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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Frankfurt a. M. aus der minder mühevollen gleichen Stellung zu Osnabrück übergetreten ist. Er war im Reichstag nächst Bennigsen der Hauptführer des sogenannten „rechten Flügels“ und mit seiner schneidigen Schärfe eine Art Ergänzung des mehr vermittelnden Bennigsen. Als unvergeßliches Verdienst begleitete ihn aus seiner reichstäglichen Wirksamkeit seine vortreffliche Führung des Vorsitzes in der Zwischencommission des Reichstages zur Vorberathung der großen Justizgesetze. Hobrecht ist, nachdem er als Oberbürgermeister, erst Breslaus, dann Berlins, sich als tüchtiger Verwaltungsmann bewährt, nach kurzer Wirksamkeit als preußischer Finanzminister in die Reihe der Volksvertreter eingetreten und hat bereits mehrmals in wichtigen Fragen die Sache der nationalliberalen Partei, der er sich angeschlossen, mit ruhigem Nachdruck erfolgreich verfochten.

Lange Zeit war die nationalliberale Partei nicht allein die zahlreichste Fraction des Reichstages – auf ihrem Höhepunkte zählte sie 150 Mitglieder von den im Ganzen ungefähr 400 der Versammlung – sondern auch wohl die an Talenten und an allgemein bekannten Namen hervorragendste. Besonders reich war sie auch an sogenannten Specialitäten: waren doch für Rechtsfragen Männer wie Gneist, Rönne, Beseler, R. von Mohl, Hinschius anerkannte wissenschaftliche Autoritäten, während Lasker, Miquel und Andere vom Standpunkte praktischer Rechtserfahrung ebenfalls wirksam eingriffen. In die verschiedenen Gebiete des wirthschaftlichen Lebens, die Zoll- und Steuer-, die Bank- und Währungsfrage und Aehnliches, theilten sich Braun, Bamberger, Unruh, Schauß, Michaelis (ehe dieser in den Reichsdienst übertrat) und Andere, und die großen Anliegen des Welt- und Seehandels vertraten die hanseatischen Mitglieder der Partei. Für eine gesunde Entwickelung der landwirthschaftlichen Interessen, aber nicht in einseitig agrarischem Sinne, wirkten von Benda, Sombert, Birnbaum, anährend in Fragen der hohen Politik von Bennigsen der regelmäßige Wortführer der Partei war.

Als Mittelpartei zwischen der Gruppe der Rechten und der Linken hatte die nationalliberale Fraction bei allen Fragen, wo es sich um einen Gegensatz dieser Richtungen handelte, die ausschlaggebende Entscheidung. Sie war es, die bei der Feststellung der Verfassung das so überaus wichtige Amt der Vermittelung zwischen den in der Regel sehr auseinandergehenden Anträgen und Forderungen der Rechten und der Linken übernahm. Ihr hauptsächlich war das Zustandekommen der Gewerbe-Ordnung, ihrem beharrlichen Andringen war die Durchsetzung der großen Justizgesetze selbst gegen den anfänglichen Widerspruch der Regierung in erster Linie zu verdanken. Im Allgemeinen kann man sagen, daß von den vielen wichtigen und dringenden Reformen, welche in den nunmehr vierzehn Jahren des Bestehens eines deutschen Bundesstaates durch Vereinbarung des Reichstages mit der Regierung in's Leben traten, keine ohne oder gegen sie, die allermeisten aber in Folge entweder ihrer Initiative oder doch ihres kräftigen Eintretens dafür zu Stande kamen. Das Gleiche gilt von der großen Verwaltungsreform und anderen wichtigen Gesetzen in Preußen.

Das Verhältniß der Partei zu dem leitenden Staatsmanne, Fürsten Bismarck, war ein derartiges, daß sie, bei voller Wahrung ihrer Unabhängigkeit als Partei und der Ueberzeugungen ihrer Mitglieder, ihn doch in allen wichtigen Fragen im Großen und Ganzen unterstützte, wogegen der Fürst wiederum ihr bei der Aus- und Durchführung seiner Absichten vielfach ein weitgehendes Entgegenkommen zeigte.

Diese Stellung der Nationalliberalen als einer Mittelpartei, welche zwar durch ihren Hinzutritt eine entscheidende Majorität zuwegebringen, für sich allein aber doch Nichts durchsetzen konnte, machte es nothwendig, daß sie, im Gegensatze zu der stets auf dem Standpunkte des Princips beharrenden „Fortschrittspartei“, öfter nach einer oder der andern Seite hin Vereinbarungen oder Verständigungen suchen, sogenannte „Compromisse“ eingehen mußte; sie behielt dadurch mit den gemäßigten Elementen der Rechten, besonders mit der ihr nicht allzu fern stehenden freiconservativen Partei, Fühlung.

