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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

stürzten auf’s Neue, wie erlöst, die Wassermassen nieder, in klatschender Wucht, und einen ganzen Hagel kleiner, rasselnder Eiskörner mit sich schleppend.

Herr Markus sprang quer über die Wiese, den Abhangs hinauf. Da oben stand, wie er wußte, ein kleiner Schuppen, ein Unterschlupf für die Waldarbeiter, halb verdeckt vom Dickicht, unter den Tannen. In wenigen Augenblicken hatte er das primitive Asyl erreicht. Es hatte drei aus groben Bruchsteinen mühelos hergestellte Wände und ein Dach aus dünnen Fichtenstämmen, und wenn der Regenguß nicht das festgestopfte Moos aus den Fugen riß, dann war der Schutzsuchende wenigstens nothdürftig vor Sturm und Nässe geborgen.

Er zog sich in die Tiefe des Schuppens zurück und sah, halb gepackt von Grauen, in das Unwetter hinaus. Da war es nun, was am Sonntag Pfarrer und Gemeinden der Walddörfer inbrünstig vom Himmel erfleht hatten, das köstliche, strömende Naß, das die halbvertrockneten Adern der Pflanzenwelt füllen und die Hoffnung auf den Erntesegen, auf das nöthige Stück Brod neu beleben sollte. Aber unter welchen furchtbaren Kämpfen gab es die Natur heraus!

So grauenvoll lebendig zuckte und zischte die Feuerschlange aus allen Richtungen, so ohne Unterlaß krachten die folgenden Donnerschläge, daß man meinen konnte, dem alten Griechengott sei das Bündel seiner Blitze entfallen – es war, als wollten diese erschütternden Detonationen die seit Jahrtausenden eng zusammengerückten Bergwände aus einander treiben … Und die hereinbrechenden Wasserfluthen wandelten im Nu die flache Wiese zum Seespiegel; sie füllten das ausgetrocknete Bett des kleinen Baches und schossen lehmfarben durch den Grund, Steingeröll und entwurzelte Pflanzen und schließlich auch den lose hingelegten Steg mit sich reißend. … Ob wohl der braven Griebel diese „Pelzwäsche“ gründlich genug war?

Uebrigens blieb das Stückchen Waldboden, das die drei Wände umschlossen, vollkommen trocken; das Wasser floß zu beiden Seiten den Abhang hinab. Auch das Dach, hielt wacker Stand; die unteren Aeste der sausenden Tannenwipfel peitschten freilich das schwanke Gefüge, aber sie wehrten auch dem ersten Aufprall des Regengusses, und nur wenn es dem Sturm gelang, sich einzuwühlen und die mächtigen Stämme wie Gerten auseinander zu reißen, dann kam ein direktes Sturzbad so prasselnd hernieder, daß dem Geflüchteten im Schlupfwinkel Hören und Sehen verging.

Das war nun ein Gewitter im Walde! Ein zornschnaubendes, versprengtes Ungethüm in einer Sackgasse. Es konnte nicht über die Berge und tobte, bis ihm der Athem ausging. … Das dauerte lange, unerträglich lange – Herr Markus lief schließlich glühend vor Unruhe und Ungeduld in dem engen Raum auf und ab. Aber nun wurde es auch allgemach heller; der Donner verrollte und die Regengüsse ließen nach. Allmählich wagten sich andere Laute hervor, das Piepen und Locken der Vögel, raschelndes Schlüpfen kleinen Gethiers durch das tropfende Geäst und schwaches Lebensgeräusch von menschlichen Wohnstätten herüber. Auch fernes Wagenrollen auf quikenden Rädern wurde hörbar; es kam auf der Fahrstraße näher und näher und hielt einen kurzen Moment vor dem einsamen rothen Hause. Dann schwankte der Wagen in dem zerweichten Boden schwerfällig weiter und erschien endlich auf dem Stück Wegbiegung, das Herr Markus übersehen konnte. Es war ein Leiterwagen mit übergelegter Plane, der wahrscheinlicher Weise den heimkehrenden Forstwärter ausgenommen und nun vor seiner Wohnung abgesetzt hatte.

Ah, der Grünrock war nunmehr zu Hause. Nun löste der Pfleger die Pflegerin ab, und wenn Angst und Besorgniß um andere, von dem grausen Unwetter überraschte Menschenwesen in ihr lebten, so fragte sie nicht nach dem immer noch fallenden Regen, nach dem schwimmenden Boden – sie benutzte ihre Freiheit, ihre Erlösung von den gebieterischen Wärterpflichten und kam.

Ja, sie kam. Sie kam daher wie eine dem Gefängniß Entsprungene – Schleierhut und Handschuhe und Schirm waren im Forstwärterhause liegen geblieben. Sie hatte die Schleppe über den Arm geschlagen; die schlanken, behenden Füße flogen den Weg daher, und mit wilden Bewegungen wandte sich der Kopf suchend nach allen. Richtungen – meinte sie, ein vom Blitz Erschlagener müsse am Wege liegen?

