Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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aus den Jahren 1848 und 1849 wird einer warmen Aufnahme bei allen denen gewiß sein dürfen, welche sich seiner ausgezeichneten Verdienste um die Sache des Volkes und der bürgerlichen Freiheit von damals erinnern. Herr Doctor Lanken, der sich durch seine Energie in den Vereinigten Staaten eine höchst geachtete Stellung geschaffen, hat diese doch aufgegeben, um den Rest seiner Tage in der alten Heimath bei seinem Sohne, unserm vielbeschäftigten und eminenten Rechtsanwalt Aurel Lanken, zu verleben.’ – Für so etwas oder dem Aehnliches könntest Du schon sorgen, denk ich, wenn“ – der alte Herr lachte plötzlich verachtungsvoll auf – „wenn Eure Censur es nicht streicht.“
„Wenn wir eine Censur hätten, bester Papa,“ entgegnete Aurel ziemlich trockenen Tones, „so würde sie Dir höchstens das – Doctor streichen, weil es Dir meines Wissens nicht zukommt – aber wir kennen keine Censur mehr. Ueberhaupt wirst Du Dich darauf gefaßt machen müssen, sehr viele Dinge hier völlig verändert zu finden und viele Voraussetzungen in Rauch aufgehen zu sehen, obwohl sie Dir vielleicht zu lieben Bedürfnissen geworden.“
„Glaubst Du, weiser Daniel? Na, wir werden ja sehen. Hoffenlich geht meine Voraussetzung, daß baierisches Bier hier zu Lande noch immer ein gutes Getränk sei, nicht durch den Stoff, den die Kellner dort herbeischleppen, in zuviel – Schaum auf!“
Sie hatten sich an einem der unbesetzten Tische niedergelassen – ein Kellner brachte mit großer Beflissenheit ein paar gefüllte Seidel und fragte dann mit tiefer Verbeugung, ob sonst noch etwas befohlen würde?
Da nichts befohlen wurde, schoß er davon.
„Befohlen’! Lakaienseele!“ sagte der alte Herr. „Kann der Mensch nicht mit aller Würde und dem Bewußtsein, daß seine Waare soviel Werth hat wie mein Geld, das Bier auf den Tisch stellen?“
„Ich zweifle nicht daran,“ versetzte Aurel, „obwohl ich nicht sicher bin, daß eine Zugabe von Kellnerwürde das Getränk schmackhafter machte.“
„Wär’ auch nicht nöthig,“ sagte der alte Herr, der eben einen tiefen Zug gethan und jetzt mit großen Aplomb das Glas auf den Tisch setzte. „Euer Bier ist gut – wahrhaftig es ist besser, als das drüben, jenseits des großen Teiches. Das räum’ ich Dir mit Vergnügen ein – aber Du trinkst nicht?“
„Nein – ich vertrage Bier nicht.“
„Ah – Du verträgst es nicht? Ein Volksmann, der … aber, Goddam, wenn ich Dich so ansehe, Aurel, machst Du mir überhaupt den Eindruck eines eingefleischten Aristokraten – siehst aus wie aus dem Ei geschält; auf Deinem Haupte leuchtet der Glanz eines Cylinders, der noch vorgestern der Stolz eines Hutmacherladens war; Dein Vollbart ist gestutzt und beschnitten, daß es eine wahre Freude für einen Friseur ist, es zu sehen –“
„Mein lieber Vater,“ unterbrach ihn Aurel mit einem halb spöttischen halb wehmüthigen Lächeln – „Du wirst Dich auch darein finden müssen, daß zu den Voraussetzungen, die Dir, wie ich sagte, in Rauch aufgehen werden, auch einige gehören, welche die Lage und die Verhältnisse Deines Sohnes nahe angehen. Es ist mir das freilich tief schmerzlich, und Gott weiß, daß ich nichts Besseres verlangte und keine größere Freude haben könnte, als wenn Du in Deinem einzigen Sohne völlig das fändest, was Du mit väterlichem Stolze in ihm zu finden erwartetest – einen treuen Erben Deiner Gesinnungen, einen schneidigen Anwalt Deiner Grundsätze – einen gefeierten Volksmann und Vorkämpfer für Alles, was den schönen Namen: ‚Fortschritt‘ trägt –“
„Und das werde ich nicht finden?“ fiel der alte Herr, ihn groß ansehend und das eben ergriffene Seidel auf dem halben Wege zwischen Tisch und Mund haltend, ein.
