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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Mich drängt’s freilich nicht. Aber ich muß die Anderen drängen, damit die Räder unserer Tauschlägerei, wie Du Dich auszudrücken beliebst, in Schwung bleiben.“

„Sodaß Du der allgemeine Bedränger bist,“ lachte der alte Lanken aus.

„Leider trifft Du da ganz das richtige Wort; für die große Menge der im alten Schlendrian halbmüßig durch ihre Tagesarbeit hinflanirenden Beamten bin ich das.“

„Also auch wohl nicht beliebt beim Volke?“

„Beim Volke? Das hoffe ich doch! Meine Widersacher sind anderswo, im Adel, in der Umgebung des Herzogs, unter den Höflingen, in den Bureaus.“

„Nun, und die hassen Dich, weil Du sie drängst, zu arbeiten, mit den Geschäften zu Ende und von der Schreiberei zur That zu kommen?“

„Die Beamten – nun ja, und die Höflinge, weil ich nicht aus ihren Kreisen aus einer der privilegirten Familien, weil ich –“

„Du endest nicht. Willst Du sagen: ‚weil ich der Sohn eines Mannes bin, der sich den Henker um Fürsten, Höflinge und Beamte scheert, sondern ein aufrichtiger Republikaner ist und nie ein Hehl daraus gemacht hat, daß, wenn er könnte, er sie alle zum Teufel jagte, um den Volksstaat statt ihrer einzuführen‘?“

„Mein lieber Papa,“ versetzte Aurel, „Du irrst, wenn Du glaubst, daß man eine solche Anschauung hier im alten Lande noch für gefährlich hält.“

„Nun, was ist es denn, das man mir – oder besser Dir, nicht verzeihen will?“

„Wenn Du es denn wissen willst: daß ich der Sohn eines Mannes bin, der hier einst eine so bescheidene Lebensstellung einnahm …“

„So, das ist’s? Daß ich ein Thierarzt gewesen – ein studirter, geprüfter Thierarzt, der meines Erachtens just so vornehm ist wie ein Doctor, der Recepte für Menschen schreibt, die wahrhaftig oft genug viel weniger werth sind, als eine gute milchgebende Kuh für einen armen Bauern?“

„Und doch ist es so; die Welt hat ihre Vorurtheile, und das, was mir nicht verziehen wird –“

„Ist, daß Du der Sohn eines bloßen Thierarztes bist,“ rief der alte Lanken. „Diese Dummköpfe ! – Aber wahrhaftig, wenn’s so ist – und ich hätt’s ja auch schon mir selber sagen können – dann, sieh, dann könnt’s mich beinah freuen, daß Du ihnen zum Trotz und Aerger Minister geworden bist, dann bleib’ meinethalb, um sie toll zu machen, Dein Lebenslang Minister, dann setz’ ihnen den Fuß auf den Nacken, dann laß Dir vom Herzog Ehren, Würden, Titel, Orden geben, bis Du nicht mehr weißt, wohin damit – Ordensketten von Gold, die drei Pfund schwer sind und wozu rothe Sammetmäntel mit Hermelinfutter gehören! Ihr habt ja dergleichen spaßhaftes Zeug von allerlei Art hier – laß Dich – sind denn nicht diverse Minister gar Cardinäle geworden? – laß Dich zum Cardinal machen mit einer langen brandrothen Schleppe! Und vielleicht etablire ich mich unterdeß hier mit einem kleinen Geschäft in Virginiakanaster und Schnupftabak, und vor die Bude stell’ ich einen großen, schön roth angestrichenen Cardnal, wie er vor die richtige Schnupftabaksbude gehört – wäre ein Capitalspaß das!“

Aurel hatte für alles das nur ein wehmüthiges Lächeln, mit dem er in die erhitzten Züge seines Vaters blickte. Er wandte sich ab, und durch das Fenster schauend, sagte er:

„Es freut mich, daß meine Stellung wenigstens eine Seite hat, von der aus Du sie versöhnt betrachtest, wenn Deine Anschauung dabei auch auf einem sehr persönlichen Gefühle beruht. Willst Du jetzt auch anhören, wie ich ganz naturgemäß, ohne mich ehrgeizig vorzudrängen, auf meinen Posten gelangt bin?“

„Hm, Schallmeyer, das Känguruh, hat mir gestern Abend die Geschichte erzählt. Bist Advocat gewesen – in die Kammer gewählt – hast Reden gehalten – bist Fractionsleiter geworden – Präsident der Kammer – nach 1870 hat der alte Ministerpräsident die Flinte in’s Korn geworfen –“