Herr Markus verließ den Schuppen und duckte sich hinter das nahe Tannendickicht. Sie konnte von unten aus den offenen Raum zwischen den drei Wänden übersehen und sollte und mußte ihn leer finden. Mit einem den Schuppen überfliegenden Blick eilte sie denn auch vorüber und schlug den schmalen, durch den Wald nach dem Hirschwinkel führenden Gehweg ein.

Daß dieser Pfad heute nicht mehr passirbar war, hatte sie freilich nicht wissen können – nun machte sie Halt und prallte zurück vor dem breiten, schäumenden Gewässer, zu welchem das halbversiechte, friedfertige, die Passage quer durchschneidende Bächlein angeschwollen war. … Kein Steg weit und breit! Sie lief wie verzweifelt am Ufer hin und suchte nach einer eingeengten Stelle, die sie überspringen könne.

Währenddem war der Gutsherr unhörbar den Abhang herunter, über den weichen, schwimmenden Wiesenboden hergekommen. Er stand hinter ihr in dem Moment, wo sie hastig ihre Kleider zusammennahm, um das Wasser zu durchschreiten. – Blitzschnell schlang er die Arme um sie und hob sie hoch vom Boden auf.

Sie stieß einen Schrei aus – ihr Antlitz, das wie in halber Ohnmacht auf seine Schulter sank, war furchtbar verweint und noch angstentstellt, aber jetzt verklärte es sich unter einem tiefen, erlösenden Aufathmen.

„Ich thue es nicht aus allgemeiner Menschenpflicht,“ flüsterte er ihr lächelnd in’s Ohr, während er sie durch das Wasser trug, „ach nein, solch ein Allerweltshelfer bin ich nicht. Ich thue es einzig um Ihretwillen.“

Drüben ließ er sie sanft auf den Boden niedergleiten.

„Sie haben sich wehe gethan,“ fuhr sie empor und faßte nach seiner verbundenen Hand, weil er mit einer raschen Bewegung von ihr weggetreten war.

„Ich habe mir nicht wehe gethan,“ sagte er doppelsinnig. Jeder Unbefangene hätte den versteckten Schalk in seinen Augen sehen müssen – sie in ihrer großen Aufregung sah ihn nicht. „Möglich, daß unter dem Verbande da etwas nicht in Ordnung ist,“ meinte er achselzuckend, „aber was thut das? Meine robuste Natur wird sich schon selbst zu helfen wissen. … Und nun gehen Sie schleunigst heim! Ich weiß, die alten Leute verzehren sich in Angst um die Blumensucherin. … Aber der Onkel wird schön zanken, daß Sie ohne Handschuhe ankommen – soll ich sie holen?“ Er machte Miene, nach dem Forstwärterhaus zurückzulaufen.

Sie schüttelte abwehrend den Kopf und jetzt dämmerte auch ein schelmisches Lächeln in ihren verweinten Zügen auf.

„Und der Hut ist auch liegen geblieben,“ sagte er, „die Regentropfen blitzen wie Brillanten in Ihrem Haare und werden Sie erkälten. Nun, den dünnen, grauen Schleier hätten sie auch nicht respectirt – da lobe ich mir das Kopftuch, das liebe, weiße Kopftuch meines Heilgehülfen. – Und nun leben Sie wohl!“

Mit diesen letzten Worten war er durch das rauschende Gewässer zurückgesprungen und schritt, ohne noch ein einziges Mal den Kopf umzuwenden, durch die Wiesen nach dem Fahrwege. Mit dem gewaltsamen, romantischen Pfadsuchen im wilden Unterholze war es selbstverständlich heute nichts – das hätte eine Griebel’sche „Pelzwäsche“ sonder Gleichen gegeben – den Weg aber, den die „Blumensucherin“ ging, wollte er um jeden Preis vermeiden, und so mußte er sich bequemen, das Forstwärterhaus zu passiren und in den ein beträchtliches Stück davon entfernten, gutgebahnten Waldweg einzulenken, denselben, auf welchem Frau Griebel bei der ersten Begegnung vom Grafenholze hergekommen war.

Hurtig legte er den Weg zurück – er hatte Eile. Der Regen hatte aufgehört; dagegen stand der Wald voll beladen, und wenn der Dahinstürmende an einen überhängenden Zweig stieß, dann brauste es wie ein Sturzbad über ihn her. … Wasser in Fülle hatte diese eine bange Stunde gespendet – der weiche moosige Boden stand voll Lachen, und der kleine Fluß, der die Schneidemühle trieb, schoß, bis an den Rand gefüllt, ungeberdig tosend durch das Wiesenthal.

Drunten am Ufer stand der Sägemüller mit fröhlichem Gesicht. „Heute hat es Brod geregnet, Herr Markus,“ rief er dem Vorübergehenden zu, und im offenen Hofthor kam ihm Peter Griebel entgegen. „Nun hat es gute Wege mit dem Verhungern auf dem Walde – die Kartoffelernte wird heuer eine gute. – Ja, solch eine Staupe lasse ich mir gefallen,“ sagte der Pächter tiefbefriedigt und reckte den Arm hinaus über das schwimmende, glitzernde Gelände. In der Hausflur aber lief Frau Griebel dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_172.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)