dem ernsthaftesten Gesicht die Achseln – „der Heilgehülfe ist mir auf den Fersen geblieben, und wohl oder übel mußte ich still halten. Da sehen Sie her, Fürsorglichste aller Pflegemütter! Die klaffende Wunde ist zugenäht, kunstgerecht zugenäht, und den will ich sehen, der an dem Verbande Etwas auszusetzen hat.“

„’s ist die Möglichkeit – zugenäht?“ mit diesen Worten wurde der Präsentirteller klirrend auf den Tisch gesetzt, und somit war es nunmehr auch Klein-Luischen unverwehrt, einzutreten.

„Na, dann ist’s ja gut,“ meinte Frau Griebel. „Aber das mit dem ,furchtsamen Gemüth’, das lassen Sie nur unterwegs, Herr Markus – ich bin nicht von gestern. … Meiner Treu, die Bandage sieht wirklich aus, als hätte sie unser alter Medicinalrath auf Schloß Heinrichsthal angelegt – das ist ein tüchtiger Mann, ein berühmter Doctor, Herr Markus. Ja, vor so einem Verbande, wie der da, muß sich freilich der Tillröder Bartkratzer in die Ecke verkriechen. Und das hast Du gemacht? Du, die Magd bei Amtmanns?“ – Sie richtete ihre Augen scharf auf das Mädchen. – „Ja, wo lernen denn bei Euch zu Lande die Mägde solche Männerarbeit? Nicht einmal im Institut, wo doch meiner Luise das Menschenmögliche beigebracht wird, kömmt dergleichen vor – oder doch, Luise?“

„Nein, Mama,“ erwiderte das Töchterlein, das bisher schweigend Amtmanns schöne Magd angestaunt hatte. – „Aber eine Mitschülerin, die zu Ostern auf ein Gut in Südrußland als Gouvernante engagirt ist, geht jetzt zu den Diakonissinnen, um die Krankenpflege zu lernen.“

„So? – Na ja, da ist’s richtig – Euer Fräulein drüben ist auch eine Solche, und Du hast’s ihr abgeguckt!“ sagte Frau Griebel zu dem Mädchen, das mit weggewendetem Gesicht ruhig das Zusammenpacken der Utensilien beendete und nun den Korbdeckel darüber legte. „Das ist ja nun freilich ganz gut und praktisch bei einem Malheur, wie es unserem Herrn passirt ist; da konnte sie Dich doch nachschicken. Sie selbst dürfte es natürlich nicht probiren, bis hierher, in die Herrenstube zu kommen – das wäre eine schöne Blamage für eine Amtmannsnichte. Hui, da möchte ich meine Trabanten in Stall und Küche hören.“

Ein flammendes Erröthen schoß dem Mädchen in die Wangen, und ihre Hände fuhren rückwärts, nach den verknoteten Zipfeln ihres großen weißen Busentuches, um sie zu lösen.

„Was reden Sie da?“ fuhr der Gutsherr scharf und zornig auf. „Wo bleibt der gesunde Sinn meiner braven Griebel? Ich frage, welcher vernünftige Mensch möchte sich wohl dem urtheilslosen Gewäsch Ihrer ,Trabanten in Stall und Küche’ unterordnen? Die ärztliche Hülfe, gleichviel wer sie ausübt, steht über dem Verband des gesellschaftlichen, oft recht albernen Herkommens. Das wären mir die rechten Helfer, die einem Ertrunkenen oder Verblutenden gegenüber erst erwögen, ob sich der ärztliche Beistand auch für sie schicke.“

„Na, mit dem Verbluten war’s so gefährlich nicht, Herr Markus,“ entgegnete Frau Griebel mit unzerstörbarer Ruhe und nicht im Mindesten empfindlich. „Ihre schöne Rede in Ehren, aber so ganz zutreffend war sie doch nicht. Und dem guten Ruf einer Dame kann auch die grobe Gesellschaft, die ich meine, eine Schlappe beibringen – dabei bleibe ich – gerade so wie das nichtsnutzige Mäusevolk in das schönste Seidenkleid seine Löcher knabbert, ohne den Kukuk danach zu fragen, ob es vornehm ist oder nicht. Sie sollten nur einmal die Klappermühlen in der Gesindestube hören, zum Beispiel über diese da“ – sie zeigte auf das Mädchen – „aber ich will mir den Mund nicht wieder verbrennen – i Gott bewahre! – ich bin still,“ unterbrach sie sich.