„Das wirst Du nicht finden: Deine politischen Ziele mögen auch die meinen sein, aber über die Wege zu diesen Zielen werden wir völlig verschieden denken. Ich bin auch nicht, wie Du meinst, Advocat, Parlamentarier, Oppositionsredner der äußersten Linken, Volksmann und dergleichen –“
„Aber ich bitte Dich – nicht mehr – Rechtsanwalt? Was denn anders? Wovon lebst Du denn und bezahlst den Friseur, der Dir so sauber den Bart beschneidet?“
„Das will ich Dir sagen, wenn ich Dir mit ein paar Worten erst den Weg angedeutet habe, den ich zurückgelegt habe und der mich ohne ehrgeiziges Streben meinerseits ganz wie von selber zu meiner jetzigen Stellung geführt hat. Ich habe Dir brieflich das nicht mittheilen wollen, weil ich wußte, ich würde doch nicht vermögen Deine Anschauungen so zu berichtigen und umzuwandeln, daß ich Dir keinen Verdruß mit der Wendung meines Schicksals bereitet hätte. Höre also! Als ich in der Kammer saß, vollzogen sich große Ereignisse hier in unseren deutschen Vaterlande, und diese waren es, die mich aus meiner tiefinnerlichsten Ueberzeugung heraus hinüberführten zu Denen, welchen wir Deutsche diese Wendung verdankten, zu den Männern –“
„Zu den Männern der Gewalt … zu den Leuten, denen das Volk und sein Wille nichts ist?“ fuhr der alte Herr auf; dann that er einen tiefen Trunk und setzte darauf sein Glas mit einem so pathetischen Nachdruck hin, als ob ihm durch diesen Schlag der Durst vergangen sei für alle Tage seines Lebens. – „Zu diesen Männern – Du – der Sohn –?“
Er wurde unterbrochen durch einen mit aufgeregter Miene herantretenden schwarzbefrackten Herrn, der eine große Verschwendung an weißer Wäsche zeigte und dem im respectvoller Entfernung ein Kellner folgte.
„Bitte um Entschuldigung, Excellenz!“ sagte der Mann sehr eifrig – „ bitte sehr um Entschuldigung, daß ich nicht eher mein Compliment machte! Höre eben erst, daß Excellenz mein Local beehren – wenn Excellenz geruhen wollten – ich habe sehr hübsche reservirte Zimmer oben – fürchte, daß es ein wenig sonnig ist hier vorn –“
„Sie sind der Eigenthümer des Gartens?“ sagte, mit einem herablassenden Kopfnicken die Verbeugungen des Herrn erwidernd, Aurel. „Es ist sehr hübsch bei Ihnen – ich danke Ihnen – dieser Platz convenirt uns – ich danke Ihnen.“
Er nickte wieder im derselben vornehmen Weise wie zur Entlassung, und der Wirth zog sich unter abermaligen Verbeugungen zurück.
„Excellenz? !“ rief jetzt der alte Herr. „Der Mensch wirft Dir eine Excellenz nach der anderen an den Kopf? Da steht mir denn doch der Verstand still. Was zum Teufel ist aus Dir geworden, Aurel? Eine Hofschranze? Ein Fürstenknecht? Ein Cärimonienmeister oder Kammerherr gar? Mich trifft der Schlag. Aurel Lanken, mein Junge, in der Taufe genannt nach dem großen Wahrheitsfreund und Philosophen Marc Aurel, ein Hofschranze!“
„Nicht ganz das, was Du darunter verstehst, lieber Vater – aber etwas im Deinen Augen Verwandtes. Ich bin der Minister unseres guten, aufgeklärten Fürsten – der Vorsitzende seines Ministeriums. Nicht mehr und nicht weniger! Darein mußt Du Dich nun einmal ergeben. ‚Das Unvermeindliche mit Würde tragen‘, Du weißt ja. Weshalb ich Dir nicht davon schrieb, so lange Du auf Deiner Farm hinten in Michigan lebtest, habe ich Dir eben angedeutet – für den Staat Michigan konnte es nicht von Erheblichkeit sein und für Deine persönlichen Gefühle nicht wohlthuend. Hättest Du mich früher von Deinem Plane, hierher zurückzukehren, unterrichtet, so würde ich es Dir natürlich mitgetheilt haben, aber Du schriebst mir erst, als Du bereits auf der Reise, bereits in New-York warst …“
„Verfluchter Querstreich! Excellenz, Minister! Was soll ich nun hier machen?“
„Ich denke nicht, daß darin etwas liegt, was Dir hier den Aufenthalt verbittern könnte.“
„Nicht? Denkst Du das?“
„Wenn Du nicht das Bedürfniß hast, gar zu arg über die Regierung zu räsonniren …“
Der alte Herr antwortete nicht. Er strich sich das Kinn und versank offenbar in tiefe Gedanken. Dann sagte er zerstreut und den Kops schüttelnd: „Ja, ja, ich fürchte, das Räsonnieren werde ich nicht lassen können. War immer meine Stärke, weißt Du.“
„Beobachte erst ein wenig den Lauf der Dinge hier – und halte an Dich! Gefallen Dir dann die Zustände nicht, so räsonnirst Du nachher nur desto ärger – ich will Dich nicht hindern.“
Der Alte schüttelte wieder trübselig den Kopf.
„Du ein Minister, ein Fürstenknecht!“ murmelte er, starr auf sein Glas blickend, und dann schien er vor dieser niederschmetternden Thatsache nur darin eine Rettung zu finden, daß er mit einer überflüssigen Energie den Zinndeckel seines Seidels klappen ließ, bis der heranstürzende Kellner es ihm genommen, um ihm ein neugefülltes zu bringen.
„Willst Du nicht anhören, wie ich dazu gekommen, ein Fürstendiener zu werden, lieber Vater, trotz aller republikanischen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_222.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)