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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

blauen Lüfte hineingriffen und verwegen dem glühenden Sonnenball zustrebten, um ihn zu verhängen, so wuchs die Ungeduld des Wartenden – wenn sie sich verspätete, bis der Gewittersturm losbrach, dann sah er sie heute nicht mehr.

Er nahm seinen Hut, schloß die Glasthür hinter sich und stieg das Balcontreppchen hinab, und in dem Augenblicke, wo er den Weg betrat, da wurde es auch lebendig hinter der äußersten Gehölzecke. Das stürmische Herzklopfen des harrenden Mannes erwies sich aber als gänzlich unmotivirt – es war nicht das verhaßte und doch so heiß herbeigesehnte „Scheuleder“, das über dem niederen Fichtendickicht auftauchte – ein Strohhütchen mit wehenden blauen Bändern auf den Blondzöpfen, kam Luischen dahergesprungen, und hinterdrein trabte die dicke, brave Mama.

Frau Griebel blieb auf halbem Wege stehen.

„Gott sei Lob und Dank, da kömmt’s, Herr Markus!“ rief sie mit einer Kopfschwenkung nach dem aufsteigenden Wolkengebirge zurück. „Wenn wir’s kriegen – das heißt eine rechtschaffene, gründliche Pelzwäsche, sonst dank’ ich – da backe ich den Tillröder Bettelkindern morgen einen Butterkuchen, der ihnen noch nach zehn Jahren gut schmecken soll.“

Sie stellte einen großen Handkorb auf den Weg und trocknete sich den Schweiß vom Gesicht.

„Das war ein heißer Gang, Herr Markus, und für mich selber wäre ich heute nicht um die Welt aus unseren kühlen vier Pfählen herausgekrochen,“ sagte sie zu dem Gutsherrn, der inzwischen herbeigekommen war, „aber die neue Magd ist um Mittag auf dem Vorwerk eingetreten, und da mußte ich selber nachsehen. Und es war gut, daß ich kam. Das dumme Mädel kömmt von einem reichen Bauerngut und heult nun über die leeren Schränke und den wüsten Keller. … Ich konnte mir’s schon denken, und hatte deshalb Schinken und Wurst und ein paar Einmachbüchsen in den Korb da gepackt, und während sie mir in der Küche vorlamentirte, da prakticirte meine Kleine die Sachen heimlich in den Speiseschrank. … Na ja, besonders schön ist’s freilich nicht da drüben – sie haben nichts in der Räucherkammer; die Schweine sind ihnen im vorigen Winter abgepfändet worden – und wer eben erst an den Fleischtöpfen Aegyptens gesessen hat, der mag sich bedanken. Um deshalb sollte die Herrschaft eigentlich doppelt freundlich zu dem neuen Gesinde sein, aber den Leuten steckt ja der Amtmannsdünkel im Blut, wie die Motten im Pelze – da ist nichts zu machen. … Wie wir in die Hausflur getreten waren, ich und meine Luise, da kam die Fräulein Gouvernante gerade die Treppe herunter. Sie hatte ihren grauen Hutschleier um den Kopf gewickelt –“

„Ja, man sah nicht viel von ihrem Gesicht,“ warf Luise ein, „aber sie ist so wundervoll gewachsen und sah vornehm aus wie eine Hofdame –“

„Und die ganze Hausflur roch in dem Moment nach Veilchen, wie zu Hause mein Leinenschrank,“ ergänzte Frau Griebel trocken. „Und wie ihr mein Schnattergänschen da mit seinen Blau-Augen ein Bischen vorwitzig in’s Gesicht guckt, da dreht sie sich weg und ist zur Hausthür hinaus, kein Mensch weiß wie. … Herr Markus, ’s ist schauderhaft, aber die Hoffahrt bleibt, und wenn im Magen keine Krume Brod und auf den Schuhen keine Sohle mehr ist. Ich hörte, wie ihr der Amtmann aus dem Fenster nachrief: ,Wo hinaus, Agnes?’ – ,In den Wald?’ – ,Hast Du auch Handschuhe am?’, – Nun bitte ich Sie, Herr Markus!“

Er lachte.

„Mein Gott, warum soll denn die Dame ihre schönen Hände nicht pflegen? Zwei Mägde arbeiten jetzt für sie –“

„So? Zwei? Na, Sie werden gucken, wenn ich Ihnen sage, was ich weiß. … Sehen Sie“– sie hob mit einer strafenden gekränkten Miene den Zeigefinger – „wie Sie gestern so morose Ihre Bücher zusammenpackten und aus dem Gartenstübchen fortliefen, als wär’ Feuer auf dem Dache, da dachten Sie in Ihren Gedanken: ,Die alte Katze, die!’ Und die ,alte Katze’ war ich? Na, na, seien Sie nur still! Das weiß ich so gut wie das ABC – das hab’ ich Ihnen nur so von Ihrem bösen Gesicht abgelesen. Aber ich war still und dachte auch mein Theil. Und ich hab’ Recht gehabt, und ein andermal trauen Sie doch lieber einer ehrlichen alten Frau, die ihr Lebtag nicht gelogen hat, als so einem Paar schwarzen Zigeunerfunkelaugen –“

„Was ist geschehen?“ schnitt er ihr heftig, in unverhehltem Schrecken die Rede ab.“

„Na, ein Unglück, über das man sich alteriren müßte, doch beileibe nicht! Wie kommen Sie mir denn vor, Herr Markus? Was geht es denn im Grunde uns Beide an, wenn Amtmanns Knall und Fall ihre Magd wegjagen?“

„Weggejagt, sagen Sie?“

Jetzt kam ihr unzerstörbarer Gleichmuth doch ein wenig in’s Schwanken. Sie sah ziemlich consternirt dem jungen Mann in’s Gesicht, der sie so grimmig anfuhr.