In den ersten Jahren ihres Bestehens, bis nahe an das Ende ihres ersten Jahrzehnts, so lange der frische Schwung und Trieb des Lebens in den neuen großartigen Verhältnissen ungeschwächt wirksam blieb, hielt die nationalliberale Partei fest in sich zusammen – trotz der Schwierigkeiten, mit denen eine numerisch so starke Genossenschaft immer in Bezug auf die Wahrung einer einheitlichen Taktik und Disciplin zu kämpfen hat. Allmählich aber entstanden innere Conflicte und daraus hervorgehende Schwankungen der Partei. Schon bei dem Militärgesetz (1875) war eine solche Schwankung vorübergehend eingetreten; doch hatte die Partei damals noch im letzten Augenblicke sich auf ihren traditionellen Standpunkt, den einer streng nationalen, vor Allem die Sicherheit des Gesammtvaterlandes in’s Auge fassenden Politik zurückgezogen. Auch bei den großen Justizgesetzen hielt sie fest an der Maxime, um der Erreichung eines großen Ganzen willen im Einzelnen Opfer selbst an ihren liebsten Wünschen zu bringen. Sie ward um dieser ihrer Haltung willen nicht blos im Reichstage heftig bekämpft, sondern auch außerhalb desselben in der öffentlichen Meinung vielfach angegriffen und als unfreisinnig oder charakterlos hingestellt.

Die daraus erwachsende immer schärfere Trennung von der Fortschrittspartei fiel natürlich denen am schwersten, welche vordem selbst der letzteren angehört hatten, gewissermaßen Fleisch von deren Fleische gewesen waren und es mit einem Theile ihrer Sympathien noch waren. Es waren darunter mehrere gerade der talentvollsten und namentlich der beredtesten Mitglieder der nationalliberalen Partei, ja einzelne ihrer hervorragendsten Wortführer. So kam es, daß man allmählich nicht ganz mit Unrecht von einem „rechten“ und einem „linken“ Flügel der Partei sprechen konnte. Als Führer des ersteren galt Lasker, als der des letzteren von Bennigsen. Bezeichnend war, daß der erstere sich vorzugsweise aus den alten preußischen Provinzen recrutirte, während die Hannoveraner, die Hessen und der größere Theil der außerpreußischen Mitglieder meist zu Bennigsen hielten.

Im Jahre 1877 schien Fürst Bismarck engere Fühlung mit den Nationalliberalen nehmen zu wollen. Er hatte damals schon den Plan gefaßt, durch Vermehrung der indirecten Abgaben die Finanzen des Reichs zu stärken und das Reich in Bezug auf seine Einnahmen unabhängiger von den Einzelstaaten zu stellen. Für die Durchführung dieses Planes gedachte er eine große, compacte Regierungspartei zu bilden. Zu dem Ende wollte er die Nationalliberalen in der Person ihres Führers von Bennigsen sich an der Regierung selbst betheiligen lassen, wie er dies mit den Freiconservativen bereits gethan hatte; er wollte Herrn von Bennigsen einen Sitz im preußischen Ministerium geben.

Eine vertrauliche Unterredung zwischen beiden Männern fand zu Varzin, auf dem Gute des Fürsten Bismarck, statt, wohin auf dessen Einladung Herr von Bennigsen sich begeben hatte. Die Einzelheiten dieser Unterredung sind zur Zeit noch in das Dunkel des Geheimnisses gehüllt. Auch die Ursachen, wegen deren die versuchte Verständigung scheiterte, lassen sich mit völliger Sicherheit nicht erkennen; doch es ist wahrscheinlich, daß die Schwierigkeiten hauptsächlich von den dem linken Flügel angehörigen Freunden Bennigsen’s und Mitleitern der Partei ihren Ausgang nahmen und daß von dieser Seite her namentlich gewisse, an sich vollkommen berechtigte, constitutionelle Bedenken in Bezug auf die Verwendung der bei Mehreinnahmen des Reichs in Preußen flüssig werdenden Staatsgelder in einer Schärfe geltend gemacht wurden, welche zum Abbruch der Verhandlungen führten – Bedenken, deren Erledigung später, durch ein Uebereinkommen der preußischen Regierung mit ihrem Landtage, in Folge beiderseitigen Entgegenkommens ohne viel Mühe gelang.

Dieser Bruch der Nationalliberalen mit Bismarck hatte die Folge, daß der Fürst, der fest entschlossen war, seine Finanzpläne durchzusetzen, seine Bundesgenossen nun anderwärts suchte. Eben damals hatte, in Folge der andauernden Verkehrsstockung, welche auf die Ueberstürzungen der Gründerperiode gefolgt war, eine rückläufige Strömung auf handelspolitischem Gebiete in den Kreisen der Industriellen begonnen. Man forderte wirksameren Schutz der nationalen Arbeit. Die nationalliberale Partei hatte von jeher grundsätzlich die handelspolitischen Fragen von ihrem eigentlichen Parteiprogramm ausgeschlossen. Offenbar war es nicht wohlgethan, daß sie diese Fragen als somit gewissermaßen außerhalb ihres Bereiches stehend betrachtete und gegen die von daher drohende Gefahr die Augen verschloß. Die handelspolitischen Interessen sind heutzutage von einer so großen Bedeutung, daß eine politische Partei schwerlich, auf die Länge sich eine auch nur principielle Betheiligung daran versagen kann. Hätte die nationalliberale Partei jene Bewegung gleich in ihren Anfängen mehr beachtet, so hätte sie möglicher Weise mit einem mäßigen Zugeständniß an dieselbe deren weiteres Umsichgreifen verhindern können. Nun

aber ergriff die Bewegung allmählich alle industriellen Kreise,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_227.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)