Seite:Die Gartenlaube (1881) 179.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Die Liesl? Wo steckt denn das Dirndl wieder?“ fragte sie.

„Draußen is sie,“ erwiderte der Bauer, indem er bedächtig Brille und Gesangbuch weglegte.

„G’wiß wieder bei die Teichbauerbub’n drüben,“ murrte die Alte und trollte sich eilig aus der Stube.

Vor dem Hofthor spähte sie, die braune Hand schützend über die Augen haltend, die Dorfstraße hinauf und hinab. Vergebens – nirgends von Liesl eine Spur!

Von der Bösenbachbrücke her kam eine Gestalt durch den Schnee geschritten, die sich langsam näherte. Es war der Schullehrer, der sich das „Weltblatt“ zu holen kam, das ihm der Himmelbauer zu leihen pflegte, wenn Liesl die Vorlesung beendet hatte. Schon von weitem grüßte der Lehrer gar ehrerbietig die Verwandte und Haushälterin des reichen Himmelbauers; die Alte dankte grämlich und humpelte dann die Straße entlang einer niederen Hütte am oberen Ende des Dorfs zu. Dabei mußte sie tüchtig durch den Schnee stampfen und immer wieder die dicht fallenden Flocken vom Sonntagsvortuche wegblasen. Das verbesserte ihre Stimmung nicht eben, und während die Alte sich mühselig einen Weg bahnte, knurrte sie unausgesetzt. „Der Wildling! Das Rabenbratl! Aber wart! Dir werd’ i’s zeigen.“

Endlich hatte sie ihr Ziel, das Teichbauerhaus, erreicht. Sie öffnete die morsche Thür, an welcher der Drücker gebrochen herabhing, trat aber nicht über die beschneite Schwelle, sondern rief, außen stehend, in den dunkeln Vorraum hinein. „Teichbäuerin! Is unser Liesl bei Euch?“

„D’ Himmelbauer-Liesl?“ tönte eine schrille Weiberstimme aus dem Dunkel heraus. „Die war net da. Wird leicht mit die Bub’n bei die drei Teich’ sein und Schlitten fahr’n.“

„Bei die drei Teich’!“ Der alten Veronika fuhr es in alle Glieder. Sie warf die Thür zu, ohne „B’hüt Gott!“ zu sagen, und brummte etwas vor sich hin, was wohl ein Fluch gewesen sein mußte; denn gleich darauf erschrak sie heftig, bekreuzigte sich und sagte im Weiterhasten geschwind zwei Vaterunser und einen Glauben her als selbstauferlegte Buße.

Bald war sie auch schon bei den drei Teichen angelangt, und dort stand richtig die Liesl mitten unter einer Bubenschaar und schrie und fuchtelte mit den langen Armen durch die Luft, daß die schweren blonden Zöpfe mit den breiten rothen Schleifen, die ihr die Veronika noch heute vor dem Kirchgang so sorgfältig gebunden hatte, um den kleinen Kopf nur so herumflogen. „Na wart’, Wildling!“ drohte die Alte und watete näher.

Hier erst sah sie die ganze Bescherung. Der älteste Bub der Teichbäuerin, der schwarze Toni, und der Bachschneider-Loisl, ein großer, flachshaariger Bengel, balgten sich im Schnee, daß es „frei eine Schand“ war. Die andern Buben standen herum und hetzten, allen voran aber Liesl. Die schrie unablässig:

„Halt’n fest, Loisl! ’nunter muß er, ’nunter muß –“ Da hatte sie auch schon eine tüchtige Ohrfeige weg, und die Veronika stand vor ihr. Die Alte faßte sie ohne viel Umstände am Ohr und führte sie trotz aller Gegenwehr, so rasch der tiefe Schnee es erlaubte, auf die Dorfstraße und in den Himmelbauerhof zurück. Doch ehe es ihr gelang, die heftig widerstrebende Liesl fortzuziehen, gewann der Toni Luft, duckte seinen Gegner unter und schrie der ingrimmig zurück drohenden Liesl ein höhnisches, heiser hervorgekeuchtes „Feuerliesl!“ nach.

Liesl stampfte in ohnmächtiger Wuth mit den Füßen, aber die alte Veronika hielt sie fest und schleppte sie mit sich fort nach Hause. Dort zerrte sie die arg zerzauste Liesl in die Stube, in welcher der Himmelbauer mit dem Schullehrer in ein politisches Gespräch vertieft saß, und nun erzählte sie ingrimmig, wo und wie sie das „nixnutzige Ding“ gefunden habe. „Und aus dem Wildling soll amal a Bäuerin werd’n!“ schloß sie ihren zornig hervorgepolterten Bericht.

„I mag ka Bäuerin werd’n,“ trotzte Liesl.

„So! Und was willst nachher denn werd’n?“ keifte die Alte.

„A Soldat oder a Jager!“

Die Veronika bekreuzigte sich. Aber der Himmelbauer lachte dröhnend, und der Schullehrer kicherte pflichtschuldigst mit.