„Sie thun ja, meiner Treu, als hätte ich das Mädel beim Kragen genommen. Da muß ich denn doch recht sehr bitten. Ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, daß ich das aparte Ding jemals in mein Herz geschlossen hätte – das ist Keine nach meinem Sinn – aber ihr schaden und bei der Herrschaft verhetzen – nein, das brächte ich nicht über’s Herz. … Ich fragte nur so nebenbei die ,Neue’: ,Wo steckt denn die Andere?’ Da guckt sie mich ganz dumm und perplex an und weiß von keiner Anderen. … Das Fräulein habe ihr das Nöthige gezeigt, sagte sie, und der alte Herr schnüffele auch immer in der Küche herum und commandire brummig und barsch wie ein Unterofficier ein anderes Gesicht sei ihr aber weiter nicht vor die Augen gekommen –“

„Zur Sache!“’ drängte der Gutsherr, bebend vor Ungeduld.

„Na ja – wie ich nachher drinn in der Stube nach dem Mädchen frage, das ich doch oft genug auf den Vorwerksäckern bei der Arbeit gesehen habe – hören Sie, da kehrt doch die alte Frau im Bette das Gesicht ganz blaß und still nach der Wand, und der Amtmann kriegt einen feuerrothen Kopf und sieht mich mit Augen an, als wollt’ er mich fressen, und stottert und poltert und schnauzt mich an:

,Die da? Na, die ist fort, ja, fort über alle Berge, wie es sich ganz von selbst versteht. Oder glauben Sie etwa, meine Gute, ich werde zwei solche Tagediebe ernähren, jetzt, wo sie mir die Bude über dem Kopfe einreißen, und meine ganze schöne Oekonomie stockt und stille stehen muß?’

Ich bitte Sie, ,die ganze, schöne Oekonomie,’ Herr Markus! Der alte Aufschneider, der! … Und was er sich nur einbildet, daß ihm eine erfahrene Frau, wie ich, die Flunkerei mit dem Mädchen glauben soll! In der ganzen Welt läßt sich kein Dienstbote ohne richtige Kündigung fortschicken, wenn nicht ein ganz besonderer Grund vorliegt. Weshalb Unsereins den Grund nicht erfahren soll, das weiß ich freilich nicht; aber den Kopf will ich mir gleich ahschneiden lassen, wenn da nicht der Henkelducaten im Spiele ist. … Na, wohin denn so geschwind, Herr Markus?“

Sie wandte sich um und sah mit hochgezogenen Brauen dem Gutsherrn nach, der, im Sturmschritt an ihr vorüber, den Weg einschlug, den sie gekommen war.

„Und das fragen Sie auch noch, Verehrteste?“ rief er zurück. „Können Sie sich denn gar nicht denken, daß ich furchtbar neugierig bin, die unvergleichliche ,Neue’ kennen zu lernen?“ —

Er eilte weiter, als trüge ihn der erste leichte Windstoß, der an der Gehölzecke aufflog, über das Weggeröll hin. Sein Blick durchforschte das karg bestandene Gelände – irgendwo, aus einem dürftigen Aehrenfeld, oder zwischen den letzten Heuhaufen der nächsten Wiese, sollte und mußte ja das weiße Kopftuch auftauchen, aber es rührte und regte sich nichts im weiten Felde; nur die so lange ersehnten Wolkenschatten liefen drüber hin, als tröstende Vorboten, als Gewitterherolde, und durch die Birnbaumwipfel des Vorwerksgartens blies ein zweiter schwacher Windstoß und schüttelte geräuschlos verschrumpfte, kleine Früchte auf den Weg.

Herr Markus kam an der stillen, dunklen Lindenlaube vorüber und schritt durch das Himbeergebüsch in den Hof – da wurde es endlich laut. Die Thür knarrte; Spitz hob die Nase von den Vorderpfoten und kläffte, und vom Hause her klang brummiges Schelten.

Beim Eintritt in die Hausflur sah er den Amtmann vor dem Speiseschrank in der offenen Küche stehen. In der Linken hielt der alte Herr Stock und Pfeife, und mit der Rechten warf er eben die Schrankthür in’s Schloß, daß sie in den Fugen ächzte. Darauf zog er den Schlüssel ab und steckte ihn in die Schlafrocktasche.

„Der Teufel soll die Wirthschaft holen,“ brummte er, in die Hausflur hinkend. Er streckte die Hand dem Gutsherrn hin, dem er in diesem Augenblicke vorkam wie ein schlechtspielender Poltron auf der Bühne. – „Liegen da, im offenen Speiseschrank, eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_154.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2016)