„Nun ja, so ist’s ungefähr,“ fiel Aurel ein. „Als nach den glorreichsten Schlachten, welche unsere Geschichte kennt, das größte Ereigniß dieses Jahrhunderts, die Wiedererstehung des alten Reichsgedankens, sich vollzog, da fand die große Zeit kleine Menschen, die Söhne der durch frühere Mißregierungen verkrüppelten Generationen. Kleinlicher Hader, kleinliches Treiben überall – nur ein einziger großen Willen da. Diesem großen Willen nun widersetzte sich in unserem Lande Alles, was einst bestimmendes Element gewesen, was dabei in engherzigem Particularismus gediehen und mächtig geworden war. Sagen wir die Conforteria. An ihrer Spitze stand ein hartnäckiger Mann, der frühere Ministerpräsident. Er glaubte sich der neuen Strömung entgegenstemmen, durch Hartnäckigkeit die sogenannten berechtigten Eigenthümlichkeiten unseres kleinen Staates retten zu können und brachte uns durch Widerstand gegen die neuen Einrichtungen, die ihm ein Gräuel waren, in Conflicte, die den Herzog zwangen, ihm die Entlassung, welche er nicht verlangen wollte, zu geben. Und da nun in einem Staat wie dem unsern Alles enge zusammenhängt, so war es dem Herzog unmöglich, unter des Entlassenen Standesgenossen, seiner Vetterschaft und seinem Anhang einen neunen Leiter seiner Regierung zu finden, der aufrichtig und ohne Hintergedanken ihm zur Seite getreten wäre, um das Staatsschiff in die neue Strömung hinüberzulenken. Er mußte sich an den Führer der Partei wenden, die längst zu dieser Strömung hinübergedrängt hatte, der Partei des gesunden Fortschritts und des Kampfes für die Idee der deutschen Einheit und Größe gegen die Sonderinteressen der Kleinstaaterei; er mußte dies um so mehr, als diese Partei außerdem die Majorität der Kammer besaß –“

„Und der Führer dieser Partei warst Du?“

„War ich! Also –“

„Also wurdest Du Minister! Nun ja, wenn ein Schwan keinen See hat, muß er auf einem Teiche schwimmen lernen. Aber ich hatte Dich doch für einen andern Teich aufgezogen, als für das Untertauchen in Eurem kleinen Staatstümpel hier.“

„Mein lieber Papa, wir können nicht alle gleich Dir das Weltmeer befahren – und was das Aufziehen anbetrifft, so mußt Du mir verzeihen, wenn ich Dir gestehe, daß von den Anschauungen, welche Du mir in meinen ersten Lebensjahren beigebracht haben magst, wenig in mir haften geblieben ist. Du schiedest von uns, als ich acht Jahre alt war, und ich muß gestehen, daß ich damals an einer unverzeihlichen Flüchtigkeit der Gedanken und einer beklagenswerthen Unfähigkeit litt, Deinen für die damalige Zeit ebenso berechtigten und selbstlosen, wie edlen und schönen politischen Ideen zu folgen. Ich blieb, als Du nach Amerika gingst, zurück unter dem Einflusse meiner Mutter, welche von der Politik, die ihr den Gatten und ihrem Kinde den Vater gekostet, nicht viel hören mochte. Als sie leider so früh gestorben, war es ihr Bruder, mein Vormund, der mir die politische Richtung gab – der brave Mann war Stadtbaumeister, und als solcher kein Freund des Einreißens, wo nicht ein Neubau folgen konnte. So ist es denn gekommen, daß ich mir ein Ideal gebildet habe, das von dem Deinigen weit abweicht, wie sehr ich auch Deinen politischen Standpunkt achte und schätze: Ich bin zufrieden mit meinem so glücklich erreichten Ideale eines großen, geeinten, unter dem schützendem Kaiserbanner mächtig dastehenden Deutschland, lieber Vater, und als praktischer Mann wünsche ich heute, daß keine wilde Jagd der Parteien durch die Saaten brause, die wir auf dem Felde des Erreichten säen – die wilde Jagd, weißt Du, stürmt einer Beute nach, die aussieht wie ein Edelwild, wie ein Sechszehnender – in der That aber ist dieses Edelwild nur allzuoft – ein Phantom.“

Der alte Thierarzt räusperte sich, trank das Glas Burgunder, das ihm sein Sohn eingeschenkt, aus und sagte dann:

„Ich sehe, reden kannst Du, Aurel – und ich denke, es kommt wenig dabei heraus, wenn wir streiten, wer darin von uns Zweien dem Andern überlegen ist. Laß uns zu persönlichen Dingen übergehen, die uns im Augenblicke viel näher am Herzen liegen!“

„In der That, lieber Vater,“ fiel Aurel ihm in die Rede, „sprechen wir lieber nicht mehr von Politik, sondern von der Art, wie Du nun hier Dein Leben einrichten willst!“ Er nahm einen kleinen silbernen Leuchter vom Schreibtische, zündete das Licht an und reichte es dem Vater, der eben seine Cigarrendose hervorzog.

„Nimm Dir auch eine Cigarre, Excellenz!“ sagte dieser „wenn man sich dabei gemüthlich den blauen Dampf in’s Gesicht bläst, bespricht man so etwas mit mehr Seelenruhe; jede kleine Wolke ist dann ein Dämpfer. Wie ich hier mein Leben einrichten will, fragst Du? Du fürchtest wohl, ich werde mit der Stiftung eines Bundes rother Republikaner beginnen? Müßtest mich dann mit Deinen Polizisten über die Grenze bringen lassen – abschaffen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_259.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)