„Darum möchte ich auch recht sehr bitten,“ sagte Herr Markus mit finsterem Ernst.

„Du meine Seele, Sie nehmen ja das so ernsthaft, wie ein Advocat, Herr Markus. Ja gelt, nun ist die ,brave Griebel’ auf einmal ein alter Drache, der der lieben Jugend spinnefeind ist – ich kann mir’s schon denken. Aber so bin ich nicht, nein, so bin ich nie gewesen. Schöne, junge Mädels haben mir’s mein Lebtag angethan, auch in meiner Jugend, und ich hab’ vielleicht gerade um deswegen so gern an so einer Schlanken in die Höhe gesehen, weil ich selber keine Schöne gewesen bin – halt immer so ein kleiner, dicker, runder Knopf, wie heute noch, aber meinem Peter war ich doch recht so. … Na ja, wie ich sage – und in der Seele leid hat mir’s immer gethan, wenn’s mit so Einer, die ich in mein Herz geschlossen hatte, auf einmal ein Häkchen gehabt hat, und die Leute haben mit Fingern auf sie gewiesen – Du brauchst Dich nicht auf die Seite zu drücken“ – wandte sie sich nach dem Mädchen zurück, das leise hinter ihr wegging und die Altanthür zu gewinnen suchte, und wie neulich auf dem Fahrweg bei der Schneidemühle hielt die dicke Frau den Schürzenzipfel der Fortstrebenden fest. „Das, was ich sage, paßt auch auf Dich, ja gerade auf Dich. … Jetzt, wo Du das Scheuleder nicht über dem Kopfe hast, jetzt sieht man erst, was an Dir ist. Du bist eine schöne Person – das muß Dir der Neid lassen. Meiner Treu, so ein Gesicht kann man weit und breit suchen –“

Sie verstummte für einen Moment, buchstäblich verblüfft; denn das Mädchen riß sich bei den letzten Worten das Halstuch ab und warf es verhüllend über den Kopf. Nun aber übermannte ein heiliger Zorn die gleichmüthige Frau.

„Was? Bist Du denn eine Katholische, eine Klosternonne, daß Du gar so penibel thust? Ist’s denn ein Unglück oder eine Schande, wenn Dir eine ehrbare Frau in Dein Gesicht guckt? – Tausendsapperment, was für eine Heilige! Sag’ mal, bist Du denn auch im Forstwärterhaus solch ein scheuer Vogel?“

Ein lauter Ausruf Luisens schnitt diese kräftige Strafrede ab. … Bei der heftigen Bewegung des Mädchens war ihr das gelöste Sammtband vom Halse auf den Teppich herabgeglitten.

Sie selbst so wenig wie die erbitterte Frau hatte Acht darauf gehabt; mit desto mehr Spannung aber war Herr Markus dem Herabgleiten des Bandes gefolgt, und nun griff er hastig zu und nahm es vom Boden auf – eine Goldmünze hing daran, bei deren Erblicken Klein-Luischen den Jubelruf ausgestoßen hatte.

In diesem Augenblick fiel aber auch der Blick des Mädchens auf das am Bande schaukelnde Goldstück. Sie fuhr mit beiden Händen prüfend nach ihrem Halse.

„Der Henkelducaten ist mein,“ erklärte sie gelassen und streckte die Rechte nach ihm aus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_138.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2016)