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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

als die oberen, nach außen gekehrt werden. In allen diesen Fällen wird die einer zu starken Abkühlung, Besonnung, Ausdünstung etc. periodisch ausgesetzte Lauboberfläche durch das Zusammenfalten der Blättchen erheblich verkleinert, und mitunter

Cassia corymbosa.
A am Tage.   B in der Nacht.

kann das so weit gehen,daß die Pflanzen bei Tag und Nacht ein bis zur Unkenntlichkeit verschiedenes Aussehen darbieten, wie das Beispiel der hierneben abgebildeten Acacia Farnesina zeigt.

Acacia Farnesina.
Dasselbe Blatt A am Tage.   B in der Nacht.

Ebenso wie diese Schutzbewegungen der Blätter offenbare und durch viele Zwischenstufe verknüpfte Abänderungen der regelmäßigen Circumnutationen aller Blätter sind, so stellen sich die auffälligeren Bewegungen der windenden und kletternden Pflanzen als in Folge ihres Vortheils weiter ausgebildete Erweiterungen der Grundbewegung der Stengelspitzen dar. Man kann die Bewegung der meisten Pflanzen zum Lichte hin, und die seltnere einiger Schattenpflanzen (z. B. des Epheus) aus dem Bereich allzu grellen Lichtes hinweg, Erscheinungen, die man treffend als Heliotropismus und Apheliotropismus (zu deutsch etwa. Sonnensüchtigkeit und Sonnenflüchtigkeit) bezeichnet, als durch ihren Nutzen gezüchtete Abänderungen der allgemeinen Circumnutation betrachten. Auch über diese Eigenschaft der Pflanzen hat Darwin eine Reihe sehr lehrreicher Versuche angestellt und gezeigt, daß Keimpflanzen z. B. vom Canariengrase so lichtempfindlich sind, daß sie sich in einem dunklen Raume nach einer fünfzehn bis zwanzig Fuß entfernten Oellampe richten und sich in wenigen Stunden haarscharf auf einen dünnen Spalt einstellen, durch den ein Strahl Tageslicht auf sie fällt.

Bei den Keimpflänzchen dieses Grases und verschiedener Getreidearten ergab sich dabei außerdem die überraschende Thatsache, daß die Empfindlichkeit für das Licht nur in der obersten Spitze des Keimlings wohnt, also ganz entsprechend der auf die Wurzelspitze beschränkten Empfindlichkeit für die Schwerkraft, für Licht- und Feuchtigkeitseinwirkungen und für die Berührung mit harten Körpern. Blieb die Keimspitze im Dunckeln so konnte der übrige Theil des Keimlings nach Belieben beleuchtet werden, ohne daß er sich nach der Lichtquelle hinwendete; der Reiz überträgt sich somit hier in ganz ähnlicher Weise von der Keimspitze auf die tieferliegenden Theile, wie er sich von der Wurzelspitze auf die höher liegenden fortpflanzt und dort Bewegungen anregt. Man erkennt also auch an dem Verhalten der Keimspitze, daß die Empfänglichkeit für äußere Einwirkungen bei den Pflanzen in ähnlicher Weise centralisirt ist, wie bei den Thieren, aber da die Pflanze nach oben und unten fortwächst und nach beiden Richtungen den vortheilhaftesten Bedingungen für ihre Existenz nachzugehen hat, so bedarf bereits die Keimpflanze zweier derartiger Empfindlichkeits-Mittelpunkte, die heranwachsende, verästelte Pflanze, die sich einem zusammengesetzten Thier z. B. einem Korallenstock vergleichen läßt, deren noch mehr, da wohl jeder einzelne Sproß mit einem solchen versehen sein muß. Nerven, welche dazu bestimmt wären, die empfangenen Eindrücke weiter zu leiten, sind hier ebenso wenig, wie bei den niederen Thieren vorhanden, da die Reize aber bei beiden offenbar ohne Nerven weitergeleitet werden, so scheinen besondere Nervenbahnen eben nur für höhere Grade der Empfänglichkeit für äußere Reize erforderlich zu sein.

Daß aber der Vorzug, den einzelne Pflanzen in ihren Lebensverhältnissen durch Erweiterung der gemeinsamen Bewegungsfähigkeit in bestimmter Richtung empfangen, dieselbe durch Ueberleben des Passendsten gesteigert hat, spricht sich auch darin aus, daß die höhere Nützlichkeit einer Bewegung jedesmal untergeordnete Nützlichkeitsgrade entgegenstehender Bewegungen überwältigt und unterdrückt. So würden z. B. die Schlingpflanzen in ihrer nach einer Stütze suchenden Bewegung sehr gestört werden, wenn sie für seitlich einfallendes Sonnenlicht ebenso empfänglich wie andere Pflanzen wären und dadurch zu Gunsten einer einzigen Richtung von ihrer Ringsumbewegung abgelenkt würden. Ebenso sind die insectenfressenden Pflanzen wenig heliotropisch, da sie eben ihr Leben auf ganz anderer Grundlage geordnet haben, als andere Pflanzen, und es für sie zuerst darauf ankommt, ihre Blätter für den Insectenfang in der günstigsten Stellung bereit zu halten.

Indem Darwin eine große Anzahl auffälliger Bewegungen der Pflanzen aus einer allen Gewächsen und Pflanzentheilen gemeinsamen, einfacheren Grundbewegung herleitete, hat er wiederum in einer für seinen Scharfsinn und seine geistige Eigenart höchst bezeichnenden Weise unzählige von ihm selbst wie von anderen Naturforschern angestellte Versuche und Beobachtungen zu einem allgemeinen, das dunkle Gebiet merklich erhellenden Gedanken verbunden, und aus einem Felde, auf welchem bereits sein Großvater thätig gewesen, die ersten Grundsteine einer tiefergehenden Erkenntniß gelegt. Wer sein Buch zur Hand nimmt, wird leicht die ungeheure Arbeit erkennen, die zu diesen scheinbar einfachen Schlüssen geführt hat; er wird zugleich die beste Anleitung zu eigenem Weiterarbeiten auf diesem dankbaren und Jedermann offenliegenden Forschungsgebiete finden. Denn die meisten dieser weittragenden Schlüsse wurden aus sehr einfachen, wenn auch mit höchster Sorgfalt angestellten Versuchen gezogen. Es braucht kaum besonders erwähnt zu werden, daß die Schlüsse mit der den britischen Forscher kennzeichnenden Vorsicht und Zurückhaltung gezogen wurden und daß er keineswegs glaubt, alle Pflanzenbewegungen aus jener einzigen Quelle abgeleitet zu haben. Er weist selbst auf mehrere Reizbewegungen sogenannter sensitiver und insectenfressender Pflanzen hin, bei denen ihm dies nicht wahrscheinlich ist.

Zweierlei heimelt uns bei der Lectüre des Buches noch ganz besonders an, erstens die genaue, in sehr zahlreichen Citaten dargelegte Kenntniß der einschlägigen botanischen Literatur Deutschlands, woselbst am meisten auf dem betreffenden Gebiete gearbeitet wurde, und dann die ungemeine Einfachheit und Bescheidenheit, mit welcher uns die wichtigsten Ergebnisse dargeboten werden.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_287.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)