„Das Dirndl is narrisch word'n,“ meinte der Bauer dann, und der Schullehrer fragte mit sanfter Stimme^

„Warum denn just ein Jäger oder ein Soldat?“

„Weil i nachher a G’wehr hätt’ und dem Teichbauer-Toni was anthun könnt’.“

„Jesus Maria!“ kreischte die Veronika und schlug rasch noch ein Kreuz. „Jetzt glaub’ i ’s frei selber: sie is überg'schnappt!“

„Was hat Dir der Toni denn so Fruchtbares angethan?“ fragte der Schullehrer wieder recht liebevoll und schielte dabei auf den reichen Himmelbauer hinüber.

„‚Feuerliesl‘ hat er mi g’haßen z’wegen meine rothen Maschen (Schleifen),“ platzte Liesl wüthend heraus und wurde selbst so roth wie ihre unglücklichen „Maschen“. Dann fuhr sie laut weinend fort. „Und der Bachschneider-Loisl hat sich ang’nommen um mi – und g’raft (gerauft) haben’s mit einand’ – und der Toni war der Stärkere – – und anthun muß i ihm was, oder i erstick’.“

Der Schullehrer verwies ihr sanft die unchristliche Rede, der Vater scholt sie ein „dalkertes Ding“, und die Veronika zahlte ihr oben in der Schlafkammer den weiten Weg bis zu den drei Teichen, die Flecken am Vortuch und den Sonntagsfluch mit ein paar tüchtigen Püffen heim.

Aber Liesl fühlte von alledem nichts, sie schlief mit dem einzigen Gedanken ein und erwachte mit ihm am Morgen wieder: „Der Toni hat mi Feuerliesl g’haßen, und i muß ihm was anthun, oder i erstick’.“

Der Name Feuerliesl blieb aber unabstreifbar an ihr haften; dafür sorgten schon die Buben, die ihn gehört, nicht minder als der Teichbauer – Toni selbst, der ihn erfunden und mit einer blutigen Schramme an der Stirn bezahlt hatte, die ihm von der Balgerei mit dem Bachschneider-Loisl geblieben war.

Am nächsten Sonntage drückte sich Liesl, nachdem sie die neue Nummer des „Weltblattes“ wieder vom Titel bis zum „Gedruckt bei Hummel in Wien“ mühselig durchbuchstabirt hatte, nicht, wie sonst, aus der Stube, sondern setzte sich still neben Veronika in’s Fenster und blickte in den klaren Wintertag hinaus. Die ganze Woche war sie schon anders als sonst gewesen; sie tobte nicht mehr in Haus und Hof umher, quälte nicht mehr Thiere und Menschen, störte die Mägde nicht mehr beim Melken und hatte seit vollen acht Tagen keinen einzigen Topf vom Brett geworfen, noch ihn zerbrochen. Eine schier unheimliche Stille herrschte jetzt im Himmelbauerhofe, welcher sonst von ihrem hellen Lachen, ihrem Tollen und Lärmen wiederhallt hatte, und Knechte und Mägde waren einig darin, daß die Liesl krank sein müsse, ja die alte Resi hatte sie insgeheim, während sie schlief, mit geweihtem Essig bespritzt, welcher bekanntlich die bösen Geister gründlich austreibt. Aber es half nicht; die „Feuerliesl“, wie sie allgemach selbst von den Hausleuten genannt wurde, blieb still und verschlossen.

So saß sie denn auch am Sonntage schier bewegungslos neben der alten Veronika, die Brauen zusammengezogen und die Lippen fest auf einander gepreßt. Plötzlich zuckte sie zusammen, sprang auf und starrte, geduckt wie eine wilde Katze, die zum Sprunge ansetzt, durch’s Fenster.

Draußen stampfte der Teichbauer-Toni, seinen Schlitten nachziehend, wohlgemuth durch den Schnee.

Mit einem Satze war Liesl zur Thür hinaus, und wenige Augenblicke später tönte von der Straße her ein mörderisches Geschrei in die stille Stube.

Die alte Veronika sah vom Gesangbuche auf und warf über die Brille hinweg einen Blick durch die Scheiben.

„Jesus Maria!“ schrie sie auf. „Himmelbauer! Der Phylax is los und auf’n Teichbauer-Toni.“

Der Bauer wurde blaß, sprang gegen seine sonst bedächtige Weise hastig vom Stuhle und eilte hinaus.

Es war höchste Zeit, daß Hülfe kam; denn schon lag der Teichbauer-Toni am Boden und Phylax zähnefletschend über ihm. Die Liesl aber stand dabei, schüttelte die langen Zöpfe mit den rochen Maschen, klatschte in die Hände und hetzte das Thier zu noch wüthenderem Angriffe.



2.

Jahr um Jahr war seitdem vorübergezogen und hatte manche Veränderung in's Dorf gebracht. Der Teichbauer, Toni’s Vater, war plötzlich gestorben, und mit dem kleinen Anwesen, das schon zu seinen Lebzeiten nicht eben glänzend bestellt war, ging es nun vollends bergab. Die Teichbäuerin stand ganz verlassen ohne Rath und Hülfe da denn auch ihren Aeltesten, den Toni, hatte sie so gut, oder vielmehr so schlimm wie verloren.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_179.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)