Seite:Die Gartenlaube (1881) 234.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Consul H. H. Meyer, der dieses Ehrenamt bereits seit 1865 bekleidet. Unter ihm fungiren als Mitglieder des Vorstandes ein besoldeter General-Secretär und ein Inspector. Die Gesellschaft gliedert sich bis jetzt in 48 Bezirksvereine und 154 Vertreterschaften, deren wesentlicher Unterschied in der Zahl ihrer Mitglieder besteht. Von den Bezirksvereinen sind 21 Küstenbezirke, die übrigen binnenländische. Ersteren sind die verschiedenen Stationen unterstellt, und wird ihnen mit Bezug auf deren Wirksamkeit größtmögliche Selbstständigkeit gelassen. Am jedesmaligen Stiftungstage der Gesellschaft (29. Mai) wird eine Jahresversammlung abgehalten, vom Präsidium über den Stand und die Thätigkeit des Vereins Bericht erstattet und über die eingegangenen Beiträge und Neuerrichtungen, Verbesserungen etc. von Stationen oder über andere wichtige Angelegenheiten Beschluß gefaßt. Die beschließende Versammlung besteht aus Delegirten der Bezirksvereine und solcher Vertreterschaften, die über 200 Mitglieder zählen. Die Vorstände der Bezirksvertreterschaften fungiren sämmtlich ehrenamtlich.

Für den eigentlichen Rettungsdienst sind an Bootsmannschaften und für die Bedienung der Raketenapparate ungefähr 500 Personen engagirt, von denen jedoch nur die Vorleute der Stationen für die stete Beaufsichtigung und Instandhaltung des Materials eine feste, wenn auch nur geringe Besoldung beziehen. Die Uebrigen erhalten bei Uebungen und wirklichen Rettungen eine entsprechende Vergütung für die versäumte Zeit und außerdem für jeden aus wirklicher Seegefahr geretteten Kopf eine Prämie von 20 Mark, die in außerordentlichen Fällen bis auf 40 Mark erhöht werden kann. Eine Prämie von 5 Mark erhält derjenige, welcher einer Rettungsstation die erste Nachricht von einer Strandung überbringt. Jene Prämien werden auch an Besatzungen fremder Schiffe gezahlt, die durch actives Eingreifen deutsche Seeleute an deutschen Küsten retten, während an außerdeutsche Rettungsstationen, welche Mannschaften deutscher Schiffe geborgen, oder an deutsche Schiffe, welche in außerdeutschen Gewässern Rettungen vollführt haben, Diplome und Medaillen verliehen werden. Bis jetzt sind von der Gesellschaft 40,000 Mark an Prämien gezahlt, 8 goldene, 52 silberne Medaillen und 10 Ehrendiplome vertheilt worden.

Um den Rettungsmannschaften die Sicherheit zu geben, daß im Falle eines ihnen zustoßenden Unglücks ihre des Ernährers beraubten Familien nicht hülflos zurückbleiben, ist das Leben eines Mannes von der Gesellschaft für 2500 Mark versichert und außerdem dafür Sorge getragen worden, daß die Hinterbliebenen vor Noth geschützt werden. Glücklicher Weise sind solche Unfälle, obwohl sie sehr häufig erwartet werden müssen, seither erst zweimal eingetreten, und Gott mag sie ferner verhüten!

Eine wesentliche Bedingung für die Leistungen der Stationen ist neben der seemännischen Tüchtigkeit und Unerschrockenheit des Personals natürlich die gute und möglichst vollkommene Beschaffenheit des Materials, da hiervon nicht nur die wirksame Hülfeleistung, sondern auch häufig das Leben der Retter selbst abhängt.

Jeder, der einmal an einer Seeküste einen schweren Sturm erlebt hat, wird kaum begreifen können, daß Menschenkraft es vermag, vom Strande aus in einem gebrechlichen Boote sich einen Weg durch die tobende Brandung und den heulenden Sturm zu erkämpfen, deren vereinte Gewalt allen Anstrengungen Hohn zu sprechen scheint. Und dennoch leistet gerade unter solchen Umständen das Rettungsboot seine vorzüglichsten Dienste und feiert seine schönsten Triumphe.

Furchtlos, mit kühnem Muthe, eisernen Kräften und seemännischem Geschicke rollt seine Besatzung das Fahrzeug vom Ufer in die empörte Fluth, schwingt sich hinein und treibt es, lediglich mit seiner Hände Macht, oft stundenweit durch die brausenden Wogen, bis es sein Ziel erreicht hat. Die braven Ruderer achten nicht des Grabes, das stets neben ihnen gähnt. Zoll für Zoll kämpfen sie ihren Weg den empörten Elementen ab, bald hoch auf der Spitze des donnernd überbrechenden Wogenkammes schwebend, bald jäh hinabschießend in das Wellenthal und von dampfendem Gischte übersprüht. Wie oft ihr Boot auch von der Gewalt der anstürmenden Fluthen zurückgeworfen wird, immer wieder und unermüdlich tauchen die Ruder ein. „Vorwärts! vorwärts! Dort auf dem Wrack sind Menschen zu retten“ – das ist die Losung der Braven, und sie kämpfen muthig weiter, bis sie den Sieg errungen. Wahrlich! es giebt keine heroischere, keine glänzendere That, als das von reiner Nächstenliebe dictirte Werk eines solchen Rettungsbootes; es verdient eine Bürgerkrone und die Bewunderung und regste Theilnahme aller Menschen.

Natürlich muß ein Boot, welches bestimmt ist, eine solche Arbeit zu verrichten, besonders construirt sein, um nicht beim ersten Anprall der schweren Brandung der Sarg seiner eigenen Besatzung zu werden. Neben der Fähigkeit, auch bei hoher See und wildem Sturm mit Rudern vorwärts zu kommen, muß es unversinkbar sein, sich selbst entleeren, wenn es vollschlägt, sich von selbst wieder aufrichten, wenn es, trotz großer Stabilität, von der Gewalt der Wogen umgeworfen wird. Der Technik wurden damit schwierige Aufgaben gestellt, und es dauerte volle sechszig Jahre, ehe sie dieselben lösen konnte. Seit zwei Jahrzehnten sind sie in dem englischen Normalrettungsboote wirklich gelöst worden.

Feine Linien, ein richtiges Verhältniß der Länge zur Breite, nicht zu hohe Lage über Wasser und ein bestimmtes Trägheitsmoment vermitteln die Manövrirfahigkeit. Die Unversinkbarkeit ist das Resultat von Luftkasten an den Seiten und Enden des Bootes, deren Auftrieb das Gewicht des Bootes übersteigt. Die Selbstentleerung wird durch einen doppelten, luftdichten Boden veranlaßt, dessen obere Fläche zehn bis zwölf Centimeter über der Wasserlinie liegt und der von sechs offenen Röhren vertical durchzogen wird. Durch sie muß das hereinschlagende Wasser dem Gesetze der Schwere gemäß ablaufen, da der Auftrieb der Luftkasten einem Niederdrücken des Bootes durch das Gewicht des hineingeschlagenen Wassers entgegenwirkt. Die Wiederaufrichtung endlich erfolgt durch das Zusammenwirken dreier Factoren: der vorderen und hinteren Luftkasten, der concav gekrümmten Form der oberen Bootsfläche und des sechs bis sieben Centner schweren eisernen Kieles, mit dem das Boot ausgerüstet ist und der außerdem letzterem große Stabilität verleiht, sowie er gleichzeitig den Ballast erspart. Schlägt das in der Mitte hohle Boot um, so ruht es auf den beiden Endluftkasten, und sein Schwerpunkt, der eiserne Kiel, befindet sich oben in der Luft. Die naturgesetzliche Folge ist aber, daß es bei der nächsten Wellenbewegung wieder zurückschlagen und sich auf seinen Kiel legen muß. Ein solches Umschlagen passirt zwar wegen der großen Stabilität selten, aber dennoch ist es vorgekommen, daß ein Boot auf derselben Rettungsfahrt zweimal umgeschlagen ist. Die mit Korkjacken ausgerüsteten Mannschaften kletterten beide Male trotz schwerer Beschädigungen wieder in’s Boot und retteten die Schiffbrüchigen. Ehre diesen Braven!

Während jedoch diese Normalboote überall an den englischen Küsten eingeführt sind und mit ihnen die großartigsten Rettungsthaten vollführt werden, können sie wegen ihres Gewichtes von fünfundvierzig Centner bei uns leider nur an einzelnen günstigen Punkten Verwendung finden. In England besteht die Küste fast überall aus festem Boden; sie hat eine dichte Bevölkerung und gebahnte Straßen. Deshalb lassen sich dort die Boote trotz ihrer Schwere verhältnißmäßig bequem längs des Strandes transportiren, und zwar selbst größere Strecken weit.

Unser Strand ist dagegen zum größten Theil aus losen Sanddünen gebildet, seine Bevölkerung so dünn gesäet, daß man oft meilenweit kein Dorf oder Haus findet, und an gebahnten Wegen fehlt es fast überall. Unter diesen Umständen ist es ganz unmöglich, mit einem Normalboote, dessen Gewicht sich durch seinen Transportwagen verdoppelt, durch den Sand zu gelangen, und unsere Stationen haben deshalb bis auf einen kleinen Bruchtheil mit anderen Modellen, den nach ihrem amerikanischen Erfinder also benannten Francisbooten, versehen werden müssen, welche, aus cannellirtem Eisenblech gefertigt, nur halb so viel wie die Normalboote wiegen. Freilich entbehren sie leider der Fähigkeit, sich selbst zu entleeren und wieder aufzurichten, sind aber sonst vorzügliche Seeboote und haben schon Großes geleistet.

Natürlich richtet die Gesellschaft ihr Augenmerk darauf, auch diese Boote stets zu verbessern, und gelingt dies allmählich immer mehr. Eine gewiß sehr große Anerkennung dieser Bestrebungen sowie überhaupt des gesammten deutschen Küstenrettungswesens liegt darin, daß die Gesellschaft nicht nur auf den Weltausstellungen in Paris, Wien und Brüssel, welche sie mit ihren Rettungsgeräthen beschickte, die höchste Auszeichnung erhielt, sondern kürzlich auch der französischen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger für Port Mardyck zwischen Dünkirchen und Gravelingen ein Rettungsboot nebst Transportwagen zu liefern hatte.

Nicht minder befriedigend sind die Leistungen der deutschen Raketenstationen; von ihnen wird bis auf vierhundertfünfzig Meter Entfernung mittelst einer Acht-Centimeter-Rakete eine an diese befestigte

dünne Leine über das gestrandete Schiff geschossen und mit

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_234